~Kapitel 19~

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Amaya konnte die letzte Nacht kaum schlafen. Sie hatte sich zu sehr vor diesem Tag gefürchtet. Heute würde sie mit ihren Gästen zu Abend essen. Sie würde mit Luca an einem Tisch sitzen,- vielleicht sogar neben ihm!
Selma hatte ihr beim Ankleiden geholfen, ihre langen Haare gekämmt, die sie offen ließ und ihr den Schleier aufgesetzt. Dann hatte Emin an ihre Tür geklopft und sie abgeholt und es hatte sich angefühlt, als würde er sie zu ihrer Hinrichtung führen.
Als sie den Flur entlang gingen, sagte keiner von ihnen etwas. Selma hielt Abstand, wie es sich für eine Sklavin gehörte und Emin ging neben Amaya her.
Ihre Anspannung war auch in ihm zu sehen. Mit jeder Stufe wurden die Stimmen der Gäste lauter und Amayas  Herzschlag schneller. Am Ende der Treppe blieb sie plötzlich stehen und griff nach dem Gelände. Übelkeit stieg in ihr hoch.
,,Ich kann das nicht." Emin legte seine Hand auf ihre Schulter und lächelte ihr aufmunternd zu. Zaghaft ging sie einige Schritte weiter. Du kannst. Ich bin bei dir. Sie hörte Gottes Stimme deutlich und neue Kraft stieg in ihr auf.
Gemeinsam betraten sie das Speisezimmer und ihre Schritte wurden immer selbstsicherer. Als sie um die Ecke kam, verstummten die ersten Gespräche und neugierige, verwirrte Augen starrten sie an. Amayas Blick wanderte über ihre Gäste, doch schließlich blieb ihr Blick an nur einer Person haften. Luca saß mit dem Rücken zu ihr und hatte sie noch nicht entdeckt. Er redete mit einer hübschen Frau, die neben ihm saß. Sie hatte für ihn gebetet. Gebetet, dass er glücklich werden würde und eine Frau finden würde, die ihn so sehr liebte wie Amaya es tat. Doch ihn jetzt mit einer anderen Frau zu sehen zerriss ihr das Herz. Er folgte dem Blick der Frau.
Jetzt drehte er sich langsam um und sah sie direkt an. Ihr Herz setzte aus. Sie hielt die Luft an. Seine Augen verfolgten und verunsicherten sie.
Amaya glaubte Überraschung und Verwirrung in seinen Augen lesen zu können, so wie auch in den Augen aller anderen. Aber Luca ließ es sich nicht so anmerken. Sie hatte seine selbstbewusste Art und diesen Blick vermisst. Nach außen hin, gab er vor der kalte, gleichgültige Römer zu sein, der alles beherrschen konnte, was er wollte. Aber sie sah ihn anders.
Ihre Schritte verstummten erst auf dem Marmorboden, als sie vor dem Ehrenplatz am Tisch stehen blieb. Erleichtert stütze sie sich unauffällig auf ihrem Stuhl. Sie fühlte sich plötzlich so schwach und ihre Knie drohten nachzugeben.
Emin setzte sich zu ihrer Linken.
Immernoch waren alle Augen auf sie gerichtet und Amaya war dankbar, dass der Schleier auch ihre Röte verbarg. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein.
Sie brach als Erste das Schweigen: ,,Ich freue mich, Sie auf meinem Anwesen begrüßen zu dürfen.", sie war erleichtert, als sie hörte dass ihre Stimme fest und sicher klang. Die Gäste bedankten sich für ihre Einladung und Amaya setzte sich. Luca sah sie immernoch durchdringlich an. ,,Nun, ich nehme an viele von Ihnen haben jemand Anderen erwartet." Einige nickten mit einem Lächeln. ,,Ich bin die neue Eigentümerin des Festizius Unternehmens."
Emin grinste zufrieden. Er war stolz auf Amaya. Sie hatte es geschafft die Stimmung schnell wieder zu lockern. Die Gäste schienen sich wieder zu fangen und versuchten Amaya sofort in ihre persönlichen Gespräche zu verwickeln.

Luca konnte seinen Blick nicht von dieser geheimnisvollen Frau abwenden. Seitdem sie diesen Raum betreten hatte, hatte ihn eine ungewöhnliche Wärme umhüllt, wie es sonst nur Amaya geschafft hatte. Wieso verbarg sie ihr Gesicht? Sie strahlte großes Selbstbewusstsein aus und hatte eine schöne, weibliche Figur. Ihre Tunika sah sehr teuer aus und umspielte ihre Kurven.
,,Also ich habe ja mit allem gerechnet, aber nicht damit!", Luca spürte Aurelias Atem an seinem Hals, als sie ihm das in sein Ohr flüsterte.
Er sah sie jedoch nicht an, sondern schaute weiterhin auf die neue Eigentümerin. Sie war also eine Christin?
Luca blickte über den Tisch. Alle Gäste suchten ein Gespräch mit ihr. Es würde schwierig werden mit ihr persönlich über ihren Glauben reden zu können...
Ärgerlich nahm Luca noch einen Schluck Wein. Er spürte Emins Blick auf sich und entgegnete diesen. Emin sah ertappt aus und zwang sich zu einem Lächeln.
Was stimmte denn mit diesem Mann nicht? Luca starrte ihn noch etwas länger an als nötig, dann ließ auch er von ihm ab. Aurelia ließ sich gerade von Selma  bedienen und hatte sichtlich Schwierigkeiten, bei der Auswahl von Speisen, sich für etwas zu entscheiden.
Plötzlich drang ein zartes Lachen an Lucas Ohr und hinterließ eine Gänsehaut auf seinem Körper. Amaya. Er blickte sich um, aber er sah sie nicht. Woher kam dieses Lachen? Er schaute zu der neuen Eigentümerin, doch er konnte nicht durch ihren Schleier hindurch sehen. War sie es gewesen? Ihr Lachen ähnelte dem von Amaya so stark, dass Luca sie sofort wieder vor seinen Augen hatte. Verwirrt und durcheinander stellte er seinen Becher Wein weg.
Keinen Wein mehr heute Abend...
Aber hatte er sich das wirklich nur eingebildet? Spielte ihm sein Gedächtnis nur einen Streich?
Amaya ist tot. Dieser Gedanke zwang ihn wieder klar zu denken. Aurelia nahm seine Hand: ,,Geht es dir gut? Du siehst so blass aus."
Luca erwiderte ihren Blick. Wie fürsorglich sie war... Er nickte knapp und nahm mit der Hand, auf der Ihre lag erneut seinen Becher mit Wein. Eigentlich wollte er nichts mehr trinken, aber so zwang er sie ihn los zu lassen.
,,Es tut mir leid dass ich gegangen bin, ohne Bescheid gesagt zu haben", erwiderte er. ,,Das ist schon vergessen. Aber ich würde gerne wissen wieso? War unsere Gesellschaft so schrecklich?" - ,,Nein.", Luca atmete laut hörbar aus und sah wieder auf die Frau am anderen Ende des Tisches. ,,Ich möchte dich doch einfach nur verstehen, Römer.", Aurelia kämpfte um seine Aufmerksamkeit. ,,Ich verstehe es ja selbst nicht.", Luca wandte seinen Blick nicht von dieser Frau ab. Sie redete gerade mit Emin und dem daneben sitzenden Geschäftsmann. Als spüre sie seinen Blick, hielt sie plötzlich inne und drehte ihren Kopf in seine Richtung. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber er wusste dass sie ihm gerade direkt in die Augen sah. Er schaute sie weiter an, bis sie schüchtern ihren Kopf senkte. Irrte er sich oder hatte er sie verunsichert?

Amaya: Eine Sklavin Rom'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt