Er glaubte mir nicht. Natürlich glaubte er mir nicht. Glücklicherweise sagte er jedoch nichts, als ich ein gezwungenes Lächeln aufsetzte und an ihm vorbei zu Logan ging. Dieser legte einen Arm um meine Taille und sagte:
»Avery, Schatz. Du blutest! Am besten fahren wir mal ins Krankenhaus, du könntest eine Gehirnerschütterung haben.«
Er sagte es laut. Zu laut. Als würde er um jeden Preis gehört werden wollen. Mit einer unglaublichen Behutsamkeit zog er mich zu seinem Wagen und öffnete mir die Beifahrertür. Während Logan zur Fahrerseite hinüberging konnte ich es nicht lassen mich noch einmal nach ihm umzudrehen, aber er war nicht mehr da.Ganze zehn Minuten lang schwiegen Logan und ich uns schon an, als mir auffiel, dass wir nicht zum Krankenhaus unterwegs waren. Wir fuhren zu Logan.
»Logan, wolltest du mich nicht ins Krankenhaus fahren?« Erst jetzt blickte ich ihn an und was ich sah machte mir höllische Angst.
»Logan?« Er umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Seine Atmung war langsam und bedächtig, aber ich sah ihm an, dass es ihn enorm anstrengte ruhig zu bleiben. Auch sein Kiefer bebte wieder, was bedeutete, dass er kurz vor einem Wutanfall war. Schon wieder.Ich beschloss, dass es besser wäre ihn vorerst nicht mehr anzusprechen, bis er sich beruhigt hatte - falls das überhaupt geschehen würde. Wenige Minuten später waren wir angekommen, aber ich traute mich immer noch nicht ihn anzusehen. Also blickte ich nach draußen, auch wenn es dort rein gar nichts zu sehen gab, da es stockdunkel war.
Die Zeit verstrich und keiner von uns bewegte sich auch nur um einen Zentimeter. Ich weiß nicht wieso, aber diese Stille machte mich unheimlich nervös, obwohl ich sonst keine Probleme damit hatte.
»Lass uns rein gehen, Avery.« Seine Stimme klang unglaublich ruhig und fast schon sanft. Erleichtert atmete ich aus. Er hatte seinen Wutanfall überstanden, niemand wurde verletzt. Ich wurde nicht verletzt. Endlich schaffte ich es ihn anzusehen und rang mir sogar ein kleines Lächeln ab.Seit einigen Minuten saßen wir nun schon in der Küche und tranken den Tee, den Logan für uns beide gemacht hatte, als mein Hinterkopf wegen der Verletzung - die ich mittlerweile wieder total vergessen hatte - heftig anfing zu pochen.
»Logan, hast du vielleicht etwas zum Kühlen für mich? Für meine Verletzung.«
Nicht einmal einen Atemzug später hörte ich ein lautes Klirren und meine Augen weiteten sich vor Schreck.
»Logan, was ist los mit dir?« Ängstlich drehte ich meinen Kopf, um die Scherben der Tasse zu betrachten, die er eben haarscharf an meinem Kopf vorbei gegen die Wand geworfen hatte.»Du willst etwas zum Kühlen haben? Für die Verletzung die du dir zugezogen hast, als du vor mir weggerannt bist?«, schrie er und kam mir immer näher.
»Hast du eigentlich eine Ahnung davon, wie viele Leute deine Flucht vorhin mitbekommen haben? Sehr viele, Avery!«
Nun nahm er eine Wasserflasche vom Tisch und warf sie ebenfalls gegen die Wand.
»Sehr viele!«
Er war mir nun so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte und drängte mich immer weiter gegen die Wand.
»Weißt du was sie denken werden?«, flüsterte er. »Sie werden sich fragen: "Was ist das für ein Typ, dessen Freundin sich so vor ihm fürchtet? Was hat er ihr angetan? Was wird er ihr noch antun?"«Ich konnte nichts gegen den Tränenfluss tun, der mittlerweile unaufhaltsam über meine Wangen lief. Unter meinen nackten Füßen knarzte es. Ein heftiger Schmerz durchströmte meine Fußsohlen und hinderte mich daran weiterzulaufen.
»Du wirst das doch nicht noch einmal tun, oder?«
Bei diesen Worten nahm er mein Gesicht in seine Hände und strich mir mit seinem Daumen meine Tränen weg. Natürlich machte das keinen Sinn, da immer weitere Tränen kamen. »Antworte mir endlich und hör auf zu flennen, verdammt!«
Noch nie hatte ich ihn so wütend erlebt. Deswegen nickte ich hastig mit meinem Kopf, um ihn nicht noch mehr zu verärgern. Aber ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Warum war er so zu mir? Wir waren mittlerweile seit über zwei Jahren zusammen und es begann alles so perfekt. Vor zwei Wochen war alles noch perfekt.Plötzlich brannte meine Wange wie Feuer. Er hatte mich geschlagen. Einfach so. Während ich versuchte es zu begreifen, schrie er immer weiter:
»Hör auf zu flennen! Hör auf zu flennen! Hör auf...«
Er schrie es wie ein Mantra vor sich hin und ich hatte das Gefühl, dass seine Stimme nicht länger beherrscht klang, sondern leicht zitterte. Es war fast, als würde er von mir selbst gar keine Notiz mehr nehmen und es eher zu sich selbst sagen. So als wäre er selbst nur körperlich hier anwesend, aber durchlebte in seinen Gedanken etwas ganz Anderes. Eine Erinnerung?
Aber da ich natürlich nicht aufhören konnte zu weinen, reichte es ihm schließlich. Ich sah zu, wie seine Faust scheinbar in Zeitlupe in Richtung meines Gesichts wanderte. Sein Schlag gegen mein Kinn schleuderte meinen Kopf nach hinten. Ich spürte noch, wie mein Kopf heftig an der Wand aufschlug, bevor mir schwarz vor Augen wurde.***
Am nächsten Morgen weckte mich der Geruch von Pfannkuchen. Sofort schlug ich meine Augen auf und wollte schnell aufstehen, um in die Küche zu gehen, als ich mich wieder an die Geschehnisse des letzten Abends erinnerte. Instinktiv fasste ich mir an meinen Kopf und fühlte etwas Weiches. Logan hatte mir den Kopf verbunden. Als ich jedoch mein Kinn berührte, musste ich mich zusammenreißen, vor Schmerz nicht laut loszuschreien.
Nachdem der Schmerz etwas verblasste, blickte ich mich um. Ich lag in Logans Bett und nicht mehr in der Küche, wo ich bewusstlos geworden bin. Er musste mich gestern noch hierher gebracht und versorgt haben. Vorsichtig hob ich die weiße Bettdecke an, um daraufhin festzustellen, dass er auch meine Füße verbunden hatte. Wie sollte ich ihm jetzt gegenübertreten? Ich konnte doch nicht mehr so tun, als wäre nichts gewesen?Langsam stand ich auf, auch wenn jeder einzelne Schritt das Feuer meiner Fußsohlen wieder entfachte. Ich bewegte mich in Richtung Spiegel, um mir mein Gesicht anzusehen. Mir stockte der Atem. Wie sollte ich das abdecken? Meine Wangen waren leicht bläulich verfärbt, womit ich ohne Probleme zurechtkommen würde. Was mir jedoch mehr Sorgen bereitete, war mein Kinn. Es leuchtete in einem satten Lila und war aufgeplatzt. Logan hatte notdürftig ein Pflaster über die wahrscheinlich schlimmste Stelle geklebt.
Jedoch hatte ich keine Zeit mich länger im Spiegel zu betrachten, da ich hörte, wie jemand immer näher kam. Mit wenigen Schritten war ich wieder beim Bett und legte mich hin, um so zu tun, als würde ich noch schlafen. Die Tür zum Zimmer öffnete sich und im nächsten Moment spürte ich weiche, warme Lippen auf meiner Stirn.
»Aufwachen Süße, ich habe dir Pfannkuchen gemacht.«
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Don't You See?
Teen FictionAverys erstes Jahr am College hat begonnen. Während sich ihre Kommilitonen mit den üblichen Problemen eines Studienanfängers rumschlagen, hat sie ganz andere Sorgen: Logan. Seit zwei Jahren sind die beiden ein Paar, aber plötzlich verändert er sich...