Kapitel 11

3.6K 218 13
                                    

Nachdem mein Handy mit einem lauten Knall auf dem Boden landete, wurde es im Zimmer so still, dass das einzige wahrnehmbare Geräusch unsere Atmung war.
Ich musste taktisch vorgehen, musste versuchen, Logan irgendwie zu besänftigen, damit er im Nachhinein nichts tuen würde, was er später bereuen könnte.

Also trat ich einen Schritt näher an Logan heran und hob ergebend meine beiden Hände in die Luft.

"Logan, bitte hör mir zu...", sagte ich flehend, bevor er mich mit harscher Stimme unterbrach.
"Ich bin es leid, mir deine Lügen anzuhören!"
Seine Stimme klang bedrohlich und obwohl er schrie, verschreckte er mich nicht. Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu und legte meine Hand an seine Wange, um ihm anschließend tief in die Augen zu sehen.

"Es läuft nichts zwischen Jared und mir. Das war nur ein kleiner Scherz in der Nachricht, mehr nicht"
Bevor er etwas antworten konnte redete ich schnell weiter.
"Du musst dir da wirklich keine Sorgen machen, es gibt kein Jared und ich und das wird es auch nie geben."

Ich war selbst überrascht, wie ruhig und leise meine Stimme klang, obwohl ich Angst hatte. Denn ich wusste nicht, zu was Logan in der Lage war zu tun und wie weit er tatsächlich gehen würde.

Jetzt lag es jedoch an ihm, wie diese Situation ausgehen würde. Lange Zeit sagte er gar nichts und sah mir einfach nur in die Augen. Ich versuchte, in ihnen zu erkennen, in welcher Stimmung er gerade war, aber er war schon immer ein Meister im Verstecken seiner Gefühle gewesen.

"Avery..."
Seine Hand hob sich zunächst bedrohlich, dann vergrub er sie jedoch in meinen Haaren, anschließend sanft über meinen Kopf zu fahren.

"Meine allerliebste Avery."
Plötzlich formte er die Hand zu einer Faust, bekam somit einige Strähnen meiner Haare zu fassen und zog meinen Kopf ruckartig nach hinten. Entsetzt schrie ich auf.
Trotzdem ließ er nicht los und zog meinen Kopf Stück für Stück weiter zurück.

"Wir hatten dieses Gespräch doch schon so oft, Av. Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen, schon gar nicht von dir. Also glaub mir, wenn ich dir sage: Sollte sich mein Verdacht bestätigen und du hast etwas mit Jared am Laufen, dann wirst du die Konsequenzen zu spüren bekommen. Ist das klar?"

Ich war wie erstarrt. Meine Augen hatte ich vor Schock aufgerissen und ich konnte nicht aufhören, ihn anzuschauen.

Was tat ich hier überhaupt? Warum ließ ich mir das alles von Logan gefallen? Er hatte kein Recht mich so zu behandeln, oder? Oder war ich selbst an meiner Situation Schuld? Bei anderen Paaren lief es doch auch nicht so, wie bei uns. Lag der Fehler also vielleicht bei mir?

Im nächsten Moment spürte ich einen heftigen Schmerz an meinem Oberarm und ich löste mich endlich aus meiner Starre. Ein kurzer Blick nach unten bestätigte meine Vermutung.
Logan umfasste meinen Arm so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

"ANTWORTE, verdammt!"

Ich wollte antworten, aber ich konnte es nicht. Egal wie sehr ich es versuchte, ich bekam nicht weiter raus als ein Stammeln.
"Ich... Ich... I..."

"WAS du???"
Ich konnte ihm ansehen, dass er immer wütender wurde, denn seine blauen Augen wurden mit einem Mal ganz dunkel.
Überraschenderweise ließ er jedoch sowohl meine Haare als auch meinen Arm los. Als ich bereits erleichtert ausatmen wollte schubste er mich mit voller Kraft, sodass ich nach hinten fiel und mein Kopf unsanft mit dem Boden Bekanntschaft machte.

Bevor ich einmal durchatmen konnte, hatte er sich schon rittlings auf mich gesetzt und beugte sich über mich. Instinktiv schloss ich meine Augen und wartete auf den Schmerz.
Und dieser kam schneller als erwartet.
Mit der Faust schlug er mir ins Gesicht. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Ohne jegliche Orientierung streckte ich meine Arme aus und versuchte Logan von mir wegzudrücken, jedoch vergeblich. Er war viel zu schwer für mich, ich hatte keine Chance. Meine Aktion machte ihn allerdings nur noch wütender, sodass er nun noch viel stärker zuschlug.
Mit jeden Schlag wuchs mein Wille, mir das nicht gefallen zu lassen und ich überlegte, wie ich mich aus der Situation befreien konnte. Da ich nicht lange Zeit hatte, machte ich das erste, was mir in den Sinn kam.

Erneut streckte ich meine Arme aus, jedoch diesmal nicht, um ihn von mir wegdrücken zu wollen, was er wahrscheinlich vermuten würde. Stattdessen kratzte ich ihn.
Ich wusste nicht, wo genau ich ihn traf, aber seinem Aufschrei nach zu urteilen, hatte ich mein Ziel nicht verfehlt.

Tatsächlich ließ er für wenige Sekunden von mir ab, diese reichten mir jedoch vollkommen aus, um ihn von mir wegzudrücken und das Zimmer schnellstmöglich zu verlassen.
Im Rennen schnappte ich mir schnell meine Schlüssel und meine Schuhe und verließ die Wohnung.
Draußen rannte ich los. Ich nahm mir nicht die Zeit, meine Schuhe anzuziehen, denn ich musste zunächst unbedingt etwas Vorsprung gewinnen.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals so schnell gerannt zu sein, wie in diesem Moment. Tatsächlich wusste ich vorher nicht einmal, dass ich physisch in der Lage dazu war.
Erst etwa fünf Minuten später kam ich zum Stehen und zog mir zuerst schnell meine Schuhe an, da meine Füße bereits zu schmerzen anfingen.
Dann entschied ich, dass ich einen Plan brauchte. Wo sollte ich hin und wie sollte es allgemein weitergehen? Sollte ich mit Logan Schluss machen? Aber war würde dann passieren? Immerhin hatten Logan und ich noch unsere Abmachung, wie er es so gerne nannte.

Ich entschied, zunächst zu Sara zu gehen und dort weiterzuüberlegen, wie ich vorgehen könnte.
Bis zu Sara musste ich noch etwa 30 Minuten laufen, denn ich hatte natürlich dummerweise mein Portmonaie inklusive meiner Fahrkarte in meiner Wohnung gelassen, also blieb mir wohl oder übel nichts Anderes übrig.

Nervös stand ich schließlich vor Saras Haustür. Ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, zu klingeln. Was sollte ich ihr denn sagen?
'Logan hat mich geschlagen, übrigens nicht das erste Mal. Dann bin ich weggerannt, weil ich Angst hatte und jetzt bin ich hier. Kann ich vielleicht nen Tee haben?'
Sicher nicht.

Mal davon abgesehen, wie sah ich überhaupt aus? Ich hatte heute noch keinen Spiegel gesehen, denn ich bin ja erst aufgewacht, bevor es passiert ist. Konnte man meinem Gesicht ansehen, was passiert war? Vielleicht hatte ich ja auch Glück und er hatte doch nicht so fest zugeschlagen, wie ich dachte. Wahrscheinlich würden sich gar keine blaue Flecken bilden. Und wenn es tatsächlich so wäre, würde sie misstrauisch werden, weil ich in meinen Schlafsachen bei ihr zu Hause auftaucht bin?

Ich entschied mich schließlich, einfach zu klingeln und mein Schicksal entscheiden zu lassen.
Allerdings schien es mein Schicksal nicht gut mit mir zu meinen.
Sara erstarrte bei meinem Anblick zu einer Salzsäule und ihre Augen wurden immer größer.

Das eigentliche Problem hatte jedoch rehbraune Augen, die mich mindestens genauso entsetzt anstarrten, und stand - lediglich mit Boxershorts bekleidet - einige Meter hinter ihr.

Don't You See? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt