Kapitel 44

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Finn zuckte nur mit den Schultern und steckte sich die Zigarette selbst zwischen die Lippen. 
"Wie du meinst." Er nahm einen tiefen Zug und schloss genüsslich die Augen. 
In diesem Moment fühlte ich mich so fehl am Platz wie noch nie zuvor. Was tat ich hier überhaupt? Ich kannte diese Leute noch keine 24 Stunden und hätte ich Finn getroffen, bevor das alles mit Logan passiert ist, wäre ich niemals mit ihm mitgegangen und hätte mich auf solche Dummheiten eingelassen.
Sobald es hell werden würde, würde ich von hier verschwinden. Es war sowieso eine schlechte Idee hierher zu kommen. Auch wenn ich mich verändern wollte: So wollte ich sicher nicht werden.
Ein Stück hinter Finn konnte ich sehen, dass die Meisten mittlerweile aufgewacht waren und sich in einem Kreis auf dem Boden zusammengesetzt hatten. Es schien, als würden sie über etwas diskutieren, denn das anfängliche Gemurmel wurde immer lauter.
"Nicht schon wieder.", sagte Finn genervt und ich sah, dass er die Gruppe beobachtete. Dann drehte er sich wieder zu mir und blies mir den Zigarettenrauch ins Gesicht. Ich hustete ein paar Mal, aber sagte nichts und wandte den Blick wieder den Anderen zu.
Da wusste ich, was Finn gemeint hatte. Zwei der Jungs sind aufgestanden und sahen sich wuterfüllt an, während sie beide ihre Hände zu Fäusten geballt hatten und so aussahen, als würden sie jeden Moment aufeinander losgehen.
Die restlichen Leute, die um sie herum saßen, sahen nicht so aus, als würden sie eingreifen wollen, sondern beobachteten einfach nur das Geschehen.


"Das sind Cole und Zac.", erklärte er mir. "Ständig ziehen sie diese Show ab, weil sie sich immer gegenseitig provozieren müssen. Dann prügeln sie sich und wir haben für einen oder maximal zwei Tage Ruhe, bis das Ganze wieder von vorne beginnt. Dabei weiß ich nicht einmal, weswegen sie sich immer streiten. Aber ich glaube, das wissen sie selbst auch nicht. Sie haben einfach Spaß daran."
Bei Finns Worten gefror mir das Blut in den Adern. Wie konnten sie Spaß daran haben, sich zu prügeln? Warum wollten sie einen anderen Menschen verletzen?
Ich weiß nicht, ob die Anderen das anders sahen und ich diesbezüglich einfach nur empfindlich geworden bin, nach dem was passiert war. Aber scheinbar sahen sie es tatsächlich gelassen, denn sie taten so, als würde nichts los sein, als würden in ihrer Mitte nicht zwei Jungs stehen, die so aussahen, als würden sie jeden Moment aufeinander losgehen - und das mit dem Vorsatz, den jeweils Anderen so schwer wie möglich zu verletzen. 
Allein aus Finns Worten konnte ich schon heraushören, dass es auch ihn kalt ließ. Vielleicht waren sie alle aber auch einfach nur viel zu zugedröhnt, um einen klaren Gedanken fassen zu können.

Da hörte ich einen lauten Knall und mein Kopf schnellte zu Cole und Zac. Einer der Beiden - ich wusste nicht wer von ihnen es war - lag auf dem Boden, während der Andere sich rittlings auf ihn drauf gesetzt hatte und immer wieder auf ihn einschlug, bis Blut aus seiner Nase und seinem Mund tropfte. Im nächsten Moment hatte er es dann geschafft, sich zu befreien und nun war er derjenige, der die Schläge austeilte. 
Ich spürte, wie mir kalter Schweiß den Rücken runterlief und ich anfing zu zittern. Erinnerungen kamen hoch. Ich sah es wieder deutlich vor mir: Logan, der mich trat, obwohl ich bereits kraftlos am Boden lag. Immer und immer wieder.
Und dann tat ich das denkbar Dümmste, was ich hätte tun können: Ich lief zielstrebig auf die Beiden zu, um den Kampf zu beenden.

Ich sah noch, wie Finn geschockt die Augen aufriss und merkte, wie es im Raum plötzlich ganz still wurde, als den Anderen klar wurde, was ich vorhatte. Sie hatten ihre Gespräche unterbrochen und alle Augen waren auf mich gerichtet. Cole und Zac hatten natürlich nichts vom Stimmungsumschwung mitbekommen, da sie immer noch viel zu beschäftigt damit waren, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Die Beiden standen mittlerweile an einer Wand des Zimmers und der Größere von ihnen wurde vom Kleineren, der dafür aber sehr massig gebaut war, an die Wand gedrückt. Ohne nachzudenken schlug er mit seiner geballten Faust immer wieder in das Gesicht des Anderen, sodass es mittlerweile mit Blut überströmt war.
Mittlerweile hatte ich sie erreicht und stellte mich ohne mir großartig Gedanken darüber zu machen genau zwischen die Beiden, um sie voneinander wegzudrücken. Dummerweise holte der kleinere Stämmige genau in diesem Moment aus und traf mit voller Wucht mein Auge.
Vor Schmerz stöhnte ich laut auf, als ich auch schon heftig zur Seite und gegen eine Holztür mit alten, rostigen Scharnieren geschubst wurde.
Trotz meinem - zugegeben nicht wirklich erfolgreichen - Einschreiten, kämpften die Beiden unbeirrt weiter.
"Stopp!", schrie ich, weil ich einfach nicht mehr zusehen konnte. Warum konnten sie nicht einfach reden? Sie mussten doch einsehen, dass es keinen Sinn hatte und zu nichts führte.
Keiner von ihnen reagierte auf mich, also musste ich es einfach noch einmal versuchen. Natürlich war ich mir der Gefahr, der ich mich selbst aussetzte, bewusst, aber ich hatte das unaufhaltbare Verlangen, diese Schlägerei zu beenden.
Außerdem wusste ich ja zu gut, wie sich solche Schläge anfühlten und das wünschte ich wirklich niemandem.
"Hey!", rief ich, während ich versuchte Einen von ihnen an seinem Oberkörper vom Anderen wegzuziehen.
"Du legst es echt darauf an, oder?" Die Stimme war so wutentbrannt, dass ich kurz in meiner Bewegung erstarrte. Diesen Moment nutzte er, um mich erneut wegzustoßen. 
Da der Stoß so unerwartet kam, schaffte ich es diesmal nicht, meinen Fall abzufangen und stürzte geradewegs zu Boden. Sofort schoss ein brennender Schmerz durch meinen Unterarm, der mich alles um mich herum vergessen ließ. Ich senkte meinen Blick, um mir meinen Arm genauer anzusehen und hörte vor Schreck für einen kurzen Moment auf zu atmen.

In unzähligen Linien floss das Blut meinen Unterarm herunter zu meinen Fingern, von welchen es schließlich auf den Boden tropfte. Ab dem Moment geschah alles wie in Trance: Ich hörte gedämpft, wie mehrere Leute schrien. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Jemand kniete sich zu mir, fasste mir an meine Wangen und rief dann auch etwas. Sechs. Sieben. Acht. Neun. Zehn. Elf. Ich beobachtete währenddessen nur die Tropfen, die sich von meinen Fingern lösten und zählte die Tropfen, die sich bereits auf dem Boden angesammelt hatten. Zwölf. Dreizehn. Vierzehn. Fünfzehn. Sechszehn. Siebzehn. Meine Lider wurden langsam schwer und ich versuchte mit aller Mühe sie offen zu halten. Achtzehn. Neunzehn. Zwanzig. Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. 
Da wurde etwas Weißes auf meinen Arm gelegt und eine Hand streichte über meinen Rücken. Auf einmal waren ganz viele Gesichter vor meinem, aber ich war nicht in der Lage, sie irgendwelchen Personen zuzuordnen, denn meine Augen fielen immer wieder zu, bis ich schließlich nicht mehr in der Lage war, sie weiterhin offen zu halten. 

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