~ Kapitel 1~

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Der Arzt beobachtete jeden einzelnen Körper, der an ihm vorbei getragen wurde. Es war nicht leicht ein Gesicht unter all dem Blut zu erkennen. Dann sah er sie. Amaya wurde von einem jungen Sklaven gerade an ihm vorbei getragen. Er atmete noch einmal tief ein, dann griff er den jungen Mann an der Schulter. ,,Gib sie mir."
Der Sklave schüttelte den Kopf: ,,Sie ist so gut wie tot. Es lohnt sich nicht."
Der Sklave dachte, dass der Arzt nur einen Versuch an Amaya machen wollte. Gut so...
Es war üblich dass Ärzte mit den Opfern aus der Arena ihre Kenntnisse über den menschlichen Körper verbessern wollten. Sie schlitzen die Körper auf, um die Anatomie besser verstehen zu können. Dabei war es wichtig, dass sie noch lebten und es kostete ein Vermögen.
,,Gib sie mir trotzdem.", der Arzt hielt es für das Beste, den Jungen in dem Glauben zu lassen, er würde Amaya für seine Versuche benutzen.
Der Junge zuckte mit den Achseln, gehorchte und übergab den leichten, schlaffen Körper dem Arzt.
Er hatte Recht. Sie würde nicht mehr lange leben. Jeder mühevoller Atemzug könnte ihr letzter sein.
Er wartete bis alle an ihm vorüber gegangen waren.
Vorsichtig schaute er sich um.
Der dunkle Kellerflur war wieder leer.
Mit klopfendem Herzen, ging er an die kalte Wand gepresst, den Flur entlang.
Er kannte sich hier unten aus und würde gleich endlich den Hinterausgang erreichen. Wenn alles nach Plan verlaufen würde, wären die Wachen vor der Tür gleich nicht dort, wenn er kommen würde. Ängstlich lugte er um die Ecke und atmete erleichtert auf. Keine Wache. Er huschte um die Ecke und lief die letzten Meter zum Ausgang. Nagelschuhe ertönten auf dem hallenden Steinboden und der Arzt beschleunigte seine Schritte noch mehr.
Amaya stöhnte in seinen Armen vor Schmerzen auf. Er wusste selbst nicht wieso er seinen Kopf für eine sowiso bald sterbende Frau riskierte...
Mühevoll schob er die große Tür zur Seite und trug Amaya nach draußen in ihre Freiheit.
Ein Mann wartete schon ungeduldig auf einer Kutsche und sprang sofort vom Wagen, als er den Arzt mit der blutenden Frau sah. Er rannte zu ihnen und nahm sie dem Arzt ab. Dieser lief zur Kutsche und öffnete die Plane: ,,Beeil dich. Hier herein!".
Vorsichtig wurde Amaya auf den mit Decken ausgelegten Kutschenboden gelegt. Der Mann sprang wieder auf die Kutsche, zog einen Umhang höher vor sein Gesicht und trieb dann endlich die Pferde an. Der Arzt nahm hinten bei seiner Patientin Platz und begann rasch ihre Wunden zu säubern. Sie durften jetzt keine Zeit verlieren, wenn sie Amaya retten wollten.
Der Mann vorne auf der Kutsche schaute sich nervös um. Sie entfernten sich immer weiter von der Stadt, doch trotzdem fürchtete er jeden Moment von römischen Soldaten eingeholt zu werden. Ihr Plan hatte funktioniert. Vorerst. Doch das würde alles nichts bringen, wenn Amaya sterben würde...

Sie erreichten den Hof und das Tor wurde hinter ihnen von zwei Sklaven geschlossen. Die Kutsche stand noch nicht einmal still, schon wurde die Haustür aufgerissen und Nila kam heraus gelaufen. Tiefe Ringe hatten sich unter ihren Augen gebildet und durch das ganze Weinen war ihr Gesicht ganz aufgeschwollen. Sie blieb vor der Kutsche stehen und schaute erwartungsvoll zu Emin hoch. ,,Und? Lebt sie noch?", Tränen rannten über ihr Gesicht. Emin sprang von der Kutsche und nahm seinen Umhang ab, der sein Gesicht verschleiert hatte. ,,Sie ist schwach. Aber noch atmet sie."
Gott sei Dank!
Nila lief hintenrum zur Kutsche. Der Arzt kam heraus. Seine Hände waren blutig und zitterten immernoch vor Aufregung.
Emin sprang auf und trug Amaya ebenfalls hinaus. Sie war bewusstlos und bekam von alldem nichts mit.
,,Bring sie rein. Ich habe alles vorbereitet, wie du gesagt hast.", Nila wand sich zu dem Arzt. ,,Feuchte Tücher, eine Schale mit Wasser...", der Arzt nickte dankbar, ging an Nila vorbei und folgte Emin und seiner Patientin ins Haus.
Nila schaute zum Himmel und schloss ihre Augen. Danke.
Als Cornu gestern vor ihrer Haustür stand, hatte Nila schon ein ungutes Gefühl gehabt. Er hatte ihr gesagt, dass etwas nicht stimmte. Die Herrin Terra war mit Amaya fort gegangen und ohne sie zurück gekommen. Nila hatte das Schlimmste befürchtet und ihr Verdacht hatte sich bestätigt.
Dann musste alles ganz schnell gehen.
Sie hatte Emin benachrichtigt und gemeinsam hatten sie den Arzt überredet, Amaya, wenn sie noch lebte, aus dem Colloseum zu befreien. Mit dem Geld, was der Arzt nun dafür  bekommen hatte, könnte er sich problemlos zur Ruhe setzten. Klaudius mussten sie kaum überreden. Er war ein alter Freund der Familie und mochte Amaya vom ersten Augenblick an, als er sie aus Festizius Haus geholt hatte. Er hatte die Wachen abgelenkt, damit der Arzt mit ihr durch die Hintertür fliehen konnte.
Nila strich sich erschöpft eine Strähne aus dem Gesicht. Sie hatte seit fast zwei Tagen nichts mehr gegessen und letzte Nacht nicht geschlafen. Sie sah zu wie einige ihrer Sklaven die Pferde versorgten und wie sie versuchten die alte Kutsche von dem frischen, klebrigen Blut zu befreien. Ein letztes Mal atmete sie tief die frische Luft ein. Dann folgte sie Emin und dem Arzt ins Haus.
Die nächsten Stunden würden über Amayas Leben entscheiden...

Amaya: Eine Sklavin Rom'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt