Kapitel 15

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Ich stand mit Sam an der Popcorn-Theke, während Logan dabei war, uns die Eintrittskarten für den Film zu kaufen. Es war irgendein Animationsfilm, den Sam unbedingt sehen wollte. Irgendwas mit sprechenden Tieren, wie ich annahm. 
Sam liebte Tiere. Schon als er ganz klein war verbrachte er Stunden damit, mit unserem kleinen Kater Romeo zu spielen und man musste ihn schon regelrecht von ihm wegzerren, damit er dem Kleinen mal eine Pause gönnte. 

Vor einem Jahr wurde Romeo dann direkt vor unserem Haus von einem Auto angefahren und er war auf der Stelle tot. Es brach mir das Herz zu sehen, wie Sam leidet. Er hat wochenlang kaum gegessen und nur das Nötigste gesprochen. 
Mittlerweile ist er zwar größtenteils darüber hinweg gekommen, aber manchmal, wenn er wieder an ihn denken muss, kommt die ganze Trauer mit einem Mal zurück.
Sam hat mit Romeo seinen besten Freund verloren.

Es wunderte mich also nicht, dass Sam mehr als begeistert von dem Vorschlag war, in den Zoo zu gehen, wo wir dann auch unseren Vormittag verbracht hatten. Sam war ganz aufgeregt und rannte glücklich von einem Gehege zum nächsten, während Logan und ich ihm gemeinsam hinterher trotteten.
Zu meiner Erleichterung machte Logan während des gesamten Aufenthaltes keine Anstalten, mir in irgendeiner Weise zu Nahe zu kommen. Er versuchte nicht, seinen Arm um meine Taille zu legen oder mir vereinzelt kleine Küsse zu geben, wie er es sonst gerne tat.
Vor allem nach einem Streit, wenn er auf diese Weise versuchte, mich vergessen zu lassen, wie grausam er meistens zu mir war. Möglicherweise tat er das aber auch nur, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Oder er hatte einfach Spaß daran, mich zu quälen.

Denn in diesen Momenten war jede seiner Berührungen wie eine Nadel, die sich in meinen Körper stach und jeder einzelne Kuss besiegelte, dass er, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, eine gewisse Macht über mich hatte.

"Avy, wir sind dran."
Nervös hüpfte Sam auf der Stelle auf und ab und zog ungeduldig an meinem Ärmel.

Mit diesen Worten holte Sam mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. Als ich die Frau, die das Popcorn verkaufte, anblickte, sah ich, dass sie ungeduldig mit ihren Fingern auf die Theke klopfte und mich fragend ansah.
Mir war das mehr als unangenehm.

"Einmal eine Maxi-Popcorn bitte und dreimal Fanta, bitte."
Mit einem leichten Nicken registrierte die Frau meine Bestellung und machte sich direkt an die Arbeit.

Als ich mich kurz umdrehte, um nach Logan Ausschau zu halten, stach mir etwas - oder eher gesagt jemand - Anderes ins Auge. Diese braunen Haare würde ich überall wieder erkennen. Und jetzt waren sie hier.
Innerlich stöhnte ich auf. So langsam hatte ich wirklich das Gefühl, dass Jared mich verfolgte. Wie konnte es denn bitte sein, dass er überall war, wo ich war?

Jedoch bemerkte ich schnell, dass dieser Gedanke keinen Sinn machte, da mir kurz darauf auffiel, dass er in einer Gruppe von sieben Leuten stand, die sich - allem Anschein nach - darüber beratschlagten, welchen Film sie sehen wollten. Glücklicherweise hatte Jared mich nicht gesehen und ich würde alles daran setzen, dass es so bleiben würde. 

Mittlerweile standen unsere Snacks vor mir auf der Theke und ich reichte der Frau noch schnell das Geld, bevor Sam und ich zur Seite traten, damit die Nächsten ihre Bestellung aufgeben konnten.
Ungeduldig suchte ich Logan, der mittlerweile nicht mehr in der Schlange für die Tickets stand. 

Während mein Blick durch die Menschenmenge schweifte, blieb er ungewollt wieder bei Jared hängen. Was machte er nur mit mir, dass mich sein Anblick so faszinierte?
Es schien, als hätte er gemerkt, dass ich ihn anstarrte. Denn genau in diesem Moment wandte er den Kopf in seine Richtung und starrte zurück.
In seiner Mimik konnte ich keinerlei Gefühlsregung erkennen. Da war rein gar nichts. Es machte mich wahnsinnig, nie zu wissen was er dachte.

Aber trotzdem schaffte er es nicht, den Blick von mir zu lösen. Genauso wenig wie ich.
Plötzlich verhärtete sich sein Blick.

"Schatz, was ist los? Ich hab die Karten."
Die Art, wie er meinen Arm berührte, zeigte mir, dass er genau wusste, was los ist und wen ich anstarre. Ich trat einen Schritt zur Seite, damit er mich losließ und wandte den Blick letztendlich doch ab.

"Ok, dann lasst uns rein gehen."
Ich nahm Sams Hand und zog ihn hinter mir her. Logan ignorierte ich einfach; er würde ja sowieso mitkommen. Ich hatte aber auch gerade einfach keine Kraft, mich mit Logan auseinanderzusetzen.

Keine halbe Stunde später fing der Film auch schon an. Ich sah, wie Sams Augen begannen zu leuchten, während er auf die riesige Leinwand blickte.

In dem Moment wurde mir klar, dass er wahrscheinlich lange nicht mehr im Kino war, da wir nie mit unseren Eltern zusammen im Kino waren. Nur Sam und ich.

Wie ich bereits erwartet hatte, handelte es sich um einen Film mit sprechenden Tieren. Genaugenommen war das auch keine große Überraschung, da der Großteil der Animationsfilme irgendetwas mit sprechenden Tieren zu tun hat. Aber solange es Sam glücklich macht, macht es auch mich glücklich.

Nach etwa einer halben Stunde beschloss ich, den Saal kurz zu verlassen um Mal aufs Klo zu gehen. Und das, obwohl ich das normalerweise während einem Film im Kino nie tat. Aber da ich bezweifelte, sonderlich viel vom Film oder der nicht vorhandenen Handlung zu verpassen, machte es mir in dem Moment nichts aus. Außerdem wollte ich auch einfach mal kurz von Logan weg. Er hat mich den ganzen Film über beobachtet und versucht, mich zu sich zu ziehen, damit ich mich an ihn kuscheln kann. Natürlich habe ich das nicht zugelassen und obwohl er das normalerweise nicht einfach so akzeptiert hätte, dass ich mich von ihm abwende, tat er es doch. Wegen Sam. Er wollte keine große Szene vor dem Kleinen, der ihm anscheinend wirklich etwas bedeutete, veranstalten.

Im Flur atmete ich einmal tief aus und meine ganze Anspannung fiel mit einem Mal von mir ab. Ich war so erleichtert, nicht mehr im stickigen Kinosaal neben Logan sitzen zu müssen. Mit wenigen Schritten ging ich zu einer Wand und lehnte mich mit geschlossenen Augen dagegen. Diesen kurzen Moment wollte ich in allen Zügen genießen. 

Da umfasste eine Hand mein Handgelenk und zog mich von der Wand weg, in einen kleineren Flur wenige Meter weiter.
Erschrocken riss ich die Augen auf und sah Jared vor mir stehen. Seine Hand hielt mich immer noch fest und er musterte mich angestrengt.
Ich wusste nicht was ich sagen sollte oder was er überhaupt von mir wollte, also sagte ich einfach nichts.
Nach einigen weiteren Sekunden ergriff Jared dann doch das Wort.

"Was ist mit dir passiert, Avery? Er war es, hab ich Recht?"

Mir wurde gleichzeitig heiß und kalt.

"N-nein. Wie kommst du darauf? Logan hat nichts getan."

Warum beschützte ich Logan? Ich könnte Jared einfach die Wahrheit sagen. Aber was würde mir das bringen? Nichts. Außerdem ging es gerade Jared auch überhaupt nichts an.

"Ich hab dir doch heute morgen erzählt, was passiert ist.", fügte ich dann noch emotionslos hinzu. "Ich bin aus dem Bett gefallen. Nichts weiter."

Fassungslos sah er mich an. Er wusste, dass ich log. Und diese Tatsache machte ihn wütend. So wütend, wie ich ihn noch nie erlebt hatte.

"Für wen hältst du mich eigentlich, Avery? Ich bin doch nicht blind."

Ich sah, dass er gerne schreien würde, aber er tat es nicht. Trotzdem hallten seine Worte wie ein Echo in meinen Gedanken wider.
Dann trat er plötzlich einen Schritt näher an mich heran und nahm mein Gesicht in seine Hände. Jetzt war seine Stimme nur noch ein verzweifeltes Flüstern.

 "Denkst du ich sehe es nicht? Sehe nicht, was er dir antut?"

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