Kapitel 28

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Jemand rüttelte an meiner Schulter.
"Hey, Avery, wach auf. Es ist nur ein Traum."
Schlagartig öffnete ich meine Augen und blickte in Logans besorgtes Gesicht. Er hatte sich über mich gelehnt und hob seine Hand, um meine Tränen wegzuwischen. Davor hatte ich überhaupt nicht gemerkt, wie sie meine Wangen herunterliefen, aber als ich es dann tat, kamen immer mehr.
Ich hasste diese Albträume. Dieses Gefühl, das einem die Brust zuschnürte und paralysierte. Die Angst einzuschlafen. Für einige Tage waren sie tatsächlich verschwunden und ich dachte ich hätte es überstanden. Aber damit lag ich anscheinend falsch.
"Pssscht, alles wird gut. Ich bin ja da."
Ich versuchte wirklich, meine Tränen versiegen zu lassen, aber ich hatte einfach keinen Einfluss darauf. Als Logan merkte, dass ich nicht aufhören würde zu weinen, legte er seine Arme um mich und begann sanft meine Tränen wegzuküssen.
"I-ich...", setzte ich an, wurde aber sofort von Logan unterbrochen.
"Du musst mir nichts erklären. Es ist ok.", flüsterte er mir zu.

Es dauerte eine Weile, bis ich es geschafft hatte, mich wieder zu beruhigen. Nachdem die letzte Träne dann schließlich geflossen war, ging ich ins Bad, um zu duschen; in der Hoffnung jegliche Erinnerung an den Traum wegzuspülen.
Schleppend langsam streifte ich mir meine Schlafsachen vom Körper und drehte das kalte Wasser auf. 
Einige Minuten lang stand ich einfach nur da, um zu spüren, wie das Wasser auf meinen Körper prasste. Unglaublich, was in den letzten zwei Tagen alles passiert war: Ich hatte Jared geküsst, hatte meinen Platz im Projekt verloren und war tatsächlich zu einem Psychologen gegangen.
Nachdem ich mich etwas wacher fühlte, schnappte ich mir eine Flasche Duschgel und begann meinen Bauch einzuseifen. Sofort durchfuhr mich ein stechender Schmerz und ich zuckte so stark zusammen, dass ich kurz das Gleichgewicht verlor und leicht mit meinem Fuß wegrutschte. Glücklicherweise schaffte ich es noch rechtzeitig, mit an der Wand festzuhalten, bevor ich fiel. 
Ich stellte das Wasser aus und hielt kurz inne, bevor ich mich vor den Spiegel stellte, um den Ursprung des Schmerzes zu begutachten.

Was ich dann sah, ließ mir den Atem stocken: Über meinen Bauch zogen sich zwei längliche blaue Flecken. Beim genaueren Hinsehen fand ich sogar, sie sahen wie zwei Handabdrücke aus. Angestrengt versuchte ich zu überlegen, woher ich sie hatte, aber mir fiel es nicht mehr ein. Ich konnte mich nicht daran erinnern, diese Flecken zu haben. Nachdem ich mich einigermaßen von dem Schock erholt hatte, ließ ich meinen Blick wieder über meinen Körper schweifen.
Auch an den Armen und im Brustbereich befanden sich solche Druckstellen, auch wenn sie nicht so stark ausgeprägt waren, wie die am Bauch. 
Was stimmte nur nicht mit mir, dass ich mich nicht daran erinnern kann, mich verletzt zu haben. Oder verletzt worden zu sein.
Ich verwarf den Gedanken, der sich in meinem Gehirn einnistete sofort und sprang erneut unter die Dusche.

Als ich das Bad verließ, stand Logan im Flur und sah mich wieder mit diesem besorgten Blick an. "Alles gut bei dir?"
"J-ja. Alles super.", antwortete ich mit zittriger Stimme und blickte auf den Boden, woraufhin Logan auf mich zukam und mein Gesicht anhob, damit ich ihm in die Augen sehen musste.
"Es geht dir nicht gut. Also, was ich los? Bitte, schließ mich nicht aus."
Sollte ich ihm wirklich sagen, was ich gesehen hatte? Und was ich dachte? Aber eigentlich müsste er ja wissen, was ich dachte, woher die blauen Flecken kommen, wenn ich sie schon gesehen habe.
"Bitte.", wiederholte er leise.
"Ich wirklich nichts Schlimmes, es sind nur meine Beine. Ich habe sie mir verbrüht, als ich bei Sara übernachtet habe."
"Oh, ok. Tut es noch weh?"
"Nicht mehr so schlimm. Naja, eigentlich kaum.", versuchte ich mich rauszureden. Meine Beine taten tatsächlich weniger weh, aber ich spürte es trotzdem immer noch sehr gut. Ich wollte einfach nicht, dass Logan mich verarztete, den das würde nur die Erinnerungen an Jared auffrischen und wie er sich um mich gekümmert hatte.
Bei dem Gedanken wurde mir ganz warm ums Herz. Obwohl ich ihm immer wieder gesagt hatte, er solle gehen, hat er es nicht getan. Er ist bei mir geblieben und hat mir geholfen.

"Avery?"
"Hm?" 
"Ich habe gefragt, ob ich schon was zum Frühstück machen soll. Wir haben sowieso schon 8 Uhr." Genau in dem Moment knurrte mein Magen als Antwort, woraufhin Logan grinsend in der Küche verschwand. Währenddessen ging ich noch einmal ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen, als plötzlich mein Handy vibrierte. 
Es war eine Nachricht von Jared.
"Wir müssen reden."
Vielleicht war es doch ein Fehler, die Nähe zwischen uns beiden zuzulassen. Er war auch vorher schon ziemlich neugierig und aufmerksam - zu aufmerksam. Jetzt würde er bestimmt nicht mehr locker lassen, bis er alle Antworten auf seine Fragen bekam. Aber ich hatte nicht vor sie ihm zu geben.
Möglicherweise dachte ich ja auch in die komplett falsche Richtung. Er könnte ja auch einfach eine Frage wegen dem Projekt haben. Oder er wollte Sara was schenken und brauchte einen Rat. Wenn ich nicht antworten würde, wäre er aber bestimmt noch misstrauischer, also entschied ich eine Antwort zu tippen.
"Okay, klar. Wann? Weißt du übrigens, warum ich vom Projekt ausgeschlossen wurde?"
Wenn ich ihm sowieso schon schreiben musste, konnte ich ihn auch gleich fragen, was das mit dem Projekt sollte. Ich musste keine Minute auf die Antwort warten.
"Du wurdest vom Projekt ausgeschlossen? Ich habe damit jedenfalls nichts zu tun. Wie wäre es mit Dienstag? Bin in den Tagen vorher noch unterwegs."
"Alles klar, bis dann."

Mit einem komischen Gefühl im Bauch legte ich mein Handy zur Seite. 
Wenn Jared mich nicht bei Professor Simmons verpetzt hatte, blieb nur noch eine, die wissen konnte, dass ich nicht mitgearbeitet hatte.


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