Kapitel 1

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Die flammenfarbene Katze saß an einem silbern glänzenden Teich. Überall um sie herum konnte sie funkelnde Sterne sehen, aber es war überhaupt nicht dunkel. Der steinige Boden unter ihren Pfoten war eisig kalt und sie spürte die Pfotenabdrücke vieler Katzen, die vor ihr an diesem Ort gewesen waren. Schlagartig wurde ihr bewusst wo sie sich befand: Es musste der Mondsee sein. Doch wie war sie hier her gekommen? Sie konnte sich noch genau daran erinnern, dass sie sich in ihr Nest im Kriegerbau gelegt hatte, bevor sie eingeschlafen war. Träumte sie also? Nein, das konnte nicht sein, dafür fühlte sich alles viel zu real an. Prüfend blickte sie sich um, konnte jedoch keine Katze entdecken.

Plötzlich erschien jedoch wie aus dem nichts eine blaugraue Katze mit Sternenstaub in ihrem Fell am Rand des kleinen Sees. Die Kätzin, deren tiefblaue Augen ernst funkelten, kam stolzen Schrittes auf sie zu und begann, als sie nur noch etwa eine Fuchslänge von ihr entfernt war, zu sprechen:

„Sei gegrüßt Flammenblüte. Du wirst mich nicht erkennen, denn ich starb noch bevor du geboren wurdest. Aber es reicht vollkommen, dass ich dich kenne." Bei der seltsamen Begrüßung legte die flammenfarbene Kriegerin ihren Kopf schief. Sie musste wohl tatsächlich träumen - ihre Phantasie ging wohl mit ihr durch.

Die blauen Augen der Kätzin blitzten wissend. „Wir haben dich beobachtet und als würdig befunden."

Verwirrt blickte Flammenblüte sich um, auf der Suche nach diesem fragwürdigen 'wir'. Erfolglos. Es befanden sich nur die Kätzin und sie hier am Mondsee. Ob es sich bei der Blaugrauen um eine SternenClan - Katze handelte? Selbstverständlich hatte sie schon oft von den Katzen des SternenClans gehört, aber nicht gedacht, je persönlich mit einer sprechen zu dürfen, zumindest, bevor sie selbst einmal starb. Sie war immerhin keine Heilerin wie ihre Schwester und es war auch sehr unwahrscheinlich, dass sie eines Tages Anführerin wurde.  Wer diese Kätzin wohl war? Wenn Flammenblüte raten müsste, würde sie sagen, dass es sich um Blaustern - ehemalige Anführerin ihres Clans und Mentorin ihres Vaters - handelte. „Würdig wofür?", sprach sie die erste Frage aus, die ihr in den Sinn kam.

Die blaugraue Kätzin nickte, weiterhin lag dieses wissende Funkeln in ihren klaren Augen. „Der See wird sterben. Zu dritt werdet ihr zu den Wolken gehen und Feuer sein. Nur so kannst du die Clans retten."

Ein unnatürlich starker Wind kam auf und zerzauste Flammenblütes Fell. Staub wurde ihr in die Augen geweht, sodass sie diese zukneifen musste. Noch bevor sie  begriff, dass sie gerade eine Prophezeiung gehört hatte, löste sich die SternenClan-Kriegerin langsam auf. „WARTE! Was meinst du damit?", jaulte Flammenblüte, doch die Kätzin war schon verschwunden und mit ihr hatte sich auch der Sturm gelegt. Es war, als hätte Blaustern nie vor ihr gestanden. Nun begann auch der Rest des Teiches langsam zu verschwinden und Flammenblüte, die noch immer wie erstarrt neben dem Teich stand, fiel in einen unruhigen Schlaf.


Wild um sich schlagend erwachte Flammenblüte am nächsten Morgen in ihrem weichen Nest. Noch leicht zerzaust setzte sie sich auf und blickte sich im Bau der Krieger um. Er war, bis auf Dornenkralle und Lichtherz, die in der anderen Ecke des Baus schliefen, verlassen. Auch das Nest neben ihrem, in dem normalerweise Regenpelz, ihr Gefährte, schlief, war bereits kalt. Sie musste verschlafen haben! Nach einer schnellen Wäsche stürzte die flammenfarbene Kriegerin auf die Lichtung, die schon in gleisendes Sonnenlicht getaucht war. Der kalte Wind des Blattfalls zauste ihr Fell und wirbelte auf der Erde liegende Blätter auf. Um sie herum herrschte reges Treiben. Farnpelz, Sandsturm und Weißpfote kamen gerade durch den Lagereingang marschiert, jeder mit mehreren Beutestücken beladen. Brombeerkralle und Beerenpfote besserten die Wände der Kinderstube aus und Mausefell und Langschweif sonnten sich neben einem Baumstumpf. Der Rest des Clans war wohl schon auf Patrouille oder beim Jagen. Flammenblüte fauchte wegen ihrer Schussligkeit. Wie sollte ihr ihr Vater je einen Schüler geben, wenn sie nicht einmal dazu in der Lage war, rechtzeitig aufzustehen? Dabei hatte sie doch so gehofft, dass eines von Ampferschweifs Jungen, ihre Schülerin werden könnte. Sie beschloss gleich zu Brombeerkralle zu gehen und ihm ihre Hilfe anzubieten.

Da erinnerte sie sich an ihren Traum und ihr wurde klar, dass sie wohl so schnell keine Mentorin werden würde, wenn sie den Teil, der von 'zu den Wolken gehen' sprach richtig interpretierte. Hier zuhause würden diese Wolken wohl kaum sein. Ein Schaudern lief ihr ihren Rücken hinunter. Sie sollte wohl erst einmal zu Blattsee gehen und ihr von dem Traum erzählen, bevor sie irgendwelche wilden Spekulationen anstellte.

Ihre Schwester würde ihr bestimmt helfen können, schließlich war sie die Heilerin des DonnerClans. Entschlossen lief sie zum Heilerbau hinüber und stieß beinahe mit Ampferschweif zusammen, die  in diesem Moment aus dem Bau gestürzt kam. „Flammenblüte! Kannst du mir helfen? Ich kann Honigjunges nirgends finden. Ich habe mich mit Minka unterhalten und plötzlich war meine Kleine weg!" Ampferschweif war ganz hysterisch vor Sorge um ihr Junges. Sie sprach so gehetzt, dass es ein paar Herzschläge dauerte, bis der Inhalt ihrer Worte von Flammenblüte erfasst werden konnte. Sofort war die rote Kriegerin in Gedanken bei dem Fuchs, den Staubwolke gestern in der Nähe des Lagers gesehen hatte. Was, wenn er wiederkam und das Junge schutzlos fand?

„Natürlich helfe ich dir!", antwortete die flammenfarbene Kätzin augenblicklich, „wo hast du denn schon gesucht?"

„Im Heilerbau, auf der Lichtung und natürlich in der Kinderstube. Was ist, wenn sie das Lager verlassen hat?" Verzweiflung stand in Ampferschweifs Augen.

„Dann werden wir sie auch finden", Flammenblütes Stimme klang sicherer, als sie sich fühlte, „Such du im Schülerbau, ja? Ich werde beim Kriegerbau nachschauen und vielleicht finde ich auch gleich noch ein paar Katzen, die uns bei der Suche helfen." Schon stürmten die Kätzinnen in entgegengesetzte Richtungen davon. Im Kriegerbau konnte sie das goldbraune Junge nicht finden, aber dafür boten Lichtherz und Dornenkralle, die gerade erst aufgewacht waren und noch etwas zerzaust wirkten, ihre Hilfe bei der Suche an. Auch Mauspfote und Haselpfote suchten bald darauf ebenfalls nach dem Jungen und es dauerte nicht lange, bis das ganze Lager in Aufregung war. Sie konnten Honigjunges nirgends finden!

Brombeerkralle war bereits dabei, Suchpatrouillen einzuteilen, als  Flammenblüte eine Idee kam. Ohne ein Wort an ihre Clangefährten zu richten, trottete sie zu der Felswand, die das Lager umzäunte. Etwas schwerfällig kletterte sie von einem Vorsprung zum anderen, hoch zum Bau ihres Vaters. Oben angekommen konnte sie ein mitleiderregendes Quieken hören. Das Junge! Sie schaute sich suchend um, konnte das goldene Fell von Honigjunges aber nirgends entdecken. Flammenblüte ging vorsichtig zum Rand der Hochnase und blickte über das Lager hinweg, als sie ein weiteres Quieken hörte. Es hörte sich an als ob es von direkt unter ihr kam. Sie warf vorsichtig, damit sie nicht aus versehen ausrutschte und hinabstürzte, einen Blick nach unten und blickte direkt in Honigjunges ängstliche Augen. Das Kätzchen hing mit nur zwei Pfoten am Rand der Hochnase und drohte hinab zu stürzen! Wie hatte das von unten nur keiner bemerken können? Ein Sturz aus dieser Höhe könnte einen ausgewachsenen Krieger töten! Schnell beugte sich Flammenblüte vor und packte das Junge am Genick, genau in dem Moment, als es sich nicht mehr festhalten konnte. Die Kätzin schwankte gefährlich, unter ihren Pfoten lösten sich einige Kiesel und fielen drohend hinab in den Felsenkessel. Vor Anspannung ächzend lief sie langsam rückwärts. Immer weiter schob sie sich bis zur Felswand zurück, erst dann fühlte sie sich sicher genug, um aufzuatmen. Sie lebten!

Auf unsicheren Beinen kletterte Flammenblüte die Felswand wieder hinab, wobei sie auf halbem Weg von ihren Clangefährten bemerkt wurde. Unten empfing Ampferschweif sie stürmisch. Erleichtert nahm die Königin Honigjunges an sich, die sich noch immer verängstigt, an den Bauch der Kätzin drängte. Ampferschweif trug das Junge in die Kinderstube und bedankte sich bei allen, die ihr beim Suchen geholfen hatten. Nun, da Honigjunges wohlbehalten zurück war, gingen diese bereits zurück an ihre Arbeit.

Schließlich kam die schildpattfarbene Kätzin sich überschwänglich bedankend zurück zu Flammenstern. Auch wenn diese bestritt, dass es sich um keine große Sache handelte, war sie insgeheim doch ziemlich stolz auf sich. Wäre sie nicht gewesen, würde Honigpfote nun vielleicht nicht mehr leben! Ganz plötzlich spürte sie jedoch, wie Ampferschweifs Stimmung umschwang. Die Königin schaute sich um, als wollte sie sicherstellen, das keiner zuhörte und fragte mit überraschend beleidigter Stimme: „Warum hast du nichts gesagt? Ich dachte wir wären Freundinnen! Wann ist es soweit?"

Flammenblüte blickte sie verwundert an. Hatte sie irgendetwas wesentliches verpasst? „Was hab ich nicht gesagt? Was ist wann so weit?"

Unglauben blitzte in Ampferschweifs Augen auf. „Wann du in die Kinderstube umziehst natürlich!", schnurrte sie amüsiert

Warrior Cats - Die Tochter des FeuersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt