Kapitel 60 - Gewonnen

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Kapitel 60 - Gewonnen

Tracy's POV:

Mit einer wuchtigen Feurigkeit, die ich schon lange nicht mehr verspürt hatte, lief ich mit großen Schritten aus meinem Zimmer. Energisch schloss ich die Tür hinter mir zu und der dumpfe Knall ließ mich lächeln. Ich war voller Feuer, voller Energie, Streitlustig. Heute würde ich das Rätzel lösen, ich würde jetzt auf Angriff gehen. Wenn ich mir zuvor Gedanken darüber gemacht hatte, dass Cody in all diesen mysteriösen Dingen verwickelt sein könnte, so war es mir jetzt egal. Meine Neugierde auf eine baldige Antwort war größer als das Verlangen meinen Ex-Freund zu schützen. Mir war bewusst, dass ich unser aller Leben in negative Weise prägen würde und vorallem Justin ein Messer in den Rücken rammte. Bieber war so unschuldig, wusste einfach nichts. Dennoch, dieses ganze Theater musste unbedingt beendet werden. Ich steckte das Tagebuch wieder hinter die Heizung, dort war es gut versteckt und Cody könnte keine weiteren Beweise verschwinden lassen. Ohne zu schauen, ob mich jemand beobachtete, lief ich in Codys Zimmer. Die Tür war offen, was nicht anders zu erwarten war. Morgens, bevor der Unterricht begann, waren die Gänge normalerweise leer und wenn Cody eine rauchen ging, achtete er nicht auf die Tür. All die Schüler, die sich um diese Uhrzeit doch mal in den Gang verirrten, würden sich eh nicht in sein Zimmer trauen.  Unbeholfen schaute ich mich in dem kleinen Raum um und konnte nichts auffälliges feststellen. Die Klamotten waren wahllos auf dem Body verteilt und umringten den Kleiderschrank. Das Bett war ungemacht. Die kahlen Wände waren noch immer nicht beschmückt und es sah einfach aus wie immer. Was hatte ich mir bloß gedacht? Dass ich in das all zu vertraute Zimmer kommen würde und quasi über die Lösung zu stolpern würde? Da war vorher schon nie was gewesen, weshalb sollte ich jetzt auf einmal etwas finden? Meine Idee, Cody könnte außer dem Tagebuch weitere Dinge Kiras versteckt halten, um Indizien zu vertuschen, konnte genauso gut schwachsinn sein. Ich presste die Lippen aufeinander und atmete tief durch die Nase. Wo suchen? Cody war noch nie die Leuchte gewesen, weshalb ich ihm ein kluges, ausgefallenes Versteck nicht zutrauen würde, aber andererseits, wenn er an Kiras Selbstmord oder Wahn beteiligt war, würde er da nicht jegliche Beweise unwiederrufbar vernichten?   Das Tagebuch, allerdings, existierte ja auch noch. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Mein Mund öffnete sich zu einem leisen Grinsen und ohne zu zögern lief ich auf den Schrank zu. Wenn ich dort zuvor das Tagebuch finden konnte, wieso auch nicht noch mehr? Die ausgerissene, letzte Seite musste existieren und nicht umsonst war Cody so erpicht darauf das Buch wieder zubekommen. Wieso also sollte die letzte Seite nicht dort liegen, wo auch der Rest war? Das letzte mal musste ich das Stück Papier einfach übersehen haben. Quietschend öffnete sich der Schrank und panisch sah ich mich im Zimmer um. Es war keiner da und niemand würde mich hören. Erleichtert atmete ich aus. Er würde mich umbringen, wenn er jetzt käme. Ich spielte mit dem Teufel und das wusste ich. "Wenn ich jetzt etwas finden sollte, dann würde ich das nicht ertragen, Cody Simpson.", flüsterte ich zu mir selbst: "aber dann bist du dran und ich habe endlich meinen Frieden. Wir alle haben ihn dann." Als erstes nahm ich mir seine Lederjacke vor, die mir in die Hände fiel. Dass er sich nicht trug, verwunderte mich. Vorsichtig, um nicht zu viele Laute von mir zu geben, grub ich in seinen Jackentaschen, als ich einen Fetzen Papier rascheln hörte. Mein Herz blieb stehen, meine Hand griff danach und einen kurzen Augenblick zögerte ich. Das alles konnte mein ganzes Leben verändern, meine Welt zerstören, aber auch etwas völlig Neues aufbauen. Mit geschlossenen Augen zog ich den Fetzen aus der Tasche und umklammerte das Papier, als ob es um mein Leben ginge. In dem Moment mein inneres Ich zerrissen von all den Möglichkeiten, die ich nun hatte. Sollte ich es nicht doch einfach lassen? Ohne weiter groß darüber nachzudenken, öffnete ich die Augen. Mein Herz schlug bis zum Halse, ich konnte nicht richtig atmen, geschweige denn denken und als ich die Seite umdrehte, setzte mein Herz aus. Es war ihr Gesicht. Es war Kira und ihr großes, übertriebenes Grinsen. Sie sah stolz aus, sie sah anmutig aus. Sie war wunderschön und auch, wenn sie lachte, sah sie todernst aus. Ihr Blick schien mich zu verspotten. Spöttisch sah sie mich an und ihr Grinsen schien mich auszulachen. Auszulachen, weil ich tatsächlich geglaubt hatte, das große Geheimnis der Kira entlarven zu können und stattdessen nur ein dämliches Foto von ihr in den Händen hielt. Mein Magen drehte sich um. Das Bild trug Cody immer mit sich rum, ich hatte es schon mehrmals gesehen und in meinen Fantasien eingetaucht hatte ich es völlig verdrängt und geglaubt, die Wahrheit in den Händen zu halten. Ein Schwall des Ärgers überkam mich und wütend funkelte ich das Miststück auf dem Bild an. Ihr Blick verriet, was sie dachte: "Ich habe gewonnen, wie immer. Du wirst es nie erfahren, du wirst mich nie verstehen." Sauer schüttelte ich den Kopf. Ich schlug gegen den Schrank, das Bild noch immer in den Händen. Ich lief einige Schritte im Zimmer her, versuchte meine Gedanken zu ordnen. Nein. Nein. Nein, nein, nein. Ich fühlte, wie ich verrückt wurde. Ich fasste mir an den Kopf, unterdrückte die Tränen. "Ich bleibe nicht weiter in die gefangen, Kira.", wimmerte ich. Ich musste das Geheimnis lösen, ich brauchte die Wahrheit. Vorher konnte ich mich nicht selber finden. Im Endeffekt war ich eine Kreatur, die Kira erschaffen hatte. Ich war eine Gefangene in meinem Körper und eine Seele, die nie die Möglichkeit hatte, sich zu entdecken. Wer war ich? Ich wollte ich werden. Mich finden. Eifersucht überkam mich. Nicht, weil mein Ex das Bild meiner Ex-besten-Freundin, die tot war, mit sich rumschleppte. Nicht, weil Cody sie schon immer geliebt hatte und ich es gewusst hatte. Nein, ich war auf sie eifersüchtig. Auf Kiras erbärmliches Leben. Sie hatte immer alles, sie bekam immer alles und selbst in ihrem Tod verspottete sie mich. Verzweifelt warf ich das Bild auf den Boden. Der kleine Fetzen segelte zu Boden. "Das lasse ich nicht zu, Kira! Hörst du? Ich lasse es nicht zu!", fuchsteufelswild duckte ich mich zu dem Bild runter. "Du hast lange genug Besitz über unser Leben ergriffen, aber damit ist jetzt schluss. Ich gebe nicht auf." Wütend zeigte ich mit dem Finger auf sie, als ob ich sie warnen würde: "Damit ist schluss, hörst du? Du hast noch nicht gewonnen, das Spiel ist nicht zu ende. Du hast immer gewonnen, aber jetzt suche ich weiter, bis ich gewonnen habe." In meinem Wahn trampelte ich auf das Bild: "Ich hasse dich, dafür, dass du mich und die anderen um unser Leben beraubt hast!". Ich ließ mich zu Boden fallen, klammerte das Bild an mich. Es sprudelte aus mir heraus. All die Wut, die Angst und der Hass der letzten Wochen, der letzten Jahre. Ich war wie verloren, ich war ein gebrochener Mensch. Im Grunde unseres Herzens waren wir alle gebrochen: Justin, Cody, Kira, Faith und ich. Wir alle, auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen. Ich staunte, wie kaputt Menschen werden konnte und damit umgingen. "Du hast nicht gewonnen.", schrie ich, egal, dass mich wer hätte erwischen können und zerfetzte das Bild in viele, kleine Einzelteile. Ich riss und riss, bis ich das Gefühl hatte, wieder atmen zu können. Ich hatte sie zerstört. Aber gewonnen, das hatte ich noch nicht. Mein Herz fühlte sich befreiter an. Losgelöst von den Feinden der Vergangenheit würde ich jetzt nur noch an mich denken.Ich war so dumm gewesen, all das nie früher herausgefunden zu haben.  Beruhigter kehrte ich mit den Handflächen die Schnipsel zusammen. Endlich hatte ich es ihr gesagt, wenn auch nicht Auge um Auge. Endlich hatte ich mich emanzipiert und sie als meine Vorgesetzte vertrieben. Kira würde mich nicht mehr beeinflussen. Ich war nicht Justin. Ich duckte meinen Kopf und zwängte mich unter das Bett, um einen weiteren Schnipsle aufzuheben, als ich die kleine Kiste sichtete, in der Cody seine Kippen aufbewahrte. Irgendwas, was genau wusste ich nicht, ritt mich dazu, sie hervorzuholen. Ich würde sie in Wasser tränken, jede Kippe. Ich würde nicht zulassen, dass Cody sich seine Schuld, wenn er diese besaß, oder seine Trauer mit Kippen milderte. Er sollte genauso leiden wie Justin und ich es taten. Rational durch den Schmerz gehen. Triumphierend kicherte ich, als ich samt Kästchen auf die Sammelduschen zulief. Hastig stöpselte ich das Waschbecken zu und ließ das Wasser in das Becken. Schnell war es gefüllt. Mit Heben des Deckels der Kiste fühlte ich mich mächtig. Nie hatte er mich an seine Zigaretten-Kiste gelassen. Die Kiste war sein Heiligtum, die Kippen waren sein Heiligtum. Vermutlich waren diese die einzige Sache, neben Kira, die er je wirklich geliebt hatte. Ohne groß zu überlegen kippte ich die Kiste ins Wasser und sah zu, wie jede Zigarette sich auflöste. Die Kiste warf ich lachend mitten in den Raum und in dem Moment war ich so befreit, wie lange nicht mehr. Wie viele Kippen mochten das sein? 5 Pakete? Die Kippen schwammen im Wasser und einige Sekunden sah ich dem Theater einfach nur zu. Plötzlich öffnete sich die Tür und ein Mädchen aus der Mittelstufe trat ein. "Oh.", erschrocken sah sie mich an. Vermutlich wusste sie nicht, wie sie mich behandeln sollte. Als Freundin von Cody war ich mächtig gewesen, jetzt war ich ein einfach es Victim. Wobei, wir waren alle Victims. "Ich will mit dem Rauchen aufhören.", erklärte ich schlicht, als sie mein Kippen-Desaster betrachtete. "Okay.", sie zuckte hilflos mit den Achseln: "Und was ist das da? Soll das auch weg?", sie hob ich beidseitig beschriftetes Blatt auf, was mir zu Boden gefallen sein musste beim Auskippen der Kiste. "Ja, wirf weg.", ich drehte mich weg und sah grinsend aus den Augenwinkeln, wie sie Codys Eigentum ertränkte und das Bad verließ. Die Kiste war sein Heiligtum. Nie durfte ich da ran. Der Inhalt war sein Eigentum. Der ganze Inhalt, die Kippen und dieses... Mein Herz setzte aus und eine tiefe Leere durchzuckte mich. Vorsichtig drehte ich mich um. Versuchte meine Gedanken zu verstehen und urplötzlich stürzte ich mich auf das Waschbecken und stürzte mich auf das Papier. Die Schrift war verschwommen, aber noch mühselig lesbar. Liebes Tagebuch, ich schreibe dir heute ein letztes Mal... Ich erstarrte. Es fügte sich alles zusammen. "Gewonnen.", flüsterte ich:" Ich habe zum ersten Mal gewonnen, Kira und du? Du hast das erste Mal verloren. Gewonnen."

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Wow, ich habe fast einen Monat nicht mehr geupdatet. Das tut mir leid. Ich hoffe, ihr lest trotzdem noch :/ Liebe Grüße und ein dickes Entschuldigung, eure Cece


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