~Kapitel 21~

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Luca blickte auf ihren Schleier und fast hatte Amaya das Gefühl, er würde ihn gleich herunterreißen. Was dachte er wohl gerade? Schweigend saßen sie nebeneinander und Amaya sehnte sich danach ihren müden Kopf an seine starke Schulter zu lehnen. Er wandete seinen Blick von ihr ab und stand auf. ,,Danke für Ihre Zeit."
Dann ging er den Hof herunter und Amaya schaute ihm unsicher nach. ,,Wo wollen Sie hin?", besorgt stand auch sie auf und widerzwang dem Drang ihm zu folgen.
,,In die Stadt.", er ignorierte sie und Amaya sah ihm enttäuscht nach, bis er hinter dem Tor verschwunden war.
Hatte sie etwas falsches gesagt?
Plötzlich fröstelte sie und sie schlang die Arme um ihren Körper. Am liebsten würde sie laut losweinen. War es weil er sie nicht erkannt hatte? Aber eigentlich wollte sie ja auch genau das erreichen...
Oder weil es so sehr schmerzte ihn gehen zu lassen? Ihn mit einer anderen Frau zu sehen? Obwohl sie immer wollte, dass er ohne sie glücklich werden könnte, fürchtete sie sich vor dem Gedanken, dass Luca sie nicht brauchte um glücklich zu sein. Vor allem, weil sie sehr darunter litt, von ihm getrennt zu sein.
Sie erschrak, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie drehte sich um und erwiderte Emins Blick. Obwohl er ihre geröteten Augen unter dem Schleier nicht sehen konnte, wusste er wie Amaya sich fühlte. Sie lehnte sich an seine Schulter und ging mit ihm zusammen zurück in die Villa. Sie brauchte dringend Schlaf. Vielleicht würde sie sich morgen besser fühlen...

Luca spürte dass sie ihm nach sah.
Diese Frau war wirklich eigenartig. Zum einem dieser Schleier, der ihr Gesicht verbarg und dann war da noch etwas anderes... er wusste nur nicht was es war. Mit jeder Sekunde, die er in ihrer Nähe war, erinnerte sie ihn immer stärker an Amaya. Wahrscheinlich, weil diese Frau densselben Glauben teilte wie Amaya. Aber die Erinnerungen an Amaya waren so schmerzhaft für ihn, dass er es nicht länger in ihrer Nähe ausgehalten hatte. All die verdrängte Trauer war wieder da und die Wut kochte erneut in ihm hoch. Zu Hause hatte der Alkohol geholfen, um sie wenigstens für eine kurze Zeit vergessen zu können. Aber in diesem Land, in Amayas Heimatland, schienen seine Erinnerungen an sie, ihn zu verfolgen.
Luca ging die einsame Straße in die Stadt entlang. Doch auch in der sonst, so fröhlichen, gefüllten Stadt waren die Straßen noch leer. Als würde sie noch schlafen und die letzten paar ruhigen Stunden genießen. Luca folgte einfach der Straße. Ihm war egal wohin sie führen würde. Er wollte einfach weiter gehen. Nicht stehen bleiben. So als könne er vor seiner Trauer fliehen.
Die noch angenehm kühle Luft tat ihm gut und ließ ihm langsam wieder einen klareren Kopf bekommen.
Luca bog in eine Seitenstraße ein und ging einen Weg entlang, der von der Stadt wegführte. Hier war er noch nicht gewesen. Je weiter er ging, desto mehr Ruinen standen am Straßenrand. Die Überreste, die für Rom wertlos waren.
Was sie nicht hatten mitnehmen können, hatten sie zerstört. Er ging die verlassene, staubige Straße weiter und bog um eine Ecke. Sein Wissen verriet ihm, dass es sich bei diesen Ruinen um Villen gehandelt haben musste, die wohlhabenden Familien gehört hatten. Wahrscheinlich wurden sie über Generationen weitergegeben.
Über Jahre und vielleicht sogar Jahrhunderte sind diese Villen gepflegt worden und boten immer wieder neuen Familien eine sichere Heimat. Und dann, innerhalb von Sekunden wurden sie ausgelöscht und die Geschichten die diese Häuser erzählt hatten, wurden mit ihnen begraben.
Luca schämte sich plötzlich dafür ein Römer zu sein... Er stellte sich vor wie vielleicht eine dieser Villen, Amayas Familie gehört haben konnte.
Ärgerlich nahm er einen Kreidestein und schleuderte ihn gegen eine Mauer. Er war auch für Amayas Tod verantwortlich. Indem er regelmäßig das Kolosseum besucht hatte und genauso wie alle anderen Römer die Spiele finanziert hatte. Er hatte sie umgebracht! Der Gedanke traf ihn wie ein Schlag. Bis jetzt hatte er andere für ihren Tod verantwortlich gemacht. Seine Schwester, Amaya selbst...
Er war schuldig! Luca stütze sich an einer noch kühlen Ruinenwand, die bald aber schon die Wärme der Sonne speichern würde. Die Sonne ging langsam auf und der leichte Nebel über dem Boden verschwand vor seinen Augen. Dann leuchtete die Sonne am Horizont in einem  leuchtenden orange und hebte sich vom dem dunklen Himmel ab. Sie erhob sich prachtvoll und um sie herum entstand ein Farbenspiel von einem tiefem Purpur bis hin zu einem kräftigem Orange überziehend. Dort wo noch vor einer Minute vollständige Dunkelheit herrschte, bietete sich nun ein kunstvolles Bild am Himmel, was Luca staunen ließ. Noch nie zuvor hatte ihn der Sonnenaufgang so sehr fasziniert.
Diese fremde Frau hatte recht. Auch in Luca zerrte eine tiefe Schuld an ihm. Diese Erkenntnis kratze an Lucas, römischen Erziehung. Sie hatten ihm beigebracht dass er alles haben könne, was er wollte. Die Welt gehöre ihm, hatten sie gesagt. Er war immer zu stolz gewesen um seine Fehler einzusehen, doch auf einmal überrolten sie ihn wie eine schwarze, schmutzige Welle.
,,Vergib mir," murmelte er und hoffte der Wind würde es bis zu Amaya und ihren Gott tragen.

Amaya: Eine Sklavin Rom'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt