Kapitel 19

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"Avery Grimes?"

Schnell stand ich auf und piepste ein leises 'Hier'. Die Sekretärin registrierte es mit einem Nicken und deutete auf eine weiße Holztür, die sich hinter ihr befand.

"Dr. Jenkins wäre dann so weit. Sie können es sich schon einmal bequem machen, er wird dann gleich zu Ihnen stoßen."

Ich bedankte mich und trat durch die Tür hindurch. Genauso hatte ich mir so einen Raum immer vorgestellt. Ein Schreibtisch aus aufwendig verarbeitetem Holz, dahinter vollgestopfte Bücherregale, die fast die gesamte Wand einnahmen. An dem großen Fenster schräg gegenüber vom Tisch, das durch dunkelrote Gardinen verdeckt war, stand eine Liege in einem warmen haselnussbraun. 

Sollte ich mich da hin legen? In den Filmen taten sie es zumindest. 
Gerade, als ich auf die Liege zusteuern wollte, stach mir zwei - ebenfalls haselnussbraune - Sessel ins Auge, die etwas versteckter im Raum standen, als die Liege.
Erleichtert setzte ich mich auf einen der beiden Sessel und wartete. Mein ganzer Körper zitterte vor Nervosität. Was tat ich hier eigentlich? Vielleicht sollte ich doch lieber verschwinden?

"Ms Grimes?"

Ich zuckte leicht zusammen, da er so plötzlich im Raum erschienen war. Scheinbar verursachte er beim Fortbewegen keinerlei Geräusche. Höflich stand ich auf und reichte ihm die Hand, woraufhin er mir deutete, mich wieder hinzusetzen, während er auf dem anderen Sessel Platz nahm. 
Der Psychologe sah ganz anders aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war gar kein alter, weißhaariger Mann mit Bart, sondern in etwa Mitte 30 und braungebrannt. 

"Also, Ms Grimes. Zunächst einmal schlage ich vor, dass wir uns duzen sollten. Das macht alles etwas lockerer. Mein Name ist Liam."

"Avery."
Ich brachte ein kleines Lächeln zustande, bekam vor Aufregung jedoch keine weiteren Worte heraus.

"Na dann, Avery. Was verschafft mir die Ehre? Möchten sie mir vielleicht erzählen, was sie hier her führt."

Sollte ich diesem Mann jetzt einfach alles erzählen, was mich belastete? Das war immerhin der Grund, wieso ich hier war. Teilweise zumindest. Ich würde ihm sicher nichts von Logan erzählen, denn sonst würde er noch denken, dass Logan gefährlich sei und dann würde dieser Schwierigkeiten bekommen. Nein, das wollte ich nicht. Aber ich konnte ihm zumindest erzählen, warum ich hier war.

"Ich habe Alpträume."

Er legte den Kopf etwas schief und beobachtete jede meiner Bewegungen aufs Genauste. Wahrscheinlich wollte, er mir Zeit lassen, dass ich weiterrede.

"Ich habe sie schon länger, aber ich letzter Zeit werden sie immer häufiger. Bis zu zweimal pro Woche mittlerweile. Ich schlafe kaum noch, meine Konzentration sinkt und ich bekomme deswegen einfach nichts mehr hin."

"Und wovon handeln diese Träume?"

"I-ich weiß es nicht. Wenn ich aufwache, kann ich mich an nichts mehr erinnern."

Das war natürlich eine glatte Lüge. Aber ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich immer wieder träumte, wie Logan ausrastete und mich schlug. Tatsächlich hatte ich diese Träume auch nur in den Nächten, in denen Logan bei mir oder ich bei ihm übernachtete.

"Sie wissen also nur, dass sie Alpträume haben und sie sind anscheinend so furchteinflössend, dass sie dadurch keinen Schlaf mehr bekommen, aber sie können sich nicht daran erinnern, wovor sie solch eine Angst haben?"

Fragend reckte er eine Augenbraue in die Höhe. Er wirkte nicht, als würde er mir hundertprozentig Glauben schenken, aber wahrscheinlich war er das in seinem Job gewohnt. Wer erzählte seinem Psychologen denn schon direkt in der ersten Sitzung alle seine Probleme?

"Ja, genau so ist es."

"Okay. Dann müssen wir woanders anfangen. Kannst du mir vielleicht etwas über deine Familie erzählen?"

Familie? Was hat denn meine Familie damit zu tun?

"Ähm, klar. Ich habe einen kleinen Bruder - Sam - und er ist acht Jahre alt. Und naja, meine Eltern sind oft beschäftigt und hatten früher wenig Zeit für uns. Trotzdem haben wir ein gutes Verhältnis. Es ist nun wirklich nichts, was mich belastet."

Dr. Jenkins - es war mir irgendwie unangenehm, ihn bei seinem Vornamen anzureden - reagierte nicht auf meine Worte, sondern kritzelte immer wieder etwas in sein Notizheft.

"Gibt es etwas, von dem du behaupten würdest, dass es dich belastet?"

"Es gibt da einen... Freund von mir. Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll; es ist kompliziert. Da war dieser eine 'Beinahe-Kuss' zwischen uns und seit mehr als zwei Wochen herrscht Funkstille."

Warum erzähle ich ihm das gerade? Irgendwas an seinem freundlichen Gesicht verleitet mich dazu, ihm von all meinen Problemen zu erzählen.

"Eigentlich sollte ich auch glücklich damit sein. Immerhin habe ich einen Freund und das würde alles einfach nur noch viel komplizierter machen. Ich will ihm auch aus dem Weg gehen, aber dann verletzt es mich wiederum, dass er das ebenfalls tut. Ich weiß, das ergibt gar keinen Sinn und ist dumm von mir, aber ich kann dagegen nichts tun. Auch wenn ich dachte, dass ich es will: Ich will keine Funkstille haben. Aber wäre es nicht das beste? Ich will meine Beziehung dadurch aber auch nicht gefährden. Was ist nur los mit mir?"

Meine Worte überschlugen sich und am liebsten hätte ich überhaupt nicht  mehr aufgehört zu reden, aber ich schaffte es letztendlich meinen Redefluss zu stoppen.
Dr. Jenkins schien überrascht, dass ich so viel erzählt hatte; ich war es ja auch. Dann schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

"Weißt du Avery, ich glaube dieser Freund  bedeutet dir mehr, sogar viel mehr, als du denkst."

"Aber das geht nicht, ich habe doch einen Freund?"

"Apropos, magst du mir vielleicht etwas über deinen Freund erzählen?"

Ich musste ihm jetzt etwas über ihn erzählen, sonst würde er misstrauisch werden. 

"Wir sind jetzt etwas mehr als zwei Jahre zusammen."

"Und wie läuft es bei euch?"

Irritiert runzelte ich die Stirn. Warum fragte er sowas? Was ging ihn das an?

"Es läuft gut bei Logan und mir!"

Ich war etwas schockiert von mir selbst, dass ich plötzlich so wütend geworden bin und Dr. Jenkins schon fast angeschrien habe. Als mir bewusst wurde, wie ich ihn eben angezickt habe, entschuldigte ich mich leise und senkte meinen Blick.
Glücklicherweise ging er nicht auf meinen Ausruf ein.

"Logan heißt er also?"

Mist, hatte ich seinen Namen gesagt?

"Logan Hoffman?"

Kannte er Logan etwa?






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