Kapitel 12

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Am liebsten wäre ich auf der Stelle umgekehrt und einfach weggerannt. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Jared war einfach überall, wo ich auch war. Irgendwie hätte ich mir auch denken können, dass er öfter mal Zeit bei Sara verbrachte, vor allem nachdem sie sich beim letzten Mal diese eindeutigen Blicke zugeworfen haben.

Natürlich konnte ich nicht einfach weglaufen. Das wäre noch viel auffälliger, als die Tatsache, dass ich so früh am Morgen im Pyjama vor Saras Wohnung stand. Also versuchte ich ganz normal zu wirken, als wäre es selbstverständlich in Schlafsachen durch die ganze Stadt zu laufen.

"Hey Sara.", ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf.
"Und Jared." 
Als Begrüßung nickte ich ihm einmal leicht zu. Da die Beiden immer noch kein Wort herausbrachten, sprach ich einfach weiter. 

"Ich ... ähm ... kann ich reinkommen?"
Ihr Schweigen machte mich langsam aber sicher nervös, sodass ich anfing, mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen zu verlagern und somit hin und her schwankte. Erwartungsvoll sah ich sie an.

Wortlos trat sie einen Schritt zur Seite und deutete mir mit einer Geste an, dass ich reinkommen sollte.
Wenige Minuten später saßen Sara und ich am Küchentisch, jeweils mit einer Tasse Tee in der Hand. Jared hatte nur irgendetwas unverständliches gemurmelt und war in Saras Schlafzimmer verschwunden.

"Also, Avery. Was machst du hier so früh am Morgen? Im Schlafanzug." 
Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee und ihr Blick wanderte zu meinen Füßen.
"Barfuß?"
Letzteres klang dabei eher nach einer Frage, als nach einer Feststellung.

"Ich... a-also das ist ne witzige Geschichte.", stotterte ich los und lachte einmal hysterisch auf. 
Sara sagte nichts und starrte mich an, als wäre ich aus der Klapse geflohen. Deswegen versuchte ich mich zusammenzureißen und begann spontan die erste Geschichte zu erzählen, die mir eingefallen ist. 

"Ich wollte eigentlich nur die Post holen gehen. Als ich dann draußen war, ist mir aufgefallen, dass ich vergessen habe meinen Schlüssel mitzunehmen und konnte dann nicht mehr in meine Wohnung gehen, darum habe ich beschlossen, ich statte dir mal einen Besuch ab, bis Logan vorbeikommt und mir den Zweitschlüssel, den ich ihm gegeben habe, vorbeibringt."

Zufrieden mit meiner Geschichte - die sogar relativ plausibel klang, wenn man mich kannte - lehnte ich mich zurück, nahm einen großen Schluck von meinem Getränk und sah Sara abwartend an.

"Und woher kommen die blauen Flecken in deinem Gesicht?"

Diese Frage kam unerwartet; was zur Folge hatte, dass ich mich an meinem Tee verschluckte und erstmal mit einem Hustenanfall zu kämpfen hatte. Dieser war mir jedoch gerade recht, da ich somit etwas Zeit gewann, um auf Saras Frage zu antworten.
Nachdem ich mich wieder einigermaßen eingekriegt hatte, bekam sie schließlich ihre Antwort.

"Ach das... mein Wecker hat mich heute morgen so erschreckt, dass ich aus dem Bett gefallen bin und dabei natürlich dummerweise genau mit meinem Gesicht auf dem Boden aufgekommen bin."

Wow Avery, eine unrealistischere Geschichte hättest du dir echt nicht ausdenken können. Gratuliere.

"Und das sollen wir dir glauben? Das kann nicht dein Ernst sein."
Jareds raue Stimme verursachte eine Gänsehaut, die sich über meinen gesamten Körper zog.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er in die Küche gekommen war und mich nun misstrauisch betrachtete.

"Naja, ihr müsst mir nicht glauben. Aber so ist es nun einmal passiert."
Hastig stand ich auf; nun hatte ich doch beschlossen, dass es besser wäre zu gehen, da mein Lügengerüst nicht wirklich stabil war und somit bei weiteren Fragen auseinanderbrechen würde. 
Sara zuckte nur mit den Schultern und wandte sich daraufhin ihrem Handy zu. Das irritierte mich etwas. Entweder sie glaubte mir tatsächlich - was total irrsinnig wäre - oder es war ihr einfach egal. Möglicherweise verstand sie auch einfach nur, dass ich jetzt nicht darüber reden wollte, wofür ich ihr sehr dankbar wäre.

Ich murmelte noch schnell etwas zum Abschied und verließ hastig die Küche. Sara sah dabei nicht einmal von ihrem Handy auf, sondern nickte nur leicht.

Im Flur griff ich gerade nach dem Türgriff, um die Wohnung zu verlassen, als mich zwei Hände an meinen Oberarmen griffen und gegen die Tür pressten. 
Vor Schmerz zischte ich laut auf. Nicht, weil Jared so fest zudrückte, sondern weil er genau auf die Stellen drückte, an denen Logan mich zuvor festgehalten hatte.
Irritiert von meiner Reaktion sah Jared auf seine Hände und ließ dann etwas lockerer, hielt mich aber trotzdem weiter fest.

"Sag mir, was passiert ist."
Seine Worte waren nur ein leises Flüstern, aber sie machten mich unglaublich wütend.

"Was ist eigentlich dein Problem, Jared? Wie kommst du darauf, dass du ein Recht darauf hast, dass ich dir irgendetwas erzähle? Dann kommst du auch noch ständig dahergelaufen und tust so, als würden dich meine Probleme interessieren."
Er antwortete nicht, sondern sah mich einfach nur an. Genervt schnaubte ich auf.

"Und was denkst du dir eigentlich dabei, mich hier gegen die Tür zu drücken? Wir sind doch nicht in irgendeinem Teenie-Roman. Also lass mich verdammt nochmal los."
Tatsächlich lockerte er seinen Griff, wandte den Blick jedoch nicht von mir ab. Sobald er mich losgelassen hatte, trat ich einen Schritt zur Seite und verließ die Wohnung.

Warum tat er das ständig? Warum tat er so, als würde ihn mein Leben interessieren und dann war er doch wieder ein Arsch? Ich verstand es einfach nicht. 

Langsam machte ich mich auf den Heimweg, denn ich hoffte, dass Logan verschwunden sein würde, wenn ich in meiner Wohnung angekommen wäre. Das Letzte was ich jetzt brauchte war nämlich, mich mit Logan auseinanderzusetzen. Ich hatte ja auch noch keine Gelegenheit gehabt, darüber nachzudenken, was ich jetzt tuen sollte. Wie es mit uns weitergehen sollte. Ob es mit uns weitergehen konnte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich dann tatsächlich zu Hause an und schloss die Tür auf. 
Sofort drang ein himmlischer Geruch nach Waffeln in meine Nase. Was sollte denn das jetzt wieder? Ein Blick auf den Boden zeigte mir, dass Logans Schuhe unberührt an dem Platz standen, an dem er sie gestern Abend abgelegt hat. 

Mist. Er war noch da. Ich wollte schon leise die Tür schließen und wieder verschwinden, als ich seine flehende Stimme hörte.

"Avery, Schatz. Geh nicht, bitte."
Ich erstarrte und drehte mich langsam um.

Vor mir stand Logan. In seinen Händen hielt er einen Blumenstrauß mit weißen Lilien. Er wusste, dass das meine Lieblingsblumen waren, jedoch hatte er mir - außer zu meinem Geburtstag und zum Valentinstag - noch nie einfach so Blumen geschenkt.
Irritiert runzelte ich die Stirn.

"Avery, bitte. Verzeih mir." 
Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach.

"Ich brauche dich. Es tut mir so unendlich leid, ich weiß auch nicht, was vorhin mit mir los war. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle und bitte glaub mir: So etwas wird nie, nie wieder passieren."




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