Kapitel 37

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Jared

Als ich an der Adresse angekommen war, die Sara mir genannt hatte, musste ich erst einmal innehalten und überlegen, wie ich vorgehen sollte. Denn ich wusste, wenn ich jetzt einfach bei Logan reinplatzen würde, könnte ich mich nicht zurückhalten und tat möglicherweise etwas, was ich später bereuen würde.
Jedoch hatte ich nicht viel Zeit zu überlegen, da plötzlich die Tür aufging und Logan heraustrat. Er saß aus wie immer und wüsste ich nicht, was er getan hatte, würde ich niemals denken, dass irgendetwas passiert ist. Es schien, als ließe es ihn komplett kalt, was er Avery angetan hatte. Allein sein ausdrucksloses Gesicht zu sehen, machte mich wütend und ich lief mich angehaltener Luft auf ihn zu. Logan war gerade dabei, die Post zu holen und hatte mir somit den Rücken zugewandt, sodass er mich nicht kommen sah.
Als ich direkt hinter ihm stand packte ich ihn am Kragen und wirbelte ihn zu mir herum. Da es ihn unvorbereitet traf, wehrte er sich nicht. Als er mich erkannte, legte er noch mehr Kälte in seinen Blick, als ohnehin schon - auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie das überhaupt möglich war.


"Was ist dein Problem?", zischte er mich an. Das machte mich noch wütender, sodass ich - ihn immer noch am Kragen festhaltend - gegen die Briefkästen schubste. Sein Kopf traf mit einem lauten Knall gegen das harte Metall und ich meinte zu hören, wie ein leises Knurren aus seiner Kehle dran.
"Was mein Problem ist? Du!" Er zog nur unbeeindruckt eine Augenbraue in die Höhe.
"Wo ist Avery?", fuhr ich ihn an. Ein spöttisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen und seine Augen funkelten böse.
"Naja, zu Hause nehme ich mal an." Diese Reaktion ließ endgültig meine Sicherungen durchbrennen. Ich holte mit meiner geballten Faust aus und gab ihm einen Kinnhaken. Dabei donnerte sein Kopf erneut gegen das Metall und er stöhnte so leise auf, dass ich dachte, ich bildete es mir vielleicht nur ein. 


"Wie konntest du ihr nur so etwas antun? Wie kann man überhaupt jemandem so etwas antun?", schrie ich.
"Ach, jetzt bist du plötzlich der Held, der alle armen Seelen rettet? Um mich hast du dich nie geschert. Du hättest es beenden können. Du hättest ihn aufhalten können."
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich das Gespräch in diese Richtung entwickeln würde. Nachdem wir vom Jugendamt in verschiedene Kinderheime gesteckt wurden, hatte ich ihn bis zu meiner Party nicht mehr gesehen. Fast sechs Jahre hatten wir kein Wort miteinander gewechselt und uns somit nie über die Geschehnisse unterhalten.
"Ich war selbst ein Kind, verdammt!"
Ich konnte es nicht fassen, dass er mir immer noch Vorwürfe machte. Mittlerweile sollte er doch verstanden haben, dass ich ihm damals nicht helfen konnte. Und er hasste mich immer noch dafür.
"Ich war dir doch total egal. Du wolltest nur nicht, dass er auch anfängt dich zu schlagen. Du hast dich doch nie für jemand anderen interessiert als dich selbst!"
"Und darum muss Avery leiden? Weil du mich hasst?"
"Sie musste erst ab dem Moment leiden, als ich dich wieder gesehen habe - eine Woche vor deiner Party in einem Club. Du bist dafür verantwortlich, dass ich das getan habe."
"Du kannst nicht immer anderen die Schuld für deine Fehler geben! Es war deine Entscheidung, deinen Hass überhand gewinnen zu lassen und dabei merkst du überhaupt nicht, dass du genauso ein Monster geworden bist, wie er."
Mit diesen Worten versuchte er, sich aus meinem Griff zu lösen und mich anzugreifen, aber ich fing seinen Schlag ab.
"Vergleich mich nie wieder mit ihm! Aber wenigstens stelle ich mich meinen Problemen, anstatt davon zu laufen und meinen Nachnamen zu ändern. Mason. Lächerlich."
"Was?"
"Warum hast du das getan? Dass er dich nicht finden kann? Damit er nach seiner Haftstrafe nur mich finden kann? Tja, er hat mich gefunden!"
Dieses Gespräch verlief tatsächlich ganz anders, als ich mir vorgestellt hatte. 
"Meine Mutter hieß Mason."
"Laber keinen Scheiß, unsere Mutter hieß Hoffman, wie wir." Ich sah einen kurzen Moment der Trauer in seinem Gesicht, als er an sie dachte. Jedoch fing er sich sofort wieder.
"Du weißt es nicht?"
"Was weiß ich nicht?", zischte er wütend. Es gab tatsächlich viel mehr unausgesprochene Themen zwischen uns, als ich dachte.
"Deine Eltern haben mich adoptiert, bevor du auf die Welt gekommen bist. Meine leibliche Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Und sie hieß Mason. Mit 18 habe ich ihren Namen angenommen, da ich sicher nicht den Namen deines Vaters behalten wollte."
Ich konnte ihm ansehen, dass er mir nicht glaubte. Aber es stimmte; ich habe es jedoch auch erst erfahren, nachdem wir vom Jugendamt abgeholt wurden.
Erst in dem Moment, sickerte diese eine Sache in mein Gehirn, die er erwähnt hatte.
"Er ist aus dem Gefängnis frei gekommen?" 
"Zwei Jahre früher. Gute Führung.", spuckte er die Worte aus. "Und er hat mich letzte Woche kontaktiert, wollte sich entschuldigen. Dann habe ich ihm für einige Tage einen Besuch abgestattet und - sagen wir es mal so - ich habe seine Entschuldigung nicht angenommen."
Seine Mimik strahlte pure Boshaftigkeit aus und ich wagte es nicht zu fragen, was ich mir genau darunter vorstellen sollte, dass er die Entschuldigung nicht angenommen hatte.



Dann ging alles ganz schnell und ich befand mich auf dem Boden, während Logan meine Arme hinter meinem Rücken festhielt. Ich war nur einen Moment unachtsam geworden, hatte mich von ihm zu diesem Gespräch verleiten lassen und vergessen, weswegen ich eigentlich hergekommen war. 
"Aber genug von den alten Familiengeschichten, Jared. Glaub mir, Avery ist es nicht wert, um sie zu kämpfen. Irgendwann kommt ein anderer Schönling vorbei und sie wird auch dich hintergehen. Sie ist genau wie die anderen Schlampen. Also hat sie es doch irgendwie verdient, meinst du nicht?"
"Du bist echt krank, Logan."
"Witzig, dass du das sagst. Ich meine mich erinnern zu können, dass Avery mir genau das selbe gesagt hatte. Aber weißt du was? Ich bin tatsächlich bei einem Psychologen. Deinetwegen. Glaub mir, es wäre ihr noch viel schlimmer ergangen, wenn ich meine Gedanken nicht bei ihm abgeladen hätte. Natürlich bin ich nie ins Detail gegangen, aber die Schweigepflicht ist ne tolle Sache, nicht?" 
Während er redete, schaffte ich es, mich aus seinem Griff zu befreien und schlug ihm mit voller Wucht mehrmals ins Gesicht. Seine Lippe war aufgeplatzt und seine Nase begann zu bluten, als ich - erschrocken von mir selbst - aufsprang und ging. 
Den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Ich würde niemals so ein Monster werden wie er. Es führte ja auch zu nichts. Er wusste scheinbar nicht wo Avery war und ich war somit kein Stück weiter gekommen als zuvor.

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