Kapitel 7

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Es war so dunkel, dass ich absolut nichts sehen konnte. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und versuchte der Dunkelheit zu entkommen, aber egal in welche Richtung ich ging; ich sah kein Licht. Ich lief immer schneller und schneller, doch es änderte sich nichts. Erschöpft sank ich auf dem Boden nieder und atmete schwer ein und aus. Ich wollte einfach nur weg von hier.
Aber war da nicht etwas in der Ferne? Zunächst war es nur ein winziger heller Punkt, doch er wurde immer größer, während er sich auf mich zubewegte. Bald hatte er mich erreicht, doch je näher er kam, desto mehr schwand die Helligkeit.
»Avery, wo warst du schon wieder?« Ich spürte einen Schmerz auf meiner linken Wange.
»Du hast mich vor all den Leuten blamiert. Mal wieder.« Eine Faust wurde mir in den Bauch gerammt.
»Zu was bist du überhaupt zu gebrauchen?«
Ein harter Gegenstand traf mich am Kopf. Ich schrie auf und die Dunkelheit umhüllte mich erneut.

Schweißgebadet schreckte ich hoch.
»Es war ein Traum, es war nur ein Traum«, wiederholte ich immer wieder wie ein Mantra in meinem Kopf, während ich mich umblickte. Mein Atem war hektisch und unkontrolliert. Erleichtert stellte ich jedoch schnell fest, dass ich mich in meinem Zimmer befand.
Langsam ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen, bis er an der Person hängen blieb, die neben mir lag. Logan. Er schien tief und fest zu schlafen. Dabei sah er so unschuldig aus und seine sonst so harten Gesichtszüge wirkten auf einmal ganz weich. Ich weiß nicht wie lange ich aufrecht im Bett saß und ihn einfach nur anstarrte, aber ich merkte, wie ich dabei langsam wieder zur Ruhe kam und meine Atmung immer gleichmäßiger wurde.

Zögernd hob ich meine Hand und legte sie an Logans Wange. Dann beugte ich mich zu ihm und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Anschließend legte ich mich wieder hin und kuschelte mich an Logan. Augenblicklich legte er einen Arm um mich, zog mich ein Stück näher an sich heran und strich mit seiner warmen Hand über meinen Rücken. Obwohl seine Berührung federleicht war, schmerzte mein Körper unter seiner Berührung.
Sofort spannte sich mein gesamter Körper an und mich durchströmte eine unangenehme Kälte. Vorsichtig hob ich die Bettdecke nach oben und mir stockte der Atem. Mir war gleichzeitig heiß und kalt und ich fing an zu zittern. Erfolglos versuchte ich meine Atmung zu kontrollieren, aber ich hatte keine Chance meine Gefühle zu unterdrücken.

Ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte und plötzlich hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ruhiger als ich es für möglich gehalten hatte, befreite ich mich aus Logans Armen und stand auf. Ich zog mir meine Jogginghose und ein T-Shirt an und lief ins Badezimmer, das ich hinter mir abschloss. Mit bebendem Körper lehnte ich mich an die Tür und ließ meinen Kopf nach hinten fallen, während ich versuchte mich zu beruhigen.
Das war bestimmt alles nur ein riesiges Missverständnis. Ich meine, warum sollte... würde er... hatte er? Mein Gehirn ließ nicht zu, dass ich auch nur einen klaren Gedanken fasste. Erschöpft ließ ich mich an der Tür zu Boden sinken und versuchte den gestrigen Abend zu rekonstruieren. Was war passiert?

Ich konnte mich daran erinnern, dass wir zusammen gekocht hatten und es uns anschließend irgendeine Show im Fernsehen angesehen haben. Irgendwann war ich auf der Couch eingeschlafen und dann... Was war dann passiert? Ich bin in meinem Bett aufgewacht und nun saß ich im Bad, ohne jegliche Erinnerung. Aber es war diese eine Frage, die sich mir ins Hirn brannte und vor der ich mich fürchtete, sie mir selbst zu stellen. Woher kamen all diese Verletzungen, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte?

***

Es war schwer mich zusammenzureißen und vor Logan so zu tun, als sei alles in Ordnung. Aber irgendwie bekam ich es hin. Ich erzählte ihm, ich würde mich nicht gut fühlen und bat ihn zu gehen, damit ich wieder schlafen gehen konnte. Kurz darauf verschwand er, auch wenn sein Blick mir verriet, dass er keines meiner Worte glaubte.
Ich ging nicht in die Vorlesungen, sondern verschanzte mich in meinem Zimmer und stellte mir immer wieder dieselben Fragen - in der Hoffnung meine Erinnerung würde zurückkehren. Aber da war nichts. Irgendwann nachmittags, als meine Gedanken zu laut wurden, holte ich schließlich mein Handy hervor und fragte Sara, ob sie Lust hätte mit mir am Abend feiern zu gehen. Sie sagte sofort zu.
Ich wollte einfach nur vergessen. Wollte nicht mehr denken. Einfach nur unbekümmert sein - wenigstens für einen kurzen Moment.

»Cheers!«, schrie Sara und hielt mir ihr Glas entgegen, sodass wir anstoßen konnten. Grinsend tat ich es und trank meinen Shot gierig aus, um direkt danach schon die nächste Runde zu bestellen. Es folgten viele weitere, wobei ich irgendwann aufhörte mitzuzählen, wie viele ich getrunken hatte. Aber sie erzielten den erhofften Effekt: Jedes weitere Glas ließ meine Sorgen spürbar kleiner werden und mich mehr und mehr meine Gedanken vergessen. Sara hingegen war irgendwann auf Bier umgestiegen, weil sie meinte, eine von uns müsse ja vernünftig bleiben.

Beflügelt vom Alkohol zog ich Sara mit zur Tanzfläche und fing sofort an ausgelassen zu tanzen. In diesem Moment war es mir sogar total egal, dass irgendwelcher trashiger Elektropop lief, ich wollte einfach nur tanzen. Und das tat ich auch.
Nach nicht allzu langer Zeit tanzte mich jemand von hinten an. Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter und sah, dass diese Person ein ziemlich großer, äußerst gut gebauter Typ mit hellbraunen Haaren war. Er merkte, dass ich ihn ansah und grinste mich auffordernd an. Ich drehte mich zu ihm um und wir kamen uns beim Tanzen immer näher.
Irgendwann fing er an, meinen Hals zu küssen und saugte sich regelrecht an meiner Haut fest. Eigentlich wollte ich ihn wegstoßen, aber mein Körper gehorchte mir schon seit einer Weile nicht mehr. Also tanzte ich einfach weiter.

Mit einem Mal machte sich der viele Alkohol in meinem Körper durch mehr als nur Glücksgefühle bemerkbar. Mir wurde schwindelig und ich schlang meine Arme um seinen Nacken, um nicht hinzufallen. Er sah diese Geste jedoch als eine Einladung an und schon wanderten seine Lippen von meinem Hals weg zu meinen Schultern. Die Situation wurde mir mehr als nur unangenehm.
Wieder versuchte ich meine Arme davon zu überzeugen, dass sie ihn gefälligst von mir stoßen sollten, aber sie taten es nicht. Irgendwann als seine Lippen in Richtung meines Ohres gewandert waren, fragte er mich flüsternd, ob ich noch was trinken wollte. Ich wollte nicht. Also nickte ich.
Warum nickte ich? Ich wollte nichts mehr! Nein! NEIN! Innerlich schrie ich, aber die Worte verließen meinen Mund nicht.
Wo war Sara überhaupt hin? Während der Typ, dessen Namen ich immer noch nicht wusste, mich in Richtung Bar schleifte, versuchte ich Sara ausfindig zu machen, aber konnte sie zwischen all den Menschen nicht entdecken.

»Was willst du trinken?« Der Typ sah mich abwartend an. Wasser. »Tequila!«
Wow, mich konnte man heute echt vergessen.
Einen kurzen Moment später reichte er mir bereits ein Glas, sowie eine Zitronenscheibe und Salz. Sofort machte ich mich daran, mit der Zitrone die Haut zwischen meinem Daumen und Zeigefinger zu befeuchten, um anschließend das Salz darauf zu verteilen. Ich wollte einfach nur weg von diesem Typen, also brachte ich es schnell hinter mich und keine zwei Sekunden später biss ich bereits in meine Zitrone, bevor ich eilig aufsprang und ihm sagte, dass ich mal aufs Klo müsste.
»Klar Süße, aber lass mich nicht zu lange hier warten.«
Ich ging gar nicht erst auf seine Worte ein, sondern drehte mich einfach von ihm weg.
Während ich das tat, spürte ich, wie er mir in den Hintern kniff. Ich zuckte kurz zusammen, ging dann aber trotzdem, ohne mich nochmal zu ihm zu drehen, in Richtung Toilette.

Falls man das überhaupt gehen nennen konnte.
Ich schwankte gefährlich und musste alle paar Schritte stehen bleiben, weil sich plötzlich alles drehte. Aber ich versuchte mich zusammenzureißen, denn es war wirklich nicht mehr weit. Ich konnte die Toilettentür bereits vor mir sehen.
Der Raum zog sich jedoch plötzlich in die Länge und die Tür wanderte immer weiter weg von mir. Ich schüttelte meinen Kopf, um wieder klarer zu werden und tatsächlich, die Tür war in Wirklichkeit nur wenige Meter von mir entfernt. Behutsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, während ich mich an der Wand festhielt, um nicht hinzufallen.

Das brachte leider aber auch nichts, da der Schwindel auf einmal so extrem wurde, dass ich keine andere Möglichkeit sah, als kraftlos zu Boden zu sinken, um abzuwarten, bis es mir wieder einigermaßen besser ging. Zitternd zog ich meine Knie an meinen Körper und legte meinen Kopf auf ihnen ab, was viel angenehmer war, als in der Gegend herumzulaufen.
Die Musik dröhnte weiter laut aus den Boxen und ich versuchte mich auf sie zu konzentrieren, um bloß nicht einzuschlafen. Glücklicherweise traf die Musik so gar nicht meinen Geschmack, sodass ich mir nicht vorstellen konnte, dass das passieren würde, auch wenn ich immer müder wurde.
Plötzlich war da jedoch noch ein anderes Geräusch, das zwischen dem dumpfen Bass herausstach. Ich hörte eine tiefe Stimme, die panisch meinen Namen rief.




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