Kapitel 59

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Jared

Logan zuckte kurz zusammen, als ich das Wort sagte: Dad. Ich wusste nicht, ob er das wirklich noch für mich war, nach allem, was er getan hat. Aber eigentlich hat er mir überhaupt nichts getan. Trotzdem konnte ich nicht vergessen, was er mit Logan gemacht hatte und vor allem, zu wem er ihn gemacht hatte. Ich empfand keine Liebe, aber auch keinen Hass für diesen Mann, der mich die ersten Jahre meines Lebens großgezogen hatte. Ich empfand bei seinem Anblick rein gar nichts.

Trotzdem war ich überrascht, ihn zu sehen. Seit dem Prozess habe ich ihn nicht mehr gesehen und jetzt war er plötzlich hier, ins Logans Wohnung. Logan hatte mir zwar erzählt, dass er wegen guter Führung vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde, aber trotzdem hatte ich nicht erwartet ihn wiederzusehen; vor allem nicht so früh nach seiner Entlassung. Und darauf, wie es dazu kam, dass er sich in Logans Wohnung befand, konnte ich mir auch keinen Reim machen.

"Nenn' ihn nicht so!" Logans Stimme zitterte und er wirkte für einen Moment verunsichert von der Situation. Er wollte vor unserem Vater stark wirken, als hätte es ihm nichts ausgemacht, wie er von ihm behandelt worden war, aber so war es nun einmal nicht. Es hatte sich nichts geändert und alleine seine Anwesenheit verunsicherte Logan, sogar in diesem Moment, in dem unser Vater am Boden lag und Logan ganz klar die Kontrolle hatte.
Auch wenn er versuchte, es zu verhindern, ich konnte genau sehen, wie er zitterte. In diesem Moment verpuffte meine Wut vollkommen und der Grund, weshalb ich gekommen war, rückte in den Hintergrund.
Niemand regte sich und eine erdrückende Stille breitete sich aus, in der wir uns alle einfach gegenseitig anstarrten.

"Jared, bist du es wirklich? Komm' her und hilf deinem Vater auf. Logan hat den Verstand verloren."
Ich reagierte nicht auf ihn, weshalb er einfach weiterredete, obwohl ich mich wunderte, dass er dazu überhaupt noch in der Lage war, wenn man beachtete, wie Logan ihn zugerichtet hatte.

" Du warst schon immer der Vernünftigere, Klügere von euch beiden. Und Logan ist auch heute noch genauso nichtsnützig wie damals. Es scheint, als ob..."
In nem Moment passierte alles gleichzeitig. Ich hörte wie Glas klirrte und unser Vater mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden fiel. Seine Schläfe blutete und er hatte die Augen geschlossen; es schien, als sei er bewusstlos.

Erschrocken hob ich den Blick und sah zu Logan, der die Augen weit aufgerissen hatte und zu dem bewegungslosen Körper auf dem Boden starrte. In seiner Hand hielt er den Hals einer Bierflasche, während der Rest des Glases auf dem gesamten Boden verteilt war.
Immer noch zitterte er, aber nun heftiger als zuvor. Er taumelte einige Schritte zurück und stützte sich an der Küchentheke ab, wobei er das Glas losließ, welches am Boden in tausende Teile zersprang.

Seine Augen glänzten verdächtig, weswegen er schnell der Kopf von mir abwandte, sodass ich sein Gesicht nicht mehr sehen konnte.
Mit langsamen Schritten bahnte ich mir meinen Weg zu ihm, wobei der Boden unter meinen Füßen knirschte, als ich auf die Scherben trat.
"Verschwinde!", zischte Logan mir zu. Ich ignorierte seine Worte und stand schließlich genau vor ihm. Auch, wenn es unverzeihlich war, was er Avery angetan hatte, ich konnte ihn einfach nicht in dieser Verfassung hier zurücklassen. Trotz allem war er immer noch mein Bruder. Mein Bruder, dem ich nicht geholfen hatte, als er von unserem eigenen Vater misshandelt wurde.

"Bitte Jared, geh einfach." Er versuchte hart und selbstsicher zu klingen, aber es gelang ihm nicht. Vor allem nicht, da seine Stimme brach, während er gesprochen hatte.
"Was ist hier passiert, Logan? Warum ist er hier?" Ich deutete auf unseren Vater.
Logan zuckte leicht mit den Schultern und sah auf den Boden.
"Ich hab ihn eingeladen. Ich wollte ihm heimzahlen, was er mir angetan er hatte. Er wusste natürlich nicht, weswegen ich ihn tatsächlich eingeladen habe."
So wie ich Logan mittlerweile einschätzte, klang diese Geschichte plausibel für mich.

"Wie hast du ihn überhaupt gefunden?"
"Ich hab dir doch gesagt, dass er Entlassen wurde und kurz vorher war ich einige Tage unterwegs und habe ihn gesucht. Als ich ihn gefunden habe, war er gerade mit seinem Bewährungshelfer unterwegs, wegwegen ich mein Vorhaben nicht gleich umsetzen konnte. Stattdessen habe ich ihm meine Adresse gegeben und ihm gesagt, er solle mich besuchen kommen."

Einerseits war es erschreckend, wie entspannt - von seiner zitternden Stimme mal abgesehen - er darüber sprach, wie er geplant hatte, sich an einem Menschen zu rächen; sogar wenn dieser Mensch unser Vater war. Andererseits konnte ich nicht wissen, wie Logan sich fühlen musste. Von seinem eigenen Vater wurde er misshandelt und nie akzeptiert. Sein Leben wurde bereits zerstört, bevor er die Möglichkeit hatte, es wirklich zu leben; bevor es wirklich begonnen hatte.

"Ich wollte ihm eine Chance geben.", sagte Logan schließlich leise.
"Wie meinst du das?" Ich legte den Kopf leicht schief und wartete darauf, dass er weitersprach.
"Als er in der Tür stand und mich anlächelte, dachte ich, ich würde ihm verzeihen können. Ich wollte ihm wirklich verzeihen, denn immerhin ist er mein... Dad." Ich merkte, wie schwer es ihm fiel, dieses Wort selbst auszusprechen. Er schluckte einmal hart und sah an die Decke, weil sich eine Träne ihren Weg aus seinem Augenwinkel heraus gebahnt hatte.

"Ich konnte mich nicht dran erinnern, wann er mich jemals angelächelt hatte, deswegen dachte ich, wenn er es nun tat, hatte sich etwas geändert. Ich dachte, er hätte sich geändert und wollte sich entschuldigen, aber sobald er drinnen war, da sagte er so viele Dinge... "
Er ballte seine Hände zu Fäusten.
"...aber es waren nichts als Beleidigungen. Er machte genau da weiter, wo er vor neun Jahren aufgehört hat. Ich habe die Kontrolle verloren. Und es hat verdammt nochmal gut getan."

Logans gesamter Körper bebte und mittlerweile wehrte er sich nicht mehr gegen die Tränen, die sein Gesicht herunterliefen. Trotzdem sah er mich nicht an. Bis heute hatte ich nie gewusst, wie es in Logans Innerem aussah und nun wusste ich, dass es ein viel dunklerer Ort war, als ich mir jemals vorstellen konnte.

"Oh, weint der kleine Logan etwa? Du bist ja immer noch so eine Heulsuse wie damals. Und ich dachte schon, aus dir könnte möglicherweise sogar mal ein richtiger Mann werden. Scheinbar nicht.", ertönte die gehässige Stimme unseres Vaters. Der scheinbar wieder aufgewacht war.

Bevor Logan etwas sagen oder sich auch nur regen konnte, landete meine Faust bereits im Gesicht unseres Vaters und katapultierte ihn wieder zurück in die Bewusstlosigkeit.

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