~ Kapitel 1 ~

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Zusammengekauert lag eine abgemagerte Gestalt auf dem schmutzigen Boden. Ihre Haare waren spröde, die Wangen weiß und eingesunken.
Um sich herum nahm sie kaum noch etwas wahr. Der Hunger zerrte an ihr, doch unfähig sich zu bewegen, blieb sie liegen und überließ sich ihrem Schicksal. ,,Gott hilf mir!"
Es war ein leises Flüstern das über Amayas Lippen kam. Tränen rannen schon seit mehreren Tagen über ihr Gesicht. Sie hatte Angst.
Früher sang ihre Mutter ihr immer Psalmen vor, wenn sie Angst hatte, aber sie war nicht mehr da. Niemand aus ihrer Familie war noch übrig geblieben. Sie war alleine.

Seit mehreren Wochen wurde Armenien nun von der römischen Armee unter Gnaeus Domitius belagert auf den Befehl von dem römischen Kaiser Nero.
Die Vorräte der Stadt waren schon lange aufgebraucht. In stummer, stinkender Verwesung lag die Stadt unter der Sonne, wie die Tausenden von Leichen, die ihre Straßen bedeckten.
Die Verzweiflung lag wie ein dunkler, drückender Schatten über der Stadt. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn vor der Stadtmauer der Tod auf sie wartete?

Amaya wusste nicht wie lange sie schon so da lag. Sie bete um Kraft und Vertrauen aber ihre Lage schien so aussichtslos.
Krampfhaft versuchte sie einzuschlafen um wenigstens kurz ihre Trauer und ihren Hunger vergessen zu können. Ohne Erfolg.
Sie schloss ihre Augen und dachte an früher.
Noch vor wenigen Wochen, war sie die Tochter des Festizius, einem der reichsten und angesehensten Männer ihres Landes.
Jetzt war er tot.
Hier in dem Esszimmer, wo sie jetzt auf dem Boden lag, hatte ihre Familie jeden Abend zusammen gesessen und an einem reich gedeckten Tisch gespeißt.
Das Lachen ihrer kleinen Schwester erfüllte jeden Abend den Raum, wenn sie gemeinsam tanzten zu der Melodie, die ihre Mutter auf der Geige spielte.
Amayas Herz zog sich sich bei den schmerzhaften Erinnerungen zusammen.
Sie war so glücklich und jetzt hatte sie alles verloren.
Wenn die Römer sie nicht finden und töten würden, würde es ihr Hunger tun.

Amaya wurde aus ihren Gedanken gerissen, als draußen jemand durch die enge Gasse flüchtete. Aus der Ferne kamen Todesschreie.
Sie hörte Männerstimmen, die immer näher kamen und Nagelschuhe die auf den Steinböden kratzten.
Armenien wurde erobert.
Türe zersplitterten und Entsetztensschreie kamen aus den Häusern.
Amayas Herz raste.
Die Stimmen wurden immer lauter.
Plötzlich hörte sie, wie ihre Haustür auf flog und mehrere Männer in ihr Haus stürmen, um es zu durchsuchen.

,,Es ist vorbei. Gleich werde ich nicht mehr leiden müssen. Gott bitte steh mir bei, ich habe solche Angst!"
Amaya sprach die Worte nicht laut aus, aber sie wusste, dass Gott sie hörte.
Sie öffnete ihre Augen erst, als sie merkte wie ein Mann vor ihr stehen blieb. Mit ihren großen blauen Augen starrte sie einen Mann in einer staub- und blutverschmierten Rüstung an.
Seine Hand um sein schweres Schwert gelegt und auf Amaya gerichtet.

Er musste sie töten. Er hatte den Befehl von Domitius bekommen, alle umzubringen, die man nicht mehr als Sklaven gebrauchen konnte.
Dieses Mädchen auf das er hinab schaute, war mehr tot als lebendig. Die Reise nach Rom würde sie niemals überleben,- und selbst wenn, würde sie keiner als Sklavin haben wollen.
Trotzdem zögerte er. Das Mädchen war nicht hübsch. Sie war abgemagert, schmutzig und trug ein zerfetztes Gewand. Doch ihre Augen strahlten einen so großen Frieden aus, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief.
Noch nie hatte er jemanden gesehen, der vor seinem Tod so ruhig war. Und dieses Mädchen wusste, dass er sie umbringen würde.

Er senkte seinen Arm und lockerte seinen Griff um sein Schwert.
,,Steh auf!", befahl er Amaya. Sie blickte ihn ungläubig an und versuchte sich aufzurichten, fiel aber vor Schwäche wieder auf den Boden.
,,Steh auf wenn du leben willst!", sagte er und gab ihre eine letzte Chance. Wenn sie es jetzt nicht schaffen würde, müsste er sie auf der Stelle töten. Wenigstens hätte er sie dadurch von ihren Schmerzen befreit.

Amaya richtete sich auf und wurde von dem römischen Soldat auf die Beine gezogen. ,,Lass sie liegen Klaudius.", hörte sie einen herein kommenden Soldaten sagen. ,,Sie ist zu schwach."
Der Soldat schien über die Worte seines Kollegen nach zu denken.
,,Du hast recht."
Er löste seinen Griff und der sichere Halt für Amaya war weg. Sie fiel erneut zu Boden und sah wie der Soldat sein Schwert zuckte und zum Schwung ansetzte.
Ihre Hoffnung verflog.
Sie sah dem Tod bereits in die Augen.
,,Warte!"
Der Soldat drehte sich um und Amaya atmete auf.
,,Das muss die Tochter von Festizius sein."
Es wurde still im Raum. Die Soldaten, mittlerweile standen fünf in ihrem Esszimmer, warfen sich unsichere Blicke zu.
,,Wie heißt du?", fragte einer von ihnen.
,,Amaya.", stoß das dünne Mädchen schwach hervor. Dieses eine Wort kostete ihr sichtlich viel Kraft.
,,Tragt sie raus auf den Wagen. Alleine für ihren Nachnamen ist sie viel Wert. Kaum jemand in Rom kann behaupten, eine ehemals so wichtige Person als Sklavin zu besitzen. Sie ist fast so viel wert wie eine Prinzessin."
Die Soldaten gehorchten und hoben Amaya hoch.
Sie wusste nicht ob sie sich freuen oder weinen sollte. Denn sie wusste nicht was besser wäre:
eine Sklavin Roms oder der Tod...

Amaya: Eine Sklavin Rom'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt