Kapitel 6

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»... und die ersten zwei Semester sind echt die härtesten, weil man da ja alle Grundlagen macht, aber danach ist es echt total entspannt. Ich will unbedingt beim Fernsehen arbeiten, aber dafür brauche ich ne Menge Praktika, um überhaupt eine Chance zu haben, genommen zu werden. Aber ich arbeite hart und...«
Sara führte diesen Monolog nun schon seit bestimmt einer Stunde, während wir auf der Campuswiese saßen, um die letzten Sonnenstrahlen des Sommers zu genießen. Nachdem Sara mir vor zwei Wochen geholfen hat meinen Raum zu finden, haben wir uns einige Tage später in der Bibliothek wieder getroffen und verbringen seitdem viel Zeit miteinander.
Ich würde nicht unbedingt behaupten, dass wir Freunde geworden sind, aber wir hängen in unseren Freistunden miteinander ab. Man könnte meinen Sara sei äußerst anstrengend, da sie ständig nur von sich selbst redete. Ich sah das jedoch nicht als allzu großes Problem, denn je mehr Sara von sich erzählte, desto weniger musste ich mit ihr über mich selbst reden.

Und das war nun wirklich das Letzte, was ich wollte. Ich wollte nicht, dass sie mehr über meine Beziehung erfuhr als gut für sie war. Auch wenn es bei Logan und mir wieder besser lief, an manchen Tagen schaffte er es einfach nicht, seine Wut unter Kontrolle zu bringen. Ich konnte oft sehen, wie sie unter der Oberfläche schlummerte und er mit Mühe versuchte, sie nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Es war nie wieder so schlimm gewesen, wie an dem Tag vor zwei Wochen und ich wusste, dass er sich bemühte, also tat ich es auch. Ich bemühte mich ihm zu verzeihen. Wieder und wieder, alles was er mir antat.

Plötzlich durchströmte ein stechender Schmerz meine Schulter und ich atmete zischend ein. Sara hatte mich leicht geboxt, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Natürlich musste sie dabei genau die Stelle meiner Schulter treffen, die ein riesiger blauer Fleck zierte. Das komische war, dass ich keine Ahnung hatte, woher dieser Fleck überhaupt kam.
»Hey, Avery! Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ähm, ich... klar! Ja, da stimme ich dir zu!«
»Ich wusste es! Ich wusste, dass ich nicht die Einzige bin, der auffällt, dass Jared immer zu mir schaut, wenn wir beide hier zusammen sitzen. Es scheint, als würde er was von mir wollen. Vielleicht sollte ich mal zu ihm gehen. Was meinst du?«
Als Sara seinen Namen sagte, zog sich etwas in mir zusammen. Seit dem Tag in der Mensa hatte ich immer wieder versucht mit Jared zu sprechen, aber er blockte jedes Mal total ab. Er tat, als würde er mich nicht kennen und drehte, wann immer er mich sah, um und verschwand irgendwo anders hin. Ich hatte das Gefühl, dass er wegen irgendetwas sauer sei, aber wüsste nicht weshalb, denn dafür kannten wir uns wirklich nicht gut genug.

»Avery, schau mal, da steht er wieder«, flüsterte Sara mir zu.
Unauffällig drehte ich meinen Kopf in die Richtung in die sie schaute. Und tatsächlich, da stand Jared an einer Mauer gelehnt, die Hände in beiden Hosentaschen steckend und seine rehbraunen Augen direkt in meine blickend.
Seine Miene war eiskalt und ich konnte beim besten Willen nicht erkennen, was er gerade dachte. Mir gefiel dieser Ausdruck auf seinem Gesicht nicht. Er passte nicht zu dem Jared, den ich kennengelernt hatte.
Für wenige Sekunden die mir wie eine Unendlichkeit vorkamen, starrten wir uns gegenseitig an, bis er einfach wegging. Schon wieder. Das konnte doch nicht ewig so weitergehen. Ich würde ihn endlich zur Rede stellen und nicht nachgeben, bis er mir sagte, was los ist.
»... mich wieder angestarrt. Ich glaube, ich sollte den ersten Schritt machen. Am besten jetzt gleich, oder? Bis später dann!«
Bevor ich mich von Sara verabschieden konnte, war sie auch schon verschwunden. Leise seufzte ich auf und packte meine Sachen in meine Tasche, um anschließend wieder ins Gebäude zurück zu gehen.

Vielleicht sollte auch ich Jared suchen gehen, um endlich mit ihm zu reden. Ich konnte einfach nicht mehr diese Kälte in seinen Augen sehen. Und falls es für ihn unmöglich wäre, mich anders anzusehen, hätte ich zumindest gerne gewusst, womit ich das verdiente.
Glücklicherweise hatte ich als nächstes eine Vorlesung, die auch Jared besuchte, sodass es nicht allzu schwer werden würde ihn aufzusuchen. Entschlossen lief ich los in Richtung Hörsaal. Wie sollte ich das Gespräch beginnen?
Ich könnte natürlich zunächst ein unverfänglicheres Thema ansprechen, in dem ich zum Beispiel eine Frage zu der Vorlesung stellte. Oder wie wäre es mit »Hey Jared, gibt es einen Grund weshalb zu mich so eiskalt ansiehst und mich behandelst, als wäre ich Dreck? Wäre super, wenn du mich aufklären könntest«.
Wäre das zu direkt? Aber es war genau die Frage, die ich mir seit Wochen immer und immer wieder stellte. Warum sollte ich sie dann also nicht einfach stellen?

»Pass doch auf, wo du hinläufst!«, rief plötzlich eine äußerst bekannte Stimme, während mein Hintern unsanft Bekanntschaft mit dem Boden machte. Jared. Als er realisierte, wer ihn da angerempelt hatte, wechselte seine Miene von wütend zu besorgt, nur um einen Sekundenbruchteil später wieder eine eisige Kälte auszustrahlen.
Er konnte behaupten, was er wollte; ich hatte die Sorge in seinen Augen gesehen. Er konnte mich nicht hassen.
»Jared, was ist los? Warum bist du so zu mir?«, fragte ich, jedoch nicht mit fester, entschlossener Stimme, wie in meiner Vorstellung. Die Worte die aus meinem Mund kamen, waren eher ein verzweifeltes Flehen. Während er anscheinend überlegte, was und ob er mir antworten sollte, stand ich langsam wieder auf und blickte ihm direkt in die Augen. Mein Atem ging schnell und ungleichmäßig, da ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Würde er wegrennen? Mich anschreien? Schweigen? Und dann – entgegen all meiner Vorstellungen – setzte er zum Reden an.

»Was willst du eigentlich von mir? Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Du bist so verdammt anhänglich und nervig. Nur weil wir zweimal miteinander gesprochen haben, sind wir noch lang keine Freunde, also hör endlich auf mir hinterher zu laufen.«
Diesmal ging er nicht weg, sondern blickte mir intensiv in die Augen. Wahrscheinlich wollte er sehen, wie ich reagierte. Aber den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Ich würde ihm nicht zeigen, wie sehr mich seine Worte verletzt hatten. Und ganz bestimmt würde ich jetzt nicht anfangen zu weinen.
Aber hatte er nicht irgendwie Recht? Was waren wir überhaupt? Menschen, die sich paarmal unterhalten haben - mehr nicht. War ich echt so blöd zu glauben, wir könnten so etwas wie Freunde sein?

Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich wusste nicht einmal warum. Ich war enttäuscht, wütend auf ihn und vor allem wütend auf mich und meine Naivität. Bevor die Gefahr bestehen konnte, dass meine Tränen zu fließen begannen, wandte ich mich schnell ab.
Diesmal war ich diejenige, die ging.

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