Erleichtert atmete ich aus. Er war verschwunden. Logan würde nicht herausfinden, wohin ich gestarrt hatte, auch wenn er es versuchte. Denn Logans Gesichtsausdruck zeigte mir ganz klar, dass er sich immer noch fragte, wovon ich eben so fasziniert war, sprach mich jedoch nicht darauf an.
»Hier ist dein Drink, Avy«, sagte er und schob ein Glas mit karamellfarbener Flüssigkeit in meine Richtung.
Dankend schenkte ich ihm ein kleines Lächeln, trank das Glas in einem Schluck aus und sah ihn bittend an. Daraufhin musste er kurz auflachen und bestellte mir ein weiteres Glas, welches ich erneut gierig austrank.Ich spürte, wie die Flüssigkeit meinen Körper von innen wärmte und mir half loszulassen. Zumindest für diesen Abend würde ich meine Sorgen hinter mir lassen können, genauso wie die Gedanken an diesen einen Abend. Beschwingt griff ich nach Logans Armbeuge und zog ihn mit mir zusammen auf die Tanzfläche. Dort angekommen schlang Logan seine Arme um meinen Körper und fing an sich im Takt der Musik zu bewegen. Dabei zog er mich so eng an sich, dass die Angst wiederkam. Ich versuchte meine aufkeimende Panik zu unterdrücken, aber es klappte nicht. Die Erinnerungen waren einfach noch zu frisch, also drückte ich ihn ein Stück von mir weg.
Er sagte nichts dazu, sondern zog nur eine Augenbraue in die Höhe und sah mich mit einem Blick an, der etwas Bedrohliches an sich hatte. Ich weiß nicht, ob es an den Drinks lag oder daran, dass ich mich von Logan in diesem Moment tatsächlich etwas eingeschüchtert fühlte, aber ich stoppte meine abwehrende Haltung und ließ wieder zu, dass er mich zu sich zog.Nach einer Weile fing er an mich sanft zu küssen. Er startete bei meinem Scheitel, dann küsste er meine Stirn, meine Nasenspitze und schließlich meinen Mund. Dabei begannen seine Hände meinen Körper zu erkunden. Er glitt mit ihnen von meinen Schultern zu meinem Rücken hinunter, genau wie er es vor wenigen Stunden noch bei mir zu Hause getan hatte.
Der Kuss wurde immer härter und aufdringlicher, während er mich immer fester an sich presste. Erschrocken stieß ich ihn unsanft von mir weg und wider Erwarten ließ er ebenfalls von mir ab, was aber wahrscheinlich eher daran lag, dass er durch mein Handeln überrascht war, als an meiner Stärke.
Er stand nun etwa einen Meter vor mir und blickte mir intensiv in die Augen. Erst jetzt merkte ich, wie unkontrolliert mein Puls raste.
Plötzlich sah ich die Erinnerungen an den Abend wieder wie einen Film vor meinem inneren Auge abspielen. Ich sah sie so deutlich vor mir, als würde ich sie noch einmal durchleben müssen.»Avery? Wer war der Typ eben?«
Ich konnte sehen, dass Logan kurz vor einem Wutausbruch stand. Seine Unterlippe fing dabei immer an zu beben und er verengte seine Augen zu Schlitzen.
»Das war nur ein alter Bekannter. Keine Sorge.«
»Ach ja? Das sah mir aber nicht nach einem Bekannten aus. Ihr habt euch ja mit euren Blicken förmlich gegenseitig ausgezogen. Was läuft da?«
»Logan, glaub mir doch, da ist nichts. Du interpretierst da etwas völlig Falsches rein. Können wir die Sache vielleicht einfach auf sich beruhen lassen?«
Er antwortete nicht, sondern rief den Kellner zu unserem Tisch und zahlte. Sobald der Kellner außer Sichtweite war griff Logan nach meinem Oberarm und zerrte mich grob aus dem Restaurant
»Logan, verdammt, du tust mir weh!«, schrie ich mit Tränen in den Augen. Er ignorierte mich weiterhin vollkommen und lief stur in Richtung seines Autos, in das er mich schließlich rein schubste. Mit einem lauten Knall schlug er die Tür zu und war im nächsten Moment bereits auf dem Fahrersitz, um dann mit viel zu hoher Geschwindigkeit zu seiner Wohnung zu fahren. Kaum schloss er die Haustür hinter sich, passierte es.
Er verlor die Kontrolle.Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu und machte Anstalten, mit seiner Hand meine Wange zu berühren. Ich konnte das aber nicht. Er sollte mich nicht anfassen. Nie wieder. Langsam versuchte ich zurückzuweichen, wobei ich immer wieder gegen tanzende Menschen stieß.
Aber Logans Schritte wurden immer schneller, wodurch meine Angst zurück kam. Es fühlte sich an, als würde ich ersticken. Die Panik übermannte mich. Ich wollte nur noch eins: weg von hier, weg von ihm. Ungeschickt stolperte ich nach hinten und verlor das Gleichgewicht. Ich war nicht in der Lage den Sturz aufzufangen, da der viele Alkohol mein Gehirn träge machte und ich somit unfähig war schnell genug zu reagieren.
Während ich fiel schien es, als würde die Welt für einen Moment den Atem anhalten. Die Menschen um mich herum standen still und die Musik war nur noch ein gedämpftes Summen. Es schien, als würde ich endlos fallen. Immer weiter, ohne jemals auf den Boden zu treffen. Eine ungewohnte Ruhe durchströmte meinen Körper und ich schloss die Augen, um diesen Moment in mir aufzusaugen und niemals enden zu lassen.Jedoch fand mein Fall ein jähes Ende, als mein Kopf ungebremst auf dem Boden aufschlug. Der stechende Schmerz brachte mich zurück in die Realität und ich öffnete wie auf Knopfdruck meine Augen. Die Musik lief weiter, die Menschen tanzten noch. Die meisten waren wahrscheinlich zu betrunken, um mich zu bemerken.
Ich weiß nicht wie lange ich in die Luft gestarrt hatte, bis ich schließlich bemerkte, dass jemand sich über mich gebeugt hatte und mich mit seinen rehbraunen Augen anstarrte. Erst wusste ich nicht was er von mir erwartete, bis ich sah, dass er mir seine Hand reichte. Wie betäubt griff ich nach ihr und er zog mich, sanfter als ich es für möglich gehalten hätte, nach oben.Mein Kopf fühlte sich komisch an. Klebrig. Nass. Der Junge bewegte seinen Mund, aber es kamen keine Worte bei mir an. Geistesabwesend, ohne den Blick von seinen Augen abzuwenden, fasste ich mir mit meiner freien Hand an den Hinterkopf und hielt mir diese Hand anschließend vors Gesicht.
Mit einem lautlosen Seufzen löste ich den Blick schließlich von seinen Augen und sah auf meine Hand. Sie war in dunkelrote Farbe getränkt. Mein Gehirn wusste nichts mit dieser Information anzufangen, also senkte ich meine Hand wieder und sah etwas Blaues hinter dem Jungen. Es funkelte und mein Gehirn signalisierte Gefahr.
Plötzlich waren die Geräusche wieder da. Ich hörte meinen eigenen erstickten Schrei und ließ wie vom Blitz getroffen die Hand des Jungen los. Während er auf mich einredete, kam das Blau immer näher, was mich dazu verleitete die Flucht zu ergreifen.
Immer noch ungeschickt, aber diesmal ohne Sturz, zwängte ich mich an den Menschen vorbei und gelangte schließlich nach draußen an die frische Luft. Erleichtert atmete ich auf.»Alles okay mit dir?«, fragte eine wunderschöne, warme Stimme. Sie gehörte ihm. Warum war er mir nachgelaufen?
»Ja, alles gut«, versuchte ich ihn abzuwimmeln und blickte in den Himmel.
»Du blutest. Das sollte sich lieber mal ein Arzt ansehen.«
Ich reagierte nicht darauf, weswegen wir uns für einen Moment einfach anschwiegen.
Um dieser unangenehmen Stille zu entfliehen, blickte ich zum Himmel und schaute mir die Sterne an, während ich versuchte irgendwelche Sternbilder zu erkennen. Genaugenommen war ich nicht in der Lage mehr als zwei Sternbilder sicher zu erkennen, aber trotzdem tat ich es immer in Momenten in denen ich mich versichern musste, dass alles in Ordnung war. Solange sich die Sterne nicht veränderten war alles gut, egal wie es mir ging.Ein Freudenschrei entfuhr meinen Lippen und überglücklich sah ich zu ihm.
»Ich kann den Orion erkennen! Und da ist auch Kassiopeia!«
Er schaute mich zunächst ungläubig an, doch dann zogen sich seine Mundwinkel immer weiter nach oben bis er ein herzhaftes Lachen von sich gab. Sein Lachen klang genauso warm wie seine Stimme, wenn er redete. Es war diese Art lachen der man stundenlang lauschen konnte. Jedoch verebbte es - meiner Meinung nach - viel zu schnell.
»Du schlägst dir deinen Kopf am Boden an und das Erste woran du denkst sind Sternbilder?«
»Ich finde sie faszinierend.«»Ich glaube du hattest eindeutig zu viele Drinks«, schmunzelte er, wurde dann jedoch plötzlich ernst.
»Sag mal, was war da drinnen los? Warum bist du vor... Blondi geflüchtet? Hat er dir was getan? Ich kann ihn gerne rauswerfen, wenn du magst.«
Während er redete, kam Blondi ebenfalls hinaus und blickte mich abwartend an. Schnell wandte ich meinen Blick wieder dem Jungen zu.
»Nein, nein. Alles okay. Logan ist mein Freund. Es ist alles... okay.«
DU LIEST GERADE
Don't You See?
Teen FictionAverys erstes Jahr am College hat begonnen. Während sich ihre Kommilitonen mit den üblichen Problemen eines Studienanfängers rumschlagen, hat sie ganz andere Sorgen: Logan. Seit zwei Jahren sind die beiden ein Paar, aber plötzlich verändert er sich...