Kapitel 22

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Wie schaffte ich es nur, immer wieder auf Jared zu treffen? Er war einfach immer genau zur gleichen Zeit dort, wo ich war. Aber eigentlich sollte es mich nicht wundern, ihn hier anzutreffen. Immerhin waren Sara und er ja jetzt ein Paar. 
Bei dem Gedanken an die Beiden rollte ich genervt die Augen und stöhnte leise auf.

"Warum so schlechte Laune, Avery?"

Seine raue Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich sah wieder zu den beiden Turteltauben rüber, die immer noch eng umschlungen in der Tür standen.
Sara sah dabei aus, als würde sich in einer anderen Welt sein und nichts mehr realisieren, was um sich herum passiert. Ganz anders als Jared, der mich mit seinem stechenden Blick durchbohrte.

Auch ich schaffte es nicht, woanders als in seine warmen Augen zu sehen. Nach einer Ewigkeit löste sich Sara dann von Jared und blickte glücklich zwischen uns beiden hin und her. 

"Avery, du bleibst auf jeden Fall. Jetzt wo wir es endlich mal schaffen, zu dritt aufeinander zu treffen, müssen wir auch mal gemütlich beieinander sitzen und uns unterhalten."

Sie zwinkerte mir zu.

"Macht es euch doch schon einmal bequem, ihr könnt auch die Getränke vorbereiten. Ich laufe schnell zum Bäcker und kaufe was Süßes."

Mit diesen Worten schlüpfte sie in ihre Sneaker, schnappte sich ihre Jacke und gab Jared noch einen langen Abschiedskuss, bei dem ich peinlich berührt in eine andere Richtung schauen musste, bevor sich schließlich die Wohnung verließ.
Sie verhielt sich, als würde sie Jared monatelang nicht mehr sehen können, dabei dauerte der Weg zum Bäcker und zurück gerade einmal zehn Minuten. Verächtlich schnaubte ich auf.

"Ist da jemand eifersüchtig, dass sie mich nicht haben kann?"

Entsetzt schnellte mein Kopf in Jareds Richtung, der lässig an der Wand lehnte.

"Nein. Aber euer Romeo und Julia Getue strapaziert meine Nerven.", antwortete ich zuckersüß. 

"Du musst nicht so verbittert sein, Avery. Irgendwann findest du auch einen Freund, der dich liebt."

Diese Worten trafen mich völlig unvorbereitet. Hatte er vielleicht recht? Ich konnte mir nicht sicher sein, ob Logan mich wirklich liebte. Würde er mich dann so behandeln, wie er es tat? Der Gedanke, dass Logan und ich uns trotz allem lieben konnten, half mir immer, diese Beziehung fortzusetzen. Sie ließ mich bei ihm bleiben. Aber was wäre, wenn all seine Worte nur Lügen gewesen sind? Wie konnte ich mir da sicher sein?

"I-ich werde mal Wasser kochen gehen.", flüsterte ich so leise, dass ich mir sicher war, dass die Worte gar nicht erst bis zu ihm gedrungen sind und setzte mich in Bewegung.

Ich war so sauer auf mich selbst. Wie konnte ich nur innerhalb so kurzer Zeit zu einem solch unsicheren Menschen werden? Ständig war ich dabei, mir irgendwelche Gedanken zu machen und hinterfragte plötzlich alles was ich tat mehrmals. Früher habe ich das nie getan. 
Ich ließ alles auf mich zukommen und so wie es dann eben passiert ist, war es nun einmal. Es störte mich nicht, nicht immer tausende Male über Dinge nachzudenken, sondern akzeptierte einfach, dass ich nicht alles unter Kontrolle hatte.
Damals wusste ich wer ich war und wo ich bei anderen Menschen stand. Aber was war jetzt?
Von wem würde ich behaupten, ich könnte mich zu 100% auf ihn verlassen? Mir fiel niemand ein. 
Früher wäre dieser Mensch Logan gewesen, aber heute?

Glücklicherweise war Jared mir nicht in die Küche gefolgt. Seine Gesellschaft war nicht gerade das, was ich jetzt gebrauchen konnte.

Da vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Logan.

"Hey Schatz, bin morgen Abend wieder zurück. Sehen wir uns dann?"

Misstrauisch runzelte ich die Stirn und legte mein Handy zur Seite. Irgendetwas war komisch an der ganzen Sache. Vor wenigen Tagen hatte er mir eine ähnliche Nachricht geschickt, in der stand, dass er für einige Tage wegfahren müsste. Ich weiß nicht wohin er wollte oder was er dort zu tun hatte - er war einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt. 
Selbst von meinen Anrufen nahm er keinen an. Und jetzt war er plötzlich wieder da, ohne jeglich Erklärung?

Ich nahm zwei der Teetassen in die Hand und wollte sie gerade auf dem Tisch abstellen, als mein Handy erneut vibrierte. Diesmal war die Nachricht von einer unbekannten Nummer.

"Halte dich von Logan fern."

Es dauerte einige Sekunden, bis ich realisierte, was da eigentlich stand; dann wurde mir gleichzeitig heiß und kalt. Vor Schreck ließ ich die Teetassen fallen, wobei mir der kochend heiße Tee über die Beine lief. 
Ich versuchte meinen Schmerzensschrei zu unterdrücken, was mir nur teilweise gelang. 
Mit einem lauten Klirren verbrachen die beiden Tassen auf dem Fliesenboden und auch ich sank kraftlos zu Boden.

Meine Verbrühungen und die damit verbundenen Schmerzen traten in den Hintergrund, als meine Gedanken anfingen, sich um die Nachricht zu drehen.
Halte dich von Logan fern.
Wer war der Absender? Was wusste er, was ich nicht wusste? Oder wollte er mir einfach nur Angst machen? Aber weshalb? Warum schrieb der Absender nicht, wer er ist? Warum riet er mir, mich von Logan fernzuhalten? 
Mein Kopf schien durch die vielen Fragen explodieren zu wollen, sodass ich die Augen schloss, um meinen Kopf frei zu bekommen. Aber ich schaffte es nicht.
Ich stellte mir immer wieder die selben Fragen und fand einfach keine Antworten. 

Erst als mich jemand nach oben zog, nahm ich wieder wahr, was um mich herum geschah.
Aber ich schaffte es trotzdem nicht, meine Gedanken zur Ruhe zu bringen, sodass ich einfach mit leerem Blick die weiße Wand in der Küche anstarrte.

Halte dich von Logan fern. 

Kannte ich den Absender? Wie sollte ich mich Logan gegenüber jetzt verhalten? Was, wenn diese Nachricht einfach nur ein schlechter Scherz war?

Eine Hand wedelte vor meinem Gesicht herum.

"Verdammt. Was ist passiert?"

Jared hatte eine nicht zu überhörende Hilflosigkeit in der Stimme. 

Als ich immer noch nicht reagierte, legte er seine Hand an meine Wange und streichelte sanft über diese. Ich war aber einfach nicht in der Lage, auf irgendetwas zu reagieren. 

Ohne, dass ich jegliche Kontrolle darüber hatte, liefen mir plötzlich Tränen über die Wangen. Es lag nicht an meinen Beinen, die höllisch brannten oder an der Nachricht, die mich so aus dem Konzept gebracht hatte.

Auf einmal kam alles zusammen, alle Gefühle die ich in den letzten Monaten verdrängt hatte, alle Sorgen und Ängste. 
Es war, als würde die Traumwelt, die ich mir aufgebaut hatte, wie ein riesiges Kartenhaus in sich zusammen stürzen.

Jared sagte währenddessen kein Wort. Wahrscheinlich war es ihm einfach unangenehm, mir beim Zusammenbrechen zuzusehen - für mich war es das auch.

Aber ich war ihm mehr als dankbar, dass er mich nach kurzem Zögern einfach in den Arm nahm und für mich da war.

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