Kapitel 56 - So viele erste Male

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Kapitel 56 - So viele erste Male

Justin's POV

Stumm betrachtete ich das Mädchen, welches in meinen Armen lag. Unsere Beine waren eng umschlungen und ich konnte noch immer unser lautes Herz schlagen hören. Atemlos sah ich ihr Seitenprofil an, fuhr mit meiner freien Hand ihre Narben nach. Sie war so wunderschön, ihre ganze Narben waren schön. Viele Menschen würden das grotesk finden, abscheulich, aber ich sah das alles nicht. Für mich stand die Geschichte im Vordergrund. Die Beweggründe für diese Tat und all das, was sie erlebt hatte, bevor ich sie kannte. So ist das bei den Menschen, man sieht sie und ist viel zu schnell darin, sie zu verurteilen. Man vergisst aber, dass sie auch ein Leben hatten, bevor man sie kennengelernt hat, dass sie Dinge erlebt haben und durch Erlebnisse geprägt wurden. Ich jedenfalls, empfand ihre Geschichte, die sie mit den Narben ausdrückte, wundervoll, weil sie sich nicht vor mir versteckte, sondern hier lag, ohne jegliche Scham. Mehr Vertrauen konnte man einem einzelnen Menschen nicht schenken und ich empfand den Drang, ihr auch von mir zu erzählen und Kira, die noch in den Wänden der Schulmauern lebte. Doch ich unterdrückte diesen Gedanken und küsste sie vorsichtig auf die Hand. Bilder von unserem ersten Mal tauchten vor meinem Auge auf und ich konnte mir ein dümmliches Grinsen nicht verkneifen. "Was lachst du so?",Faith sah mich lächelnd an und stützte sich auf ihren Ellebogen, um mich zu betrachten. "Nichts, wirklich.", log ich kichernd und drückte sie sachte zurück in die Matratze, um mich über sie beugen zu können. Vorsichtig platzierte ich einen Kuss auf ihren rechten Mundwinkel. "Naja, vielleicht ja doch.", gestand ich und machte mich nun an ihren linken Mundwinkel. "Vermutlich habe ich ja gegrinst, weil ich darüber nachgedacht habe-.", ich küsste ihre Nasenspitze und sie kicherte verspielt. "warum ich dich liebe.", zum guten Schluss küsste ich sie auf die Stirn, ehe ich mich zurückfallen ließ und in die Matratze sank. Faith sagte kein Wort, genoss den Moment der Unbeschwertheit.

"Bist du jetzt zufrieden?",höhnte sie und erschrocken setzte ich mich auf. "Was ist los?", Faith packte mich am Arm und sah mich genauso schockiert an, wie ich anscheinend sie. "Hast du mir gerade eine Frage gestellt?", nervös fuhr ich mir durchs Haar. "Ja, was mit dir los ist.", irritiert sah sie zu mir auf und zog sich die Decke bis zum Hals, als ob sie angst vor mir hätte. "Und davor?", ich musste es mir einfach eingebildet haben. "Nichts, Justin, nichts. Ich habe gar nichts gesagt.", ihr Griff an meinem Arm wurde fester:"Kannst du mir bitte sagen, was mit dir los ist?". Etwas ruhiger schüttelte ich den Kopf. Unauffällig schaute ich mich im Zimmer um, es war bis auf uns Beiden leer. "Dann hat wohl Sie geredet.", murmelte ich zu mir selber und durchforstete mein Gehirn, wann Kira das letzte Mal da war. In den letzten paar Stunden hatte ich sie vollkommen vergessen. Nicht mal ignoriert, einfach vergessen. Das war mir noch nie passiert. "Wer hat geredet?", ich brauchte Faith nicht ansehen, um die Besorgnis in ihrem Gesicht festzustellen. "Nichts, Faith. Ich war nur durcheinander." Sie lachte. Es was nicht Faiths Lachen. Es war Kiras. "So nennt man das jetzt, wenn du mich hörst? Wieso darf ich von ihr wissen und sie nicht von mir? Los, sag ihr dass du ein Arsch bist und zweigleisig fährst! Sie würde gehen! Sie würde es nicht so tolerieren, wie ich es tu!", ihre Stimme war ein kreischen. Krampfhaft unterdrückte ich den Drang, mir die Hände auf die Ohren zu drücken. Faith durfte davon nicht wissen. Jetzt empfand ich den eben abgegeben Gedanken, Faith einzuweihen, dass Kira noch lebte, als total dumm. Am Liebsten hätte ich Kira geantwortet, ihr gesagt, dass Faith mir nicht glauben würde, wenn ich ihr sagen würde, dass Kira lebte. Am Liebsten hätte ich Kira an den Kopf geworfen, dass sie selber schuld war, dass ich zweigleisig fuhr, weil sie sich, so egoistisch wie sie war, einfach umgebracht hatte. Dass sie mich eben provoziert hatte, indem sie Faith beleidigt hatte und es nur so zu dem kam, was heute Nacht zwischen mir und Faith passiert war. Am wenigsten wollte ich ihr sagen, dass ich ihr dafür dankbar war. "Bitte, lass uns einfach schlafen, Faith. Lass uns den schönen Abend nicht verderben.", als Zeichen der Versöhnung zog ich sie näher an mich. Die laute Stimme in meinem Kopf namens Kira, die sich ebenfalls eine Versöhnung wünschte.

Faith's POV

Sein Verhalten war mir unerklärlich, wie so oft. Langsam machte ich mir Sorgen. Etwas stimmte nicht mit ihm. Manchmal fragte ich mich, ob er zwei Persönlichkeiten hatte. Diese ständigen Sätze, die nicht in den Zusammenhang passten. Oder dieses Fehlverhalten, welches er urplötzlich an den Tag legte, als ob er gereizt sei und im nächsten Moment die Ruhe selbst. Ich würde das im Auge behalten müssen, schließlich hatten wir einst besprochen, dass zwei Verletzte sich heilen konnten. Vorsichtig, um nicht einen weiteren verrückten Anfall seiner seits einzukassieren, drückte ich mich an ihn. "Du hast recht. So will ich mein erstes Mal wirklich nicht enden lassen." Für einen Moment schwieg er und fast dachte ich, er wäre eingeschlafen. Doch dann spürte ich, wie er sich zu mir drehte und mich ernst ansah: "Es war auch mein erstes Mal." Wage erinnerte ich mich an seine Worte bei mir im Zimmer, dass er mit Kira nie wirklich die Liebe gespürt hatte, wenn sie derart zusammen waren. Ich lächelte in die Nacht hinein. "Und weißt du was?", ich schwieg, wartete darauf, dass er die rhetorische Frage beantwortete. Seine Lippen zogen sich kraus, als ob er mit jemanden diskutieren würde und die folgenden Worte die Person treffen würden: " Ich hatte auch noch nie ein richtiges Date." Überrascht griff ich nach seiner Hand. "Oh.", kam es mir über die Lippen. Mir stand es nicht zu, über Kira zu urteilen, aber solche Sätze schockten mich. Was für eine Person musste Sie gewesen sein? "Heute war ein besonderer Tag.", murmelte Justin:"So viele erste Male." Müde gähnte er und ich stimmte ein. Eng kuschelte ich mich an ihn, bekam kaum noch mit, was er sagte: "Gute Nacht,Kira." Aber ich hörte ihn nicht mehr, schlummerte in meinen Träumen. Es waren gute Träume voll von Liebe und Justin.

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