Kapitel 34

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Als ich wieder zu mir kam, wurde es draußen schon wieder hell. Ich lag immernoch auf der zertrümmerten Vitrine und spürte jede einzelne meine Wunden.
Meine Klamotten sind vom Glas zerschnitten worden und waren mit meinem Blut befleckt, aber es schien so, als hätten die Blutungen fürs Erste gestoppt.
Ich hob meinen dröhnenden Kopf, um mir ein genaueres Bild von meiner Lage zu machen. Moment mal, war Logan noch da? Sofort begann ich unregelmäßig zu atmen und sah mich hektisch um.
"Hallo?", wisperte ich. Als niemand antwortete, rief ich noch einmal lauter. Ich war alleine.
Oder antwortete er einfach nicht? Sofort steigerte ich mich weiter in meine Panik rein. Da fiel mir erst auf, dass etwas hier überhaupt nicht stimmte. Meine Möbel wurden umgestoßen und auf dem Boden. Viele hatten den Sturz nicht so gut überstanden und waren zertrümmert. Vielleicht waren es aber auch nur die, die Logan im Nachhinein nicht noch zusätzlich zerstört hat.
Logan hatte meine komplette Wohnung verwüstet, nachdem ich ohnmächtig geworden bin.
Da wurde mir plötzlich kurz schwarz vor Augen und ich entschied, dass es besser wäre, Hilfe zu holen, solange ich noch bei Bewusstsein war. Ich befreite mich aus dem Trümmerhaufen in dem ich lag, wobei ich mir, obwohl ich vorsichtig war, weitere Schnitte zufügte. Eine Blutspur hinter mir herziehend robbte ich in die Küche, wo meine Tasche mit meinem Handy liegen müsste. Auch hier sah es nicht besser aus, als auf dem Flur. Anscheinend war Logan gründlich bei dem, was er tat. Da sah ich meine Tasche und wollte mich aufstellen, um nach ihr zu greifen, aber ich stürzte sofort wieder auf den Boden. Verdammt. Ich versuchte es noch einmal, wobei ich mich mit aller Kraft an der Küchentheke festhielt. Erneut fiel ich zu Boden, bekam diesmal jedoch den Henkel der Tasche mit meinem kleinen Finger zu fassen. Erleichtert lehnte ich mich gegen die Theke und holte mein Handy aus der Tasche?

Aber wen sollte ich eigentlich anrufen? Sara war keine Option. Meine Eltern? Die würden nicht rechtzeitig hier sein und außerdem wollte ich nicht, dass sie es so erfuhren. Ich durchforstete meine Gedanken und der Einzige, der mir einfiel, war Jared. Mein Daumen verharrte kurz über seinem Namen auf dem Bildschirm. Dann atmete ich einmal tief durch und rief an.
Die Zeit, bis er abhob kam mir wie Stunden vor und ich zählte die Anzahl der Piepstöne - es waren genau 7.
"Wer auch immer gerade anruft, das kann doch warten, oder? Hab noch zwei Stunden zu schlafen.", nuschelte er im Halbschlaf.
"Ich bin's, Avery.", wisperte ich.
"Avery? Wir sehen uns doch später? Da können wir reden."
"Leg nicht auf, bitte ich... Ich brauche dich.", meine Augen wurden wieder feucht und meine Stimme zitterte. Sofort wirkte Jared hellwach.
"Was ist los, Avery?" Ich hörte ein Rascheln übers Handy; anscheinend zog er sich gerade an.
"Bist du noch dran? Wo bist du?", ich hörte die Panik in seiner Stimme nur zu deutlich.
"Zu Hause."
"Bin gleich bei dir. Okay?", damit legte er auf und ich legte erschöpft das Handy auf den Boden. Erneut wurde mir schwarz vor Augen.
'Nein Avery, du wirst jetzt nicht schlafen, Bleib wach, verdammt nochmal.', sagte ich mir in Gedanken. 'Bleib wach...'

***

Das nächste Mal wurde ich durch einen lauten Knall geweckt. Wer war das? War Jared schon da? Dann knallte es wieder. Und wieder. Es klang, als würde jemand versuchen, die Tür aufzubrechen.
"Avery? Bist du da?", schrie jemand von draußen. Jared war hier. Eine Welle der Erleichterung durchströmte mich und ich robbte in Richtung Tür. Jeder Schritt, den ich weiter voran kam, ließ meinen Körper schmerzen. Da gab es plötzlich einen viel lauteren Knall als die zuvor und die Tür flog in einem Schwung auf.
Sofort trat Jared ein und sah sich hektisch um, bis sein Blick an mir hängen blieb. Sein Gesichtsausdruck änderte sich mit einem Mal von panisch zu schmerzverzerrt. Langsam kam er auf mich zu, wahrscheinlich wollte er mich nicht durch schnelle Bewegungen verschrecken und ich war ihm mehr als dankbar dafür.
"Du bist gekommen.", flüsterte ich erleichtert. Er ging vor mir in die Knie und legte seine Hand an meine Wange. Erst in diesem Moment merkte ich, dass mein ganzer Körper zitterte.
"Bitte, sag mir was passiert ist. Du musst ins Krankenhaus... Avery? Wer hat dir das angetan?"
Ich sah in seinem Blick, dass er die Antwort auf seine Frage bereits wusste, aber es nicht wahrhaben wollte.
Sofort musste ich wieder daran denken, was passiert war. An Logans Worte und an das, was er mir angetan hatte. Wieder stiegen mir Tränen in die Augen, auch wenn ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Es klappte einfach nicht. Alles was letzten Abend passiert war lief immer und immer wieder wie ein Film in meinem Kopf ab.
"Hey...", versuchte Jared mich zu beruhigen und schlang seine Arme um mich. Weinend lehnte ich meinen Kopf an seine Brust und versuchte mich auf seinen Herzschlag zu konzentrieren.
Ich weiß nicht, wie lange wir so auf dem Boden saßen, während Jared mir über den Rücken strich und mir irgendwelche beruhigende Worte zuflüsterte, die ich in dem Zustand jedoch nicht aufnehmen konnte. Die Hauptsache war, dass er für mich da war.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, sah ich mich endlich dazu in der Lage, ihm zu erzählen, was passiert war.
"L-logan, er h-hat... ", stotterte ich vor mich hin. Ich spürte, wie Jareds Körper sich bei meinen Worten anspannte und er versuchte, ruhig zu bleiben.
"Er kam h-her und hat g-gesagt, d-dass..."
"Shhh... alles wird gut, Avery. Du bist in Sicherheit.", beruhigte er mich, da er merkte, dass ich wieder dabei war in Panik zu verfallen.
"Aber du musst wirklich ins Krankenhaus, du bist verletzt.", fügte er noch hinzu.
Erschrocken weitete ich meine Augen. Ich konnte nicht ins Krankenhaus, dann würden meine Eltern erfahren, was passiert war. Wie schwach ich war.
"Nein, bitte. Kein Krankenhaus!" Bei diesen Worten war meine Stimme klar und beherrscht, auch wenn ich nicht wusste, wie ich das plötzlich hinbekam.
Jared runzelte seine Stirn und nickte anschließend leicht.
"Aber ich will mir deine Verletzungen zuerst ansehen und mich versichern, dass du nicht auf ärztliche Hilfe angewiesen bist."
Stumm nickte ich. Dann hob er mich hoch und trug mich in mein Bett. Während ich einfach nur da lag, sah ich, wie er meine Schubladen öffnete und mir wenig später eine kurze Hose und ein Top gab.
"Danke.", sagte ich kaum hörbar und hob meine Arme, um mir mein Oberteil auszuziehen. In diesem Moment machten sich meine Schmerzen jedoch wieder stärker bemerkbar, als vorher, sodass ich zischend einatmete. Jared war sofort bei mir und sagte: "Warte, ich helfe dir."
Dankbar nickte ich und ließ meine Arme wieder runter.
Während er mir beim Umziehen half sah ich, dass er angestrengt versuchte, seine Wut zurückzuhalten, die er Logan gegenüber empfand. Als er fertig war und ich mich erschöpft ins Bett fallen ließ, erhob er sich von meiner Bettkante.
"Die Wunden sind zum Glück nur oberflächlich, darum musst du wirklich nicht zwingend ins Krankenhaus. Aber falls du es dir anders überlegst, sag mir sofort Bescheid. Ich werde dich begleiten."
Mit diesen Worten beugte er sich zu mir runter und strich mir eine Haarsträhne hinters Gesicht. Genau wie Logan vorher. Ich zwang mich, diesen Gedanken zu verwerfen, denn ich wollte wirklich nicht mehr an Logan denken müssen.
"Soll ich dir vielleicht einen Tee machen? Du magst doch Tee, oder?" 
Das hatte Logan mich auch vorhin gefragt und ich spürte, wie mein Atem immer schneller und flacher wurde.
"Kein Tee. Bitte, bitte nicht!", rief ich hysterisch.
Jared wirkte alarmiert und ich sah ihm an, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Er hatte ja auch keine Ahnung, warum ich bei dem Gedanken an Tee so reagierte. Dann lehnte er sich zu mir rüber und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ängstlich riss ich meine Augen auf und stieß ihn von mir weg. Ich begann wieder zu zittern und schloss meine Augen. Meine Reaktion erschreckte mich selbst, aber ich konnte einfach nicht anders. Mein Körper hatte das automatisch getan.
Als ich Jared wieder ansah, wirkte er kurz verletzt, aber dieser Gesichtsausdruck änderte sich schnell in einen gequälten. In Zeitlupe hob er seinen Arm ein Stück und streichte mir mit seinen Fingern sanft über den Arm.
"Was hat dieser Mistkerl dir nur angetan?" Seine Stimme klang so unendlich verletzt, dass es mir wieder Tränen in die Augen trieb. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht, dass er meinetwegen so litt.
"Es ist ok.", sagte ich deswegen, um ihn zu beruhigen. Meine Worte verfehlten jedoch ihr Ziel und Jared sprang wütend auf.
"Es ist verdammt nochmal nicht ok!"
Dann rannte er aus dem Zimmer und ich hörte, wie er auf irgendetwas mehrfach einschlug. Danach war alles still. Nachdem er sich abgeregt hatte, kam er wieder zurück zu mir und setzte sich neben mich auf den Boden.
"Schlaf am besten, Avery." Ich hatte keine Ahnung, wie jemand etwas so sanft sagen konnte, wie er eben grade.
"Bleibst du bei mir? Bitte. Ich will nicht allein sein.", flehte ich ihn an.
"Natürlich bleibe ich hier. Ich wäre nirgendwo hingegangen. Nicht solange du in diesem Zustand bist."
Ich war ihm so dankbar dafür, dass er hier war. Und das obwohl er es nicht tun musste, er war mir nichts schuldig. Langsam streckte ich meine Hand nach ihm aus und griff nach seiner, um unsere Finger ineinander zu verschränken.  
Meine Augenlider wurden langsam wieder schwer und ich konnte nur mit Mühe meine Augen offen halten. Ich spürte, wie sich die Matratze neben mir ein Stück senkte und Jared seinen Arm um meine Taille schlang, um mich an sich zu ziehen.
Eingehüllt in seinem süßen Duft, versuchte ich gar nicht mehr wach zu bleiben und kuschelte mich noch einmal an ihn, bevor ich letztendlich einschlief.

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