~Kapitel 23~

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Amaya konnte nicht schlafen, obwohl sie die Nächte vor dem Essen vor Aufregung viel zu wenig geschlafen hatte. Ihre Gedanken kreisten um Luca. Sie hörte wie Emin mit einem Sklaven sprach und stieg sofort aus ihrem Bett. Vorsichtig öffnete sie die Tür, sah sich um und ging dann schnell in Emins Zimmer.
,,Und?", Emin hatte sich gerade erleichtert auf sein Bett gesetzt und war eigentlich bereit um endlich schlafen zu gehen. Er seufzte und strich sich mit seinen Händen über sein Gesicht. ,,Keine Ahnung. Ich habe ihn nicht gefunden."
Enttäuscht sackten ihre Schultern nach unten. ,,Wo kann er nur sein?" - ,,Amaya. Er ist ein erwachsener, gut gebauter  Römer. Luca ist bestimmt der Letzte, der einen Aufpasser braucht. Jeder Angreifer wäre lebensmüde, sich mit ihm anzulegen." Emin legte sich auf sein Bett.
,,Ich habe eher angst davor, dass er sich etwas antut. Er war plötzlich so abweisend. So kalt." - ,,Ich bin müde, Amaya." - ,,Traust du ihm sowas zu?" - ,,Nein." Amaya nickte: ,,Du hast recht. Ich übertreibe. Gute Nacht, Emin."
Emin lachte auf: ,,Wohl eher 'guten Mittagsschlaf'."
Amaya verließ sein Zimmer. Sie konnte verstehen, warum er so gereizt war und nahm es ihm nicht übel. Vielleicht sollte sie selbst nach ihm schauen? Nein. Das wäre albern. Aber sie könnte in die Stadt gehen? Ja. Sie würde einfach mal wieder über den Markt gehen. Was sprach denn schon dagegen?

Es war gar nicht so einfach ihr bei den Einkäufen zu helfen. Luca musste aufpassen, dass die alte Frau nicht umgestoßen wurde, oder verloren ginge.
Endlich schien sie fertig zu sein und Luca folgte ihr aus der Stadt heraus.
Sie deutete Luca sich zu bücken und nahm ein Stückchen Obst aus dem Korb auf seinem Rücken. Dann reichte sie ihm die Frucht. ,,Danke.", der Pfirsich tat gut, bei dieser Hitze. ,,Dort entlang.", die Frau deutete mit ihrem Stock zu einem Weg. Luca kannte ihn. Er führte zu den Ruinen.
Was gab es dort zu sehen, was sie ihm unbedingt zeigen wollte? Dort lagen nur alte Trümmer? Trotzdem folgte er ihr ohne Widerworte. Sie gingen langsam an den ersten Steinbrocken vorbei.
,,Hier lagen schreiende Kinder und tote Mütter.", sie deutete mit dem Stock auf eine Stelle am Straßenrand. ,,Es stank nach Blut und verbranntem Fleisch. Tote, leere Augen blickten dich an...", ihre Stimme brach und sie atmete tief ein.
,,Kleine Jungen mussten kämpfen und ihre Familie verteidigen, als ihre Väter an der Front starben. Sie hatten keine Chance. Der Hunger und die Trauer zerfraßen uns innerlich. Diese Stadt war schon eine Geisterstadt, bevor die Römer es schafften diese Tore zu durchbrechen. Wenn man das mit an sieht, seine Kinder und Enkelkinder sterben sieht...", sie blieb stehen und schaute zu Luca hoch. Ihre Augen waren gerötet und voller Leid. ,,...Wenn alles, was du liebst, dir genommen wird- dann kannst du nichts gegen diesen Hass tun, den du für deine Feinde empfindest. Für die Menschen, die dir das angetan haben." Luca hörte ihr aufmerksam zu.
Sie wusste nicht dass er ihren Schmerz kannte. Einen Menschen zu verlieren den man liebte, tat wirklich schrecklich weh.
,,Ich konnte niemanden von ihnen verzeihen. Ich wolle Rache. Wünschte ihnen den Tod. Aber was brachte es mir?", sie ging weiter. ,,Gar nichts. Verbitterung und Vorwürfe gegen Gott. Dafür schäme ich mich."
Sie bogen um eine Ecke. ,,Diese Ruinen waren Villen.", Luca blickte sich um.
,,Ja. Hier lebten die einflussreichsten Männer des Landes mit ihren Familien. Aber auch sie holte dasselbe Schicksal ein, wie uns alle. Vor den Römern waren wir alle gleich: Gesindel, dass beseitigt werden musste."
Die Frage brannte plötzlich auf Lucas Zunge. Festizius war einer der einflussreichsten Männer Armeniens. Was wenn Amayas Villa hier in dieser Straße stand? ,,Ich kannte eine Frau aus Armenien. Die Tochter des Festizius."
Die alte Frau hielt inne und schaute zu einer Ruine. ,,Ich kannte sie auch."
Sie ging weiter und Luca sah ihr nach, wie sie zu einer Türschwelle einer Ruine ging. Obwohl sie blind war, wusste sie immernoch genau, wo sich alles befand.
Zögerlich folge er ihr. Sie sagte nichts mehr, aber Luca hatte schon verstanden. Hier war es. Amayas Zuhause.
,,Festizius hatte zwei Töchter. Amaya war die Ältere. Sie ging immer mit ihrer kleinen Schwester über den Markt und runter zum Brunnen. Es waren so fröhliche Mädchen. Immer am Lachen.",
sie lächelte und fuhr mit der Hand die Steinwand entlang, als sie die Ruine betrat. Luca berührte ehrfürchtig einen Stein. Amayas Zuhause. Er spürte wieder diese Wut und schloss schmerzhaft seine Augen für einen Augenblick und seine Hand bildete eine Faust. Plötzlich merkte er wie seine Faust umschlossen wurde. Er sah zu der Alten an seiner Seite herunter und sie schien ihn zu verstehen. ,,Ihre Familie starb. Als erstes ihre Mutter vor Hunger. Sie hatte das letzte Essen ihren Töchtern gegeben, dann die Jüngste. Von Amaya habe ich seit der Niederlage nichts gehört gehabt. Ich dachte sie sei hier gestorben." - ,,Nein sie ist erst in Rom gestorben. Sie wurde verschleppt und arbeitete in meiner Familie als Sklavin."

Die Frau ging in einen Raum.
Was sagte er da? Amaya war tot? Was verheimlichte sie? Die Fremde, die neue Eigentümerin des Festizius Unternehmens, hatte sie an jemanden erinnert. Nach einigen Besuchen von ihr, war es ihr endlich klar gewesen.
Sie wusste, dass sie nicht Mina hieß.
Sie hatte Amaya gekannt, seitdem sie auf der Welt war. Ja, sie hatte sie sogar aus dem Mutterleib gezogen und in weiße Tücher gewickelt. Die Puzzleteile schienen endlich einen Sinn zu ergeben.
Dieser Römer, ihr angeblicher Tod und ihre Wiederkunft in Armenien mussten miteinander zusammenhängen...
Aber warum gab sie sich als jemand anderen aus?
,,Was ist mit ihrem Vater?", Luca war ihr gefolgt und riss sie aus ihren Gedanken. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen: ,,Er starb, als wir versuchten unsere Stadt zu verteidigen. Vor seiner Familie." Luca nickte.
,,Du hast mich gefragt, ob Gott wirklich deine Sünden vergeben kann."
Sie setzte sich auf einen Stein.
,,Weil Gott die Sünde hasst, ist der Preis für die Vergebung hoch. Denn durch das Sterben Jesu am Kreuz sind wir erlöst, sind unsere Sünden vergeben. Durch sein Blut, wurden wir rein gewaschen. Und das verdanken wir Gottes großer Gnade, mit der er uns so reich beschenkt hat. Weißt du, der Krieg hat mich verbittert. Ich habe die Feinde gehasst, die mir so etwas angetan haben. Aber das hat mich selbst von Gott getrennt. Und es hat meine Beziehungen zu anderen Menschen kaputt gemacht. Wer ist denn auch gerne mit einer alten, mürrischen, verbitterten Frau zusammen?", sie lächelte. Aber es war schmerzhaft. Luca konnte ihre Einsamkeit nachvollziehen. Ihm ging es ähnlich.
,,Wir müssen auch lernen uns selbst zu vergeben und mit unserem Leben weitermachen. Und den Menschen vergeben, die dir weh getan haben. Dann verschwindet dein Hass. Es ist schwer. Aber Gott kann mir auch vergeben."
Luca nickte. Sie wusste, dass er das fühlte, was auch sie lange Zeit gefühlt hatte. Bis eine junge Frau zurück in ihr Leben kam und sie daran erinnerte, dass auch sie voller Fehler war. Bis Mina,- Amaya, anfing sie zu besuchen und ihr half sich an Gottes Gnade zu erinnern, die auch für ihre Feinde bestimmt ist. Bis Amaya zurück in ihr Leben trat und sie zurück zu ihrem besten Freund brachte, der viel zu lange schon mit ausgebreiteten Armen auf sie gewartet hatte...

Amaya: Eine Sklavin Rom'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt