22. Kapitel

642 31 2
                                    

Die aufsteigende Übelkeit überrollte mich in einer ähnlichen Intensität, wie zuvor meine Erregtheit. Es kam mir ganz recht, dass ich mich unter einem Vorwand der Situation entziehen konnte. Ich schaffte es gerade mich weit genug zu entfernen, dann gelang es mir nicht mehr, es zurückzuhalten. Wütend über mich selbst und vor allem auch diesen jämmerlichen Omega verschwand ich tiefer im Wald. Mit ein bisschen Glück würde mich weder jemand suchen noch finden und mit noch ein bisschen mehr Glück hatte der Geruch hier weniger Einfluss auf mich. Meine Flucht vor diesem ging gar so weit, dass sie mich bis raus zum See im Grenzgebiet trieb. Ich war gern hier, aber ganz wohl fühlte ich mich nicht.

Gemächlich bahnte ich mir meinen Weg durch das seichte Wasser, bis ich den Boden unter den Pfoten verlor. Ich konnte gut schwimmen und ich tat es gern. Noch ehe ich gänzlich unter der Wasseroberfläche verschwunden war, hatte ich wieder meine menschliche Gestalt angenommen. Es war deutlich stiller unter Wasser und auch den Geruch, der mich bis in meine Träume verfolgte, konnte ich so nicht mehr riechen. Natürlich erlaube es mir mein guter Geruchssinn nach wie vor den ein oder anderen Geruch aufzuschnappen, aber allzu weit reichte er nicht. Nie zuvor hatte ich es als solche Wohltat empfunden.
Das Ganze ging so weit, dass ich es gar nicht mehr wagte überhaupt auftauchen zu wollen. Nur meine Gedanken spielten mir nicht unbedingt bestens in die Karten.

Prustend tauchte ich schließlich wieder aus. Ich kannte meine Grenzen und trieb mich doch gern noch über diese hinaus. Gierig zog ich die Luft ein, während ich mich kurz sammelte und dann hinüber zum nächsten Ufer schwamm. Kraft und Ausdauer gehörten zu meinen Stärken, auf den letzten Metern aber hatte ich doch sehr mit mir zu kämpfen. Es war, als hätten meine Kräfte aus irgendeinem Grund nachgelassen. Wohl war ich auch ein wenig abgetrieben, dass erkannte ich, als ich mich nun gegenüber des eigenen Reviers befand. Naja, dieses war ja auch so gut wie meins...

Schnell bekam ich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich war froh darüber, denn das Schwimmen hatte mich doch mehr geschafft, als erwartet. Die Gerüche hier waren anders als auf unserer Seite des Sees. Der Wald war doch deutlich belebter als auf der unseren Seite. Selten sah oder hörte man etwas von anderen Waldbewohnern, hier jedoch witterte ich sie deutlich. Ich spielte mit dem Gedanken auf die Jagd zu gehen, um mich so auf andere Gedanken zu bringen, doch ich verwarf ihn wieder. Ich wollte mehr über Martyns Rudel wissen und vielleicht auch über einen kleinen Omega.

Mein Weg fühlte mich zielsicher in das Dorf hinein. Es war still und man sah noch Spuren von Auseinandersetzungen und Kämpfen. Türen und Fenster standen offen und wirkten nahezu einladend. Doch aber war es offensichtlich, dass hier seitdem niemand mehr gewesen war. Ich konnte es nicht lassen, einem Blick in einige der Behausungen zu werfen. Die Hütten waren so spärlich und unmodern, wie man sie bereits von außen erahnte. Sie waren ärmlich, verglich man sie mit den unseren. Niemand, der sich gut mit meinem Vater hielt, hatte so leben müssen. Aber waren sie glücklicher gewesen?

Ich erkannte das Haus wieder, welches Martyn sein Eigen nannte. Ich erinnerte mich genau an jenen Moment, als ich es zuerst ins Auge fasste. Nun aber war das, was mich leitete etwas völlig anderes. Alles in mir zog mich an diesen Ort, zog mich dorthin, wo mein Mate bis zu vor einigen Tagen ein friedvolles Leben verbrachte.
Ich hatte Chaos und Vernichtung hereingebracht und meinem Namen alle Ehre gemacht. Nun stand ich vor Weylyns Bett, in seinem Zimmer, und wusste nichts weiter mit mir anzufangen.
Das Bett hatte er fluchtartig verlassen, darauf wies alles hin. Meine Fingerkuppen strichen über die Decke, alles hier roch noch nach ihm. Es war intensiv, aber weniger betörend als jener Geruche, den ich in seiner unmittelbaren Gegenwart verspürte.

Ich spürte das allmählich vertraute Unbehagen erneut in mir aufsteigen. Reflexartig reagierte ich defensiv, dann aber entschied ich ihm nachzugeben.
Ich war allein, niemand konnte meine Schwäche sehen oder erahnen. Wann wenn nicht jetzt, sollte ich dem nachgeben, was mich seit Tagen schwächeln ließ? Ein geeigneterer Moment dazu würde nicht kommen.

Zunächst ließ ich mich lediglich auf seinem Bett nieder, dann aber reizte der Geruch doch weiter meine Nase. Ich konnte es nicht lassen weiter seinen Geruch aufzunehmen. An Laken, Kissen und Decke war er wie zu erwarten besonders stark. Ein neckendes Prickeln und aufsteigende Erregtheit überkamen mich, je mehr ich mich mit der Verlockung auseinandersetzte. Es war deutlich leichter es zuzulassen, als es zu bekämpfen, es war als würden sich meine Kräfte wieder stärken.
Ich begann mich in Weylyns Bett zu wälzen, aber schnell war mir dieser Geruch nicht mehr genug.

- Weylyn -

Er roch anders als zuvor, nicht aber weniger gut, als meine Sinne ihn erneut erfassten. Der große schwarze Wolf, der sich mir näherte, hätte sicherlich in jedem anderen Angst, in mir jedoch lediglich Verlangen erweckt.

,,Geh ihm entgegen!", schlug mein Vater vor, der sich dem Verlust meiner Aufmerksamkeit sicher war. ,,Er wird dir schon nichts tun!", fügte er schmunzelnd hinzu, als er meine Unsicherheit zur Kenntnis nahm. ,,Oder er wird dich auf der Stelle in kleine Stücke reißen!", knirschte Owein missbilligend und dahin war es mit meiner Zuversicht. Mein Bruder konnte nicht leugnen, was er von meinem Mate hielt und rational betrachtet, konnte ich ihm dahingehend auch folgen. Benebelt wie mein Verstand in seiner Gegenwart jedoch war, war von dem nun nichts mehr zu sehen.
,,Er wird dir nichts tun, tief in dir weißt du es!", lächelte mein Vater beschwichtigend und legte mir eine Hand auf die Schulter. Was das anging, war ich mir bisher noch nicht sicher, aber doch drängte mich alles zu ihm hin. Schließlich gab ich nach und unterlag meiner Versuchung.

Je näher ich ihm kam, je präsenter machte sich sein Geruch, er erfüllte nicht nur meine Nase, sondern durchzog alles in mir. Er stieg mir wortwörtlich in den Kopf und spätestens als ich seine gewaltige Gestalt vor mir sah, war es gänzlich um mich geschehen.

Territory [manxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt