Kapitel 30

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Stundenlang wälzte ich mich den restlichen Sonntag im Bett umher und fragte mich, ob ich wirklich das Richtige getan hatte. Klar, Sara hatte sich falsch verhalten, aber war ich vielleicht etwas hart zu ihr? Ich war einfach so wütend, dass ich mich nicht beherrschen konnte. Früher hätte ich so etwas nie gesagt.
Und jetzt hatte ich meine einzige wirkliche Freundin aus der Uni vergrault. Obwohl, eigentlich konnte man nicht sagen, dass wir Freunde waren; das ist auch mir jetzt endgültig klar geworden. Es stimmte, dass sie immer nur auf sich selbst fokussiert war und sie sich auch nur für die Dinge interessierte, die sie selbst betrafen. Sie hatte sich niemals danach erkundigt, wie es mir eigentlich ging. Ich hätte ihr zwar auch dann nichts erzählt, aber es hätte mir wenigstens gezeigt, dass ich mehr für sie war, als jemand, der ihr immer nur zuhören muss. 
Das Aufleuchten meines Handybildschirms riss mich aus meinen Gedanken. Es war eine Nachricht von Dr Jenki... Liam. Ich konnte mich einfach nicht damit anfreunden, ihn zu duzen.

"Alles klar bei dir Avery? Da du auf meine letzte Nachricht nicht geantwortet hast, wollte ich noch einmal fragen, ob bei dir Donnerstag für die nächste Sitzung passt. So um 14 Uhr?"

Mist. Nachdem Logan die Nachricht auf meinem Handy gesehen hat und dem ganzen Theater hinterher, hatte ich total vergessen mich bei Liam zu melden. Sofort bestätigte ich den Termin.

***

Die Vorlesungen verliefen schleppend und der einzige Lichtblick, der sich mir bot, war der Gedanke an das Mittagessen. Ich bekam kaum etwas mit, was der Professor von sich gab und schnappte nur wenige Wörter auf. 
Das Mädchen, welches neben mir saß, sah währenddessen immer wieder zu mir rüber und musterte mich kritisch. Sie hatte kurze schwarze Haare und trug ein schwarzes Kleid mit Blumen drauf. Es hatte mich schon am Anfang der Vorlesung irritiert, dass sie sich genau den Platz neben mir ausgesucht hatte. Ich hatte mir selbst versichert, dass noch unzählige weitere Plätze frei waren, aber trotzdem saß sie neben mir, obwohl ich sie noch niemals vorher gesehen hatte.
Als ihr Blick mal wieder zu mir hinüberwanderte, verlor ich langsam die Geduld.
"Was ist dein Problem?", zischte ich ihr gereizt zu.
Sofort wurde sie rot und fing an zu stottern.
"I-ich ähm ich w-wollte nur... S-sorry." Damit senkte sie ihren Kopf und starrte angestrengt auf ihr Blatt. Ich ließ jedoch nicht locker, wie sie es vielleicht gehofft hatte.
"Was willst du?"
Sofort sah sie mich wieder an, diesmal etwas gefasster als vorher.
"Naja, Sara hat erzählt, dass..." Augenblicklich verengte ich meine Augen zu engen Schlitzen und rückte ein Stück näher an das Mädchen heran.
"Was hat Sara erzählt?", unterbrach ich sie mit der einschüchternsten Stimme, die ich zustande brachte.  
"Sie hat uns erzählt, dass du mit Jared geschlafen hast."
"Sie hat was?" Es wäre pure Untertreibung gewesen zu sagen, ich wäre entsetzt.
"Naja, und darum wollte ich mal sehen, was du so für Eine bist, die so etwas tut. Aber ehrlich gesagt, wirkst du auf mich nicht wirklich so, als würdest du das tun. Oder du empfindest einfach nur keine Reue."
"Ich habe es ja auch nicht getan! Wem hat sie das noch alles erzählt?"
Wenn Logan von diesem Gerücht erfahren würde, wüsste ich wirklich nicht, was er tun würde. Und ob er mir glauben würde, dass es nicht stimmt. Vor allem, wenn es um Jared geht, scheint er noch viel wütender zu sein, als sonst. Ich sollte Jared unbedingt fragen, warum die beiden sich so hassten.
"Nur Clara und mir. Ihren engsten Freunden eben. Aber wenn ich fragen darf, was hast du eigentlich mit Sara zu tun, dass sie so etwas erfinden sollte?"
Wow. Saras engste Freundinnen wussten nicht einmal von meiner Existenz und das, obwohl wir in diesem Semester nicht gerade wenig unternommen haben.
"Anscheinend hatten wir nichts miteinander zu tun."

Ich hatte genug von diesem Gespräch und versuchte die in mir aufkeimende Wut irgendwie unter Kontrolle zu bringen. Also rückte ich wieder von ihr ab und sah angestrengt zum Professor. Ich musste nach der Vorlesung dringend Sara finden und sie zur Rede stellen. Das ging wirklich nicht, was sie tat; auch wenn es natürlich nicht wirklich nett von mir gewesen ist, ihren Freund zu küssen. Aber wenn ich ihr so egal war, verschwand bei mir auch jegliches Schuldgefühl, dass ich ihr gegenüber hatte.
"Ich bin übrigens Mia."
Fassungslos dreht ich mich zu ihr und sah sie entgeistert an.
"Und warum denkst du, das sollte mich interessieren?", schrie ich sie an. Da richteten sich alle Blicke auf mich und es wurde plötzlich ganz leise im Hörsaal. 
Der Professor sah mich fragend an und ich rückte nur etwas tiefer in meinen Sitz. Ich hatte keine Ahnung, woher diese plötzliche Wut kam und ich wollte sie wirklich nicht an Mia auslassen, denn ich wusste, dass sie ja nichts damit zu tun hatte und meine Wut nicht verdiente. 
"Sorry.", nuschelte ich ihr zu und warf ihr einen vorsichtigen Blick zu.
Ihr war der Schreck noch deutlich ins Gesicht geschrieben, aber sie versuchte ein kleines Lächeln aufzubringen.
"Schon ok. Du meintest es ja nicht so."
Dankbar nickte ich ihr zu und begann schon einmal meine Sachen zusammenzupacken, damit ich Sara so schnell wie möglich abfangen und zur Rede stellen konnte.

Wenige Sekunden, nachdem der Professor die Vorlesung beendet hatte, stürmte ich bereits aus dem Raum und ich musste gar nicht lange suchen, bevor ich Sara - mir den Rücken zugewandt - am Eingang der Mensa stehen sah. 
Ich packte sie am Oberarm und zog sie ein Stück zur Seite, damit wir nicht mitten im Gang standen.
"Was fällt dir eigentlich ein? Warum verbreitest du solche Lügen über Jared und mich?", zischte ich ihr zu.
Sie wirkte unbeeindruckt und zuckte nur mit den Schultern.
"Wer sagt, dass es eine Lüge war? Ich weiß ja nicht, was ihr noch alles gemacht hat, was ich nicht mitbekommen habe."
"Es ist nichts weiter passiert." Ich versuchte ruhig zu bleiben und atmete einmal tief durch.
"Wie auch immer, würdest mir jetzt die Ehre erweisen und mich loslassen?"
Da sie Anstalten machte zu gehen, zog ich sie noch einmal zu mir zurück.
"Auch, wenn wir keine Freunde mehr sind: Kannst du mir den Gefallen tun, dein kleines, ausgedachtes Gerücht nicht Logan zu erzählen? Bitte.", flehte ich.
"Ach, du willst nicht, dass dein Freund erfährt, dass du was mit 'nem Anderen hast? Das hättest du wohl gerne.", verächtlich rümpfte sie die Nase.
"Bitte. Tu es einfach nicht. Jedem, nur nicht Logan."
Ich versuchte so flehend zu klingen, wie ich nur konnte und hoffte, sie würde meine Bitte ernst nehmen.
Jedoch erhielt ich keine Antwort mehr, da sie sich daraufhin einfach von mir losriss und verschwand.

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