Kapitel 57

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Wie erwartet lag Finn auf meinem Bett und schlief tief und fest. Seine schwarzen Haare waren fettig und standen in alle Richtungen ab. Er hatte den Mund leicht geöffnet und atmete röchelnd, als würde er durch seine Nase keine Luft bekommen. Außerdem sorgte er dafür, dass mein ganzes Zimmer wie eine Bar roch. Angeekelt rümpfte ich meine Nase.
Es war blöd von mir gewesen, ihm den Zweitschlüssel zu geben, sodass er immer in meine Wohnung kommen konnte. Aber andererseits hätte er - so hartnäckig, wie er nun einmal war - wahrscheinlich einfach vor der Eingangstür geschlafen und dort auf mich gewartet, wenn er den Schlüssel nicht bekommen hätte.
Ich blieb im Türrahmen stehen und räusperte mich laut, in der Hoffnung, es würde ihn wecken. Finn zeigte keinerlei Regung. Auch wenn ich nicht wusste, wann er nach der Party hierher gekommen war: So fest wie er schlief, musste er anscheinend einen ziemlich heftigen Rausch ausschlafen. 

"Finn?", rief ich laut, aber ohne irgendwelche Emotionen in meiner Stimme, denn er sollte nicht denken, dass für ihn irgendeine Chance bestand, noch weiter bei mir zu wohnen.
Wieder zeigte er keine Reaktion.
"Finn!", schrie ich nun und sah, wie er erschrocken zusammenzuckte. Er blinzelte einige Male wegen des hellen Lichtes, bis er seine Augen schließlich komplett öffnete und benommen zu mir sah.
"Babe? Wo warst du?" Ich hatte das Gefühl, er realisierte gerade weder wo er sich befand, noch was überhaupt los war.
"Nenn' mich nicht so.", zischte ich wütend. Ich hatte keine Ahnung, woher dieser Zorn plötzlich kam, aber er fühlte sich gut an. Irgendwie hatte Jared mir die Augen geöffnet und während ich Finn so anblickte, wie er so da lag und total weggetreten war, ekelte mich seine Anwesenheit einfach nur an. Daran, dass er mich oft sogar geküsst hatte, wollte ich erst gar nicht denken, wenn ich nicht riskieren wollte, dass ich mich wieder übergab. 

"Was ist los, Babe? Alles klar bei dir?"
Ich atmete einige Male tief durch, bevor ich ich ihm antworten konnte, ohne total auszuflippen. 
"Ich bin nicht dein Babe, Finn. Und ich möchte, dass du gehst."
Er runzelte die Stirn und öffnete leicht seinen Mund.
"Wohin soll ich gehen?"
"Keine Ahnung, mir egal. Du sollst einfach verschwinden." 
Er wirkte irritiert, als würden meine Worte nicht in sein Gehirn durchdringen, aber ich wusste, dass er genau verstanden hatte, was ich wollte, als er zur Bettkante rutschte und aufstand. Sein Blick war leer. Genau so, wie meiner es auch gewesen war; und er war dafür verantwortlich.
Er streckte seine Arme nach mir aus und ich wich instinktiv ein Stück nach hinten. 
"Fass mich nicht an, Finn.", warnte ich ihn.
Ein trauriger Ausdruck huschte über sein Gesicht und war so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war, sodass ich für einen Moment daran zweifelte, dass er wirklich da war.

"Habe ich was getan? Gestern war alles noch in Ordnung, es war immer alles in Ordnung und jetzt willst du, dass ich gehe? Dass ich einfach verschwinde, als wäre diese Verbindung zwischen uns nicht da? Wir können das nicht ignorieren."
Als er anfing zu reden, fühlte ich mich für einen Moment schuldig. Es war wirklich nicht nett, ihn von einem auf den anderen Tag rauszuwerfen und den Kontakt abzubrechen, aber seine beiden letzten Sätze sorgten dafür, dass ich erschrocken noch weiter zurückwich.
"Finn, da ist keine Verbindung zwischen uns. Du bist nicht gut für mich, ich will einfach nur, dass zu gehst." Er versank in seinen Gedanken und starrte die Wand neben mir an.
"Bitte.", fügte ich noch flehend hinzu.

"Nein.", antwortete er nach einer Weile. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Er trat wieder einige Schritte auf mich zu und streckte erneut seine Arme nach mir aus.
"Es ist nicht deine Entscheidung. Das ist meine Wohnung und ich will, dass du gehst. Sofort." Ich wusste überhaupt nicht, dass meine Stimme so entschlossen klingen konnte.
Finn kniff seine Augen zusammen und ließ seine Arme wieder sinken.
"Avery, Babe. Du kannst nicht klar denken. Wir gehören zusammen und ich werde bleiben."
Ich spielte kurz mit dem Gedanken, Jared anzurufen und ihn um Hilfe zu bitten, aber verwarf die Idee schnell wieder. Er würde meinen Anruf sowieso nicht annehmen und ich konnte ihn auch nicht wegen jeder Kleinigkeit anrufen. Ich war nicht von ihm abhängig.

"Ich rufe die Polizei, wenn du nicht sofort verschwindest." Drohend zückte ich mein Handy.
Seine Augen verengten sich erneut und er presste die Lippen zusammen.
"Das würdest du nicht tun. Du würdest mich niemals so verraten. Immerhin war ich derjenige, der dich aufgenommen hat. Ich habe dir aufgeholfen, als du am Boden warst."
"Das hast du nicht getan. Du hast dafür gesorgt, dass ich am Boden liegen bleibe und nicht alleine wieder aufstehen kann."
"War es dieser braunhaarige Typ? Hat er dir irgendetwas getan, dass du so reagierst?", zischte er.
"Das hat er. Er hat mir die Augen geöffnet.", sagte ich unbeeindruckt von seiner Wut und entsperrte meinen Bildschirm. 

Langsam merkte er, dass ich es ernst meinte. Und ich wusste genau, es war das letzte, was er wollte, Schwierigkeiten mit der Polizei zu bekommen. Er und seine Freunde trauten sich ja nicht einmal in ein Krankenhaus. Ich sah, wie sein Gesichtsausdruck von wütend zu ängstlich wechselte.
"Ich hoffe aber dir ist klar: Wenn ich jetzt gehe, komme ich nicht wieder zurück. Auch nicht, wenn du wieder angekrochen kommst, weil dir der Schönling dein Herz gebrochen hat."
Genervt rollte ich mit den Augen, bevor ich ihn wieder ansah.
"Damit kann ich leben."

Finn rauschte an mir vorbei zu seinen Schuhen und zog sie sich an. Währenddessen stellte ich mich vor die Eingangstür und wartete, dass er fertig wurde. Sobald er vor mir stand, hielt ich meine Handfläche auf.
"Die Schlüssel."
Er zögerte einige Sekunden, bevor er seine Hand in die hintere Hosentasche seiner Jeans steckte, den Schlüssel hervorholte und ihn in meine Hand fallen ließ.

Sobald ich den Schlüssel in meiner Hand hatte, trat ich einen Schritt zur Seite, sodass er durch die Tür gehen konnte. Er verharrte noch für einen Moment in seiner Position und sah mich an. Für einen Moment wirkte es so, als wollte er noch etwas sagen, schien sich aber im letzten Moment umentschieden zu haben.
Seine Hand schnellte hervor und er schubste mich gegen die Wand, die sich hinter mir befand, bevor er verschwand.
Ich war so verwirrt von seinem kurzen Wutausbruch, dass ich den Schmerz an meinem Hinterkopf überhaupt nicht beachtete. Mir war unklar, warum er das getan hatte, aber wenn es dafür gesorgt hatte, dass ich ihn nie wieder sehen musste, nahm ich es gerne in Kauf.



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