Kapitel 64

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Auch wenn mir dabei etwas mulmig zumute war, bat ich Jared schließlich doch nicht, das Treffen mit Logan abzusagen. 
Wir befanden uns im Café und warteten auf Logan, was aber noch etwas dauern konnte, da wir extra ein bisschen früher gekommen sind als verabredet, damit ich noch Zeit hatte, mich seelisch auf das Gespräch vorzubereiten. Ich wusste ja nicht was mich erwartete, darum machte ich mich auf das Schlimmste gefasst, auch wenn ich nicht genau wusste, was das sein sollte.

Jareds Hand lag auf meinem Knie und er malte kleine Kreise darauf. Er wusste, wie aufgeregt ich war und versuchte sein Bestes, um mich irgendwie zu beruhigen, wofür ich ihm wirklich dankbar war.
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich schon längst wieder abgehauen wäre, wenn er nicht neben mir sitzen würde. Nervös sah ich auf meine Handyuhr. Es waren nur noch fünf Minuten, bis Logan kommen würde und ich merkte, wie meine Anspannung mit jeder Sekunde stieg.
"Wir können immer noch gehen, wenn es dir zu viel ist.", flüsterte mir Jared plötzlich ins Ohr.

Ich lächelte ihm dankbar zu, aber schüttelte trotzdem den Kopf. Es war wichtig, dass ich mit Logan abschließen würde. Ich musste dieses Gespräch führen.
In diesem Moment schwang die Tür auf und die kleine Glocke, die über der Tür befestigt war begann zu läuten. Logan hatte seine Hände in die Hosentaschen gesteckt und auch er wirkte genauso angespannt wie ich. Suchend ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er uns entdeckte und mit langsamen Schritten auf uns zukam.

Ich atmete noch ein paar Mal tief durch und redete mir selbst Mut zu, dass alles gut werden würde und ich mir keine Sorgen machen müsste, mit Jared an meiner Seite. Denn das musste ich tatsächlich nicht.
"Hey.", grüßte uns Logan schon nahezu schüchtern, als er den Stuhl ein Stück vom Tisch wegzog, um sich zu setzen. Es war komisch, ihm bewusst so nah zu sein. Neben ihm zu sitzen, obwohl es kein zufälliges Aufeinandertreffen war.

Automatisch griff ich unter dem Tisch nach Jareds Hand, starrte aber weiter geradeaus. Ich merkte, dass Jared mich für einen Moment besorgt von der Seite ansah, seinen Blick dann aber auch wieder auf Logan richtete und ihm zunickte. Währenddessen strich er mit seinem Daumen über meinen Handrücken, denn er wusste genau, dass ich ohne ihn wahrscheinlich komplett ausflippen würde.

Logan kratzte sich unsicher am Hinterkopf, während wir alle schweigend am Tisch saßen und darauf warteten, dass irgendjemand zu reden begann.
"Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, Avery.", gab Logan schließlich zu und versuchte Blickkontakt mit mir aufzubauen. Ich starrte jedoch weiterhin lediglich an ihm vorbei.

"Ich weiß, es bedeutet dir wahrscheinlich nichts und kommt dir unglaubwürdig vor, aber ich will mich wirklich bei dir entschuldigen. Ich habe dir so oft gesagt, dass es mir leid tut, was ich dir angetan habe, aber habe trotzdem nicht aufgehört. Aber es hat mir jedes Mal leid getan. Jedes verdammte Mal."
Er machte eine kurze Pause und sah für einen Moment an die Decke, bevor er weitersprach.
"Ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Als ich hörte, dass unser Vater..." Er schloss für einen Moment seine Augen, als er von ihm redete. "...dass er entlassen worden war, da kam alles wieder hoch. Alles, was er mir angetan hat wurde mir wieder vor Augen geführt und plötzlich hatte ich diese Wut in mir. Diese unfassbare Wut, gegen die ich nichts unternehmen konnte. Und dann warst du da. Du warst immer um mich rum und es war nur eine Frage der Zeit, bis ich die Kontrolle verlor. Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals in der Lage sein würde, jemandem so etwas anzutun, aber so bin ich anscheinend. Ich bin das Monster, zu dem er mich vor all den Jahren gemacht hat. Ich war nie gut genug für dich, das weiß ich jetzt. Ich bin für niemanden gut genug, denn ich habe auch jetzt noch keine Kontrolle über mich und weiß nicht, ob ich jemals wieder der Alte sein werde - was auch immer das bedeuten mag."

Mittlerweile konnte ich nicht anders, als ihm in die Augen zu blicken. Ich sah, dass seine Augen bei dem Gedanken an seinen Vater glänzten, weswegen er wieder nach oben sah, um seine Schwäche vor uns zu verbergen. Obwohl das natürlich keinen Sinn ergab, wenn man bedachte, was er uns eben erzählt hatte, dann spiegelten seine Tränen einfach nur seine Worte wieder.
Ich merkte, dass sich auch in meinen Augen Tränen gesammelt hatten, denn er erinnerte mich plötzlich an mich selbst. 

Sein Vater hatte ihn zerstört, genau wie Logan mich zerstört hatte. Aber Logan hatte im Gegensatz zu mir niemanden, der für ihn da war. Der es mit ihm zusammen durchgestanden hatte. Sein ganzes Leben lang war er alleine gewesen und jetzt hatte er Jared, der ihm helfen wollte. Wie konnte ich da etwas dagegen haben?

Bis Jared auf einmal begann meinen Arm zu streicheln, war mir überhaupt nicht aufgefallen, dass ich gerade dabei war, seine Hand zu zerquetschen. Er gab mir einen kurzen Kuss auf meine Schläfe, der dafür sorgte, dass ich mich etwas beruhigte.

"Ich will einfach nur, dass du weißt, dass es mir unfassbar leid tut, was ich getan habe." Erwartungsvoll sah er mich an und wartete, dass ich irgendwas sagte.
"Logan, ich kann dir nicht verzeihen. Vielleicht irgendwann, aber nicht jetzt. Noch nicht."
"Du musst mir nicht verzeihen, Avery. Das würde ich niemals von dir verlangen, denn ich kann es selbst nicht. Ich will nur, dass du weißt, dass es mir leid tut."
Er warf mir noch einen letzten, entschuldigenden Blick zu, bevor er aufstand und das Café verließ.

Sobald er verschwunden war, spürte ich wieder Jared Atem an meinem Ohr.
"Hey, alles ist gut. Du hast es geschafft." Er küsste noch einmal meinen Haaransatz, bevor er mich eindringlich ansah.
Ich erwachte langsam aus meiner Starre und drehte mich zu Jared. 
"Danke, dass du mitgekommen bist. Ohne dich wäre ich wahrscheinlich nicht geblieben." Ich lehnte mich an seine Brust. "Und wenn ich das getan hätte, hätte ich nie erfahren, warum Logan so gehandelt hat. Ich kann ihm nicht verzeihen und ich kann es auch nicht nachvollziehen, warum er all die Dinge getan hat, aber ich weiß jetzt, dass es nicht an mir lag. Es war nicht mein Fehler."
"Nein, Avery. Das hättest du auch niemals denken dürfen. Du konntest nichts dafür."

Er zog mich noch einmal in eine innige Umarmung. Ich war ihm so unendlich dankbar, denn er war immer an meiner Seite gewesen. Sogar, als ich ihn von mir weggestoßen hatte. Ich wusste, dass Jared der Richtige war und ich wusste, es würde alles anders werden, als vorher. Besser.
Ich hatte endlich den ersten Schritt gewagt, mit meiner Vergangenheit abzuschließen und es fühlte sich großartig an. Ich fühlte mich frei und mit Jared an meiner Seite konnte mir nie mehr jemand oder etwas was anhaben.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und sah Jared in die Augen, bevor ich meine Lippen auf seine legte und ihn küsste. Es war ein kurzer Kuss, aber ich versuchte all die Glücksgefühle, die ich empfand in diesen Kuss zu legen.
Er sollte wissen, dass er mich gerettet hatte und dass ich ihm einfach alles verdankte. Als wir uns wieder voneinander lösten, musste ich wieder daran denken, was wenige Stunden zuvor geschehen war und auch jetzt noch könnte ich ihm diese drei kleinen Worte, die so eine große Bedeutung hatten, immer und immer wieder sagen. Also tat ich es.

"Ich liebe dich."
Er lächelte breit und gab mir ebenfalls einen kurzen Kuss. 
"Und ich liebe dich, Avery."

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