Kapitel 63

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Mit offenem Mund saß ich auf meinem Bett gegenüber von Jared. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich behaupten, etwas hätte mir wirklich die Sprache verschlagen. Ich wusste einfach nicht, was ich davon halten sollte.
Jared hatte mir erzählt, wie er vor zwei Tagen zu Logan gegangen war, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen und wie er dort auf seinen Vater getroffen hatte. Er hatte auch von Logans Nervenzusammenbruch gesprochen und davon, wie sein Vater ihn auch heute noch behandelte. Dass er immer noch nur Beleidigungen für ihn übrig hatte und die ganze Begegnung mit seinem Vater erst wieder sein Kindheitstrauma hervorgerufen hatte. 

Jared hatte Logan versprochen, für ihn da zu sein und ihm bei der Bewältigung seiner Probleme behilflich zu sein. Ich wusste ja von Jared bereits, dass Logan keine einfache Kindheit hatte, aber ich hätte auch nicht gedacht, dass es Logan auch heute noch so sehr belastete und dass das der Auslöser war, für alles was passiert ist.
So langsam ahnte ich, weswegen Logan mit mir reden wollte und weshalb es ihm nichts ausmachte, dass Jared mitkam.
Jared hatte ihm geholfen, als er nicht mehr konnte. Genau, wie er mir geholfen hatte.

"Alles klar?", fragte Jared zögerlich. "Du starrst jetzt seit bestimmt zehn Minuten die Luft an."
Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen und sah dann Jared an.
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll.", gab ich zu.
"Das heißt, du bist nicht irgendwie sauer auf mich? Ich würde es verstehen, wenn du sauer wärst."
"Nein. Nur... überrascht. Ich wusste nicht, dass Logan so eine Last mit sich herumschleppt."
"Das wusste niemand. Aber ich muss ihm einfach helfen, ich kann nicht wieder einfach nur zusehen, wie er zerbricht.", sagte Jared leise.

"Ich kann das aber nicht Jared. Ich kann es nicht." Meine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung und ich merkte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.
Jared rückte näher zu mir und nahm meine Hände in seine.
"Was kannst du nicht, Avery?", flüsterte er leise.
"Ich verstehe ja, er ist dein Bruder und du willst ihm helfen, aber ich kann es einfach nicht. Bitte, erwarte das nicht von mir." Ich wusste nicht, woher diese plötzliche Panik kam, aber sie sorgte dafür, dass meine Stimme zu zittern begann. 

Jared merkte ebenfalls, dass etwas mit mir nicht stimmte und legte seine Hände an meine Wangen, während er mir intensiv in die Augen sah.
"Was meinst du? Du weißt, ich würde nie etwas von dir erwarten, was du nicht tun kannst."
Seine Worte sorgten dafür, dass die ersten Tränen meine Augenwinkel verließen und über meine Wange zu Jareds Händen flossen.
"Ich kann ihm nicht verzeihen.", wisperte ich weinend, während mein Körper bebte. Jareds Gesichtsausdruck wurde - falls überhaupt möglich - noch weicher als zuvor und er lehnte seine Stirn gegen meine, so wie er es öfter tat.

"Ich würde das niemals von dir erwarten, Avery. Hörst du? Niemals. Dass ich ihm helfen will, bedeutet nicht, dass du wieder etwas mit ihm zu tun haben musst. Du musst ihm deswegen nicht verzeihen, denn was er dir angetan hat, war einfach schrecklich."
Obwohl Jareds Worte mich etwas beruhigt hatten, konnte ich nicht aufhören zu weinen.
"Hey Süße, es ist alles in Ordnung. Bitte wein nicht, es bricht mir das Herz, dich so zu sehen. Wir müssen auch gar nicht mit Logan reden, wenn du nicht willst. Ich sage ihm, dass es nicht geht und wir bleiben einfach hier. Du sollst dich meinetwegen zu nichts verpflichtet fühlen. Okay?"

Nachdem er diese Worte gesagt hatte, war es um mich geschehen. Auch wenn ich jetzt erst merkte, dass es schon lange so war, realisierte ich endlich, wie viel er mir eigentlich bedeutete.
Ich lehnte mich ein Stück nach vorne und schloss die Lücke zwischen uns, indem ich meine Lippen auf seine legte.
Sofort vergrub er seine Hände in meinen Haaren und drückte mich noch etwas fester an sich, während ich meine Arme um seinen Nacken legte. Obwohl es kein langer Kuss war, hatte sich mein Puls dermaßen beschleunigt, dass ich das Gefühl hatte, ich sei einen Marathon gelaufen.

Nachdem ich meine Atmung wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, vergrub ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge und verteilte federleichte Küsse auf seiner Haut, während er mich weiterhin festhielt.
"Also, bleiben wir einfach im Bett und sehen uns einen Film an?", fragte er leise.
Womit hatte ich jemanden wie Jared nur verdient? Ich konnte nach all unserer gemeinsamen Zeit immer noch nicht glauben, wie liebevoll er war.
"Ich liebe dich.", nuschelte ich gegen seine Halsbeuge und spürte ganz genau, wie er für einen Moment aufhörte zu atmen. Tatsächlich waren das nicht die Worte gewesen, die ich sagen wollte, aber sie waren einfach so aus meinem Mund gekommen, als ob ich keine Kontrolle darüber hätte, was ich sagte.

Aber es stimmte nun einmal. Ich liebte Jared wirklich. Ich liebte ihn. 
"Ich liebe dich, Jared.", wiederholte ich noch einmal, weil ich diese Worte unbedingt noch einmal bewusst aussprechen wollte; und es fühlte sich einfach fantastisch an. Am liebsten hätte ich diese Worte aus dem Fenster geschrien, sodass jeder wusste, was ich für ihn empfand.
Im nächsten Moment spürte ich Jareds Finger an meinem Kinn, die mein Gesicht vorsichtig zu sich drehten. 
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er mir tief in die Augen sah und die Worte sagte, die mich zur glücklichsten Person auf der Welt machten.

"Ich liebe dich, Avery." Seine Stimme klang dabei so warm und liebevoll, dass die Gefahr bestand, dass ich wieder in Tränen ausbrechen würde. Er beugte sich zu mir nach vorne und küsste mich erneut auf den Mund. 
Diesmal war der Kuss weder kurz noch unschuldig. 

Irgendwie war ich auf dem Rücken gelandet und Jared beugte sich über mich, während er begann meinen Hals zu küssen. Langsam arbeitete er sich tiefer zu meinem Schlüsselbein und verteilte überall seine liebevollen Küsse. Als er sichergestellt hatte, dass er keine Stelle vergessen hatte, widmete er sich erneut meinem Mund und strich mit seiner Zunge über meine Unterlippe, sodass ich meinen Mund leicht öffnete und seiner Zunge Einlass gewährte.

Nachdem wir wenig später erschöpft Luft holen mussten, lehnte er seine Stirn an meine und schloss seine Augen.
"Verdammt, und wie ich dich liebe, Avery."



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