Unialltag

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Jisungs Pov: 

Jetzt nach der Mittagspause lief ich mit beschwingten Schritten den Gang im zweiten Stockwerk entlang und stieß dann eine der Türen fast am Ende des Flures auf, um in den kleineren, gut klimatisierten Raum zu treten, der für Seminare genutzt wurde. Sogleich richteten sich einige Augenpaare auf mich und manche der Studierenden setzten sich gerade hin oder legten immerhin die Handys aus der Hand. Ich trat nach vorn zu dem Tisch, der dem Dozenten oder in meinem Fall dem Tutor vorbehalten war und stellte meine Tasche auf dem Stuhl ab. Ich holte meinen Laptop hervor, schloss ihn an die interaktive Tafel an und öffnete die Präsentation der heutigen Sitzung. Auch die Bücher zu den Göttern und Märchen legte ich vorsichtshalber auf den Tisch, denn es konnte durchaus sein, dass ich sie in dieser Stunde nutzen konnte.

Dann ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, um mir einen kurzen Überblick über die Anwesenden zu verschaffen. Die meisten der Gesichter kannte ich bereits, da sie seit drei Wochen – ab dem Beginn des Semesters – regelmäßig zu meinem Tutorium kamen. Dieses Tutorium war eine Art Begleit- und Übungsstunde zu der Vorlesung von Professor Bassir. Dieser führte die neuen Studierenden in den geschichtswissenschaftlichen Bereich ein und da seine Vorlesung aus eigener Erfahrung manchmal sterbenslangweilig war, nutzten die Studenten lieber das Tutorium für den Austausch. Hier konnten sie Fragen stellen, ein bisschen philosophieren und Eindrücke sammeln, die hoffentlich länger hängenblieben als ein neunzigminütiger Monolog, der von einem greisen und leise sprechenden Mann gehalten wurde.

Als ich nun auf die Uhr sah, meine Brille zurechtschob und meinen Pointer für die Folien aufnahm, wurde es merklich leiser im Kurs. Ich lehnte mich lässig an das Pult und zog die Augenbraue hoch, als zwei Mädchen in der ersten Reihe noch immer miteinander redeten und leise kicherten. Als sie meinen Blick schließlich bemerkten, errötete die Blondhaarige und senkte rasch den Kopf, als wäre es ihr unangenehm.

„Okay, wenn ihr alle so weit seid, würde ich mit dem Vorlesungsthema aus der vergangenen Woche anfangen. Wer kann mir sagen, mit was ihr euch beschäftigt habt und warum das für euer Studium wichtig ist?"

Ein junger Mann aus der zweiten Reihe hob träge die Hand und meinte dann mit beinahe monotoner Stimme: „Der Prof hat zuerst etwas über die Bestattungsriten erzählt, über den Bau der Grabmäler und dann hat er noch etwas zur ägyptischen Mythologie angefangen." Dann machte er eine Pause und überlegte offenbar stark, wie er einen Bezug zu seinem frisch begonnenen Studium herstellen sollte. „Ich schätze, wir sollen das wissen, um die Hieroglyphen und Grabinschriften besser lesen zu können."

Von seiner letzten Antwort war ich zwar nicht ganz überzeugt, aber es gab ja auch noch mehr Anwesende, die möglicherweise antworten wollten. Ich ließ den Blick schweifen. „Gibt es andere Meinungen und weitere Einzelheiten, die euch im Gedächtnis geblieben sind?"

Ein hochgewachsener junger Mann mit längerem, blonden Haar meldete sich. „Ich denke, dieses Wissen hilft uns auch Verbindungen zu unserem eigenen Leben zu ziehen." Interessiert lehnte ich mich nach vorn und ermunterte ihn mit einem Nicken, weiterzusprechen. „Naja, also das Leben dieser Menschen hat sich zwar ganz anders abgespielt als unseres heute, doch allein ihre Art Angehörige zu bestatten, sie in prunkvollen Gräbern zu beerdigen und ihre Ansichten zur Welt in einem eigenen Schriftsystem dazulegen, das zeugt von Geschick und von Weitsicht. Sie haben auf ihre Weise Großes geschaffen und deshalb müssen wir sie eingehend studieren und zu den richtigen Erkenntnissen können wir nur erlangen, wenn wir genug fundiertes Vorwissen haben."

Ich hörte wirklich nur selten so ausgereifte und ausführliche Antworten auf meine Fragen und um diesen Beitrag zu würdigen, ließ ich ein zufriedenes Lächeln sehen und nickte zustimmend. „Sehr gut, das ist eine überzeugende Antwort und sie wird dich weit bringen, wenn du dich daran hältst", lobte ich den Studierenden, der nun selbst ein kurzes Lächeln zeigte.

God-king of Egypt | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt