Kapitel 66 - Mir bedeutet es aber was!

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Kapitel 66 - Mir bedeutet es aber was!

Faith's POV

Eines der bedeutsamsten Dinge im Leben eines Menschen sind jene, die das gesamte bisherige Leben vollkommen verändern und man sich bewusst ist, dass es absolut nie wieder so sein wird wie zuvor.
Und da war dieser Moment. Ungeduldig wartete ich vor dem Musiksaal. Auf und ab. Auf und ab. Ich lief einfach nur auf und ab. Justins und mein Leben würden sich gleich ändern. Wenn ich mir dabei über eine Sache sicher war, dann, dass es sich um keine gute Änderung unserer Leben handeln konnte. Wie wird er reagieren? Was wird es sagen? Was um Gottes Willen würde ich sagen? Die Angst fraß mich von innen auf und bohrte sich immer weiter durch mich hindurch. Ich hatte in meinem Leben viel durchgemacht, aber dennoch war es unvergleichbar mit dem, was Justin die letzten Jahre erlebt hatte. Doch das schlimmste musste er wohl jetzt in diesem Moment erleben. Er musste feststellen, dass er seelisch krank war und Kira tot war. Justin musste lernen, dass er körperlich und seelisch misshandelt wurde, obwohl dieselbe Person, die ihm das angetan hatte, ihn wirklich und wahrhaftig geliebt hatte. Wäre sie nicht selber krank gewesen. Vor allem aber, erfuhr er den Grund für Kiras Selbstmord und die Last der eigenen Schuldfrage musste von seinen Schultern fallen.
Wie es mit Justin und mir weitergehen wird, entscheidet sein Zustand, seine Reaktion. Die nächsten Minuten würden über unsere Beziehung entscheiden.
Es regte sich nichts. Meine Gedanken kreisten und fühlten sich schon fast greifbar an. Zermürbt von meinen Gedanken und krank vor Sorge hielt ich es einfach nicht mehr aus und griff beherzt zur Tür. Einen kurzen Moment hielt ich inne. Egal was kommen mochte, ich würde Justin helfen und ihm zur Seite stehen. Das war ein Versprechen an mich selbst.

Ich hatte wirklich mit allem gerechnet: einem Justin, der völlig aufgelöst in der Ecke kauerte und in ein tiefes Loch gefallen war oder einem Justin, der voller Wut die teuren Instrumente zerstört hatte. Womit ich jedoch nicht gerechnet hätte, war das Bild, was sich vor mir abspielte. Seelenruhig saß er mit dem Rücken zu mir an dem Klavier. Still und leise starrte er nach unten. Vorsichtig schloss ich die Tür und ging auf ihn zu. "Justin?", meine Stimme bebte. Zögerlich legte ich ihm meine Hand auf seine Schulter und schaute ihn einfach nur an. Konzentriert umklammerte Justin das Holz an dem Klavier. Das Tagebuch lag auf dem Holzdeckel, der die Tasten schützen sollte. Mit leerem Blick hafteten seine Augen darauf. Er schien es aber nicht zu lesen. Ich hielt es für unangebracht ihn jetzt einfach anzusprechen und aus seinen Gedanken zu reißen. Zu gerne hätte ich gewusst was ihm durch den Kopf ging. Mir ging jedenfalls eine Menge durch den Kopf. Ich fühlte mich hilflos und allein mit der Aufgabe einem jungen Mann die Trümmer seines Lebens schwarz auf weiß zu zeigen. Vielleicht war es auch der falsche Weg das Ganze allein zu bewältigen. Ich hätte zu einem Lehrer gehen sollen, seine Mutter verständigen sollen oder gar einen Psychologen hinzuziehen sollen. Das hätte Justin mir jedoch nie verziehen, genauso wenig wir Tracy oder Cody. Aber hätte ich nicht mit mir selber genug zu kämpfen? Man sagte, dass sich Menschen mit seelischen Problemen aus Angelegenheit, die noch schlimmer waren als die eigenen, raushalten sollten. Aber wer sagte das bis auf der normale Menschenverstand und Menschen, die sowieso keine Probleme hatten? Konnte man sich überhaupt raushalten, wenn es sich dabei um Personen handelte, die einem etwas bedeuteten? Mehr als man sich selber je etwas bedeuten kann? Menschen wie ich zogen Probleme einfach nur an , redete ich mir ein.

Plötzlich regte er sich. Langsam, wie in Zeitlupe drehte er sich in meine Richtung. "Weißt du, was ich nicht verstehe?", er klang heiser. Die Kühle, die seine Worte besaßen, ließ das Blut in meinem Körper gefrieren. Er schockierte mich. Ich wusste nicht genau was es war, aber seine Stimme zu hören machte die ganze Sache nur noch schlimmer. Obwohl er nicht so verletzt klang, wie ich vermutet hatte, drehte sich mein Magen bei seinen Worten um. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er war zu gefasst. Seine Worte hatten solch einen anschuldigenden Ton, dass ich mich schon fast selber als Schuldige fühlte. Justin ließ mir nicht die Zeit, die ich benötigt hätte, um zu antworten. "Ich verstehe es einfach nicht, Faith. Ich wusste, dass du eifersüchtig sein würdest. Ich wusste, du würdest es irgendwann rausfinden. Das mit Kira. Aber wieso fälschst du so ein persönliches Tagebuch zu deinen Gunsten, um Kira als Monster darzustellen? Du glaubst doch nicht wirklich, dass das stimmt, was da steht, oder? Bestimmt hast du dich mit Tracy zusammengetan und die Lügen mit ihr geschrieben." Und da war es. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Hier stimmte absolut nichts.

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