~Kapitel 22~

5K 305 36
                                        

Emin ging mürrisch die Straße in die Stadt entlang. Wenn es nach ihm ginge würde er jetzt seelenruhig in seinem gemütlichen Bett den Schlaf der letzten Tage nachholen. Als wenn es nicht schon genug gewesen wäre, dass er die Woche vor dem Abendessen wegen diesem Laterensis schon nicht schlafen konnte, musste er ihm jetzt auch noch diese langersehnte Nacht klauen.
Die Sonne ging auf und Emin legte sein Bündel mit Essensresten auf die andere Schulter, als sie anfing zu schmerzen. Amaya hatte ihn in die Stadt geschickt, um das übrig gebliebene Essen an die Bedürftigen zu verteilen. Und wenn er schon da war, sollte er doch auch noch nach Luca ausschau halten und nachsehen, ob es ihm gut ginge. Es ging ihr gar nicht um das Essen. Das hätte man auch nach einem erholsamen Schlaf noch verteilen können. Oder man hätte einen Sklaven schicken können.
Aber nein... Sie schickte ihn hinter diesen Römer her. Als hätte er nichts besseres zu tun. Schlafen zum Beispiel.
Emin sah wie Carlo ihm zuwinkte und drängte sich durch die Menge zu ihm. Die Sonne war erst seit wenigen Minuten aufgegangen und schon war der Markt wieder überfüllt von Menschen. Vor einem Stand blieb Emin neben Carlo stehen, der ihm zur Begrüßung auf die Schulter klopfte. ,,Du bist früh auf mein Freund.", sagte er wie immer gut gelaunt und grinsend. ,,Ich war gar nicht schlafen." Carlo hebte fragend eine Augenbraue, aber Emin wechselte schon das Thema. ,,Sag mal, hast du hier einen Römer vorbeilaufen sehen?" - ,,Nein. Aber ich bin auch gerade erst gekommen. Spanische Pünktlichkeit.", Carlo lachte und war nun an der Reihe, um seine Einkäufe zu bezahlen. Emin schaute sich um. Er würde Luca hier niemals finden.
Aber was sollte es...
Er ging durch die Stadt und die Straße zu den ärmeren Häusern entlang. Am Rande der Stadt lebten viele Witwen und große Familien. Sie wären sicher dankbar für das Essen. Amaya besuchte sie öfters. Besonders Magret. Die alte Witwe hatte ihren Mann und ihre Kinder im Krieg gegen die Römer verloren, genauso wie ihr Augenlicht. Amaya laß ihr bei ihren Besuchen Geschichten aus der Bibel vor und half ihr gelegentlich bei ihrem Haushalt.
Emin erreichte die abgelegenen Häuser schnell und spielende Kinder begrüßten ihn glücklich und neugierig. Erst als sich jedes von ihnen ein Stück Obst aussuchen durfte, ließen sie von ihm ab und rannten glücklich herum. Emins Laune hob sich an und er ging zu Magret, die im Schatten vor ihrer Hütte saß. ,,Guten Morgen, Magret.", Emin drückte leicht ihre Hand und die alte Dame lächelte als sie ihn erkannte. ,,Schickt dich Mina?".
Emin und Amaya hatten beschlossen Amayas echten Namen geheim zu halten. Hier kannten sie einige von früher durch ihre Familie. Es wäre zu gefährlich gewesen ihren echten Namen zu verraten, denn es hätte sich schnell herum gesprochen und sie hätten nur eins und eins zusammenzählen müssen. ,,Ja. Ich bringe dir etwas zu essen. Sie selbst konnte leider nicht kommen, aber ich soll dir herzliche Grüße ausrichten." Emin reichte ihr einen Beutel und sie nahm in dankbar an: ,,Gott segne euch."
Emin setzte sich neben sie. Die Sonne hatte das Land schnell erwärmt und in wenigen Stunden würde die Hitze kaum auszuhalten sein. ,,Hast du von einem Römer gehört, der hier vorbei gekommen ist?", fragte er sie. Magret schüttelte den Kopf. ,,Nein. Hier ist kein Fremder vorbei gekommen." Sie war zwar blind, aber sie kannte die Straßen und ihre Stadt besser, als jeder sehende. Enttäuscht stand Luca auf: ,,Ich muss jetzt weiter." Magret nickte und Emin machte sich auf den Rückweg. Er konnte nicht das ganze Land nach Laterensis absuchen. Und wenn er ehrlich war, wollte er das auch nicht.

Luca saß noch lange Zeit an die Ruine gelehnt, um die Sonne zu beobachten. Jetzt ließ er sein Gesicht von ihr wärmen. Irgendetwas in ihm war anders. Diese Wut war weg. Hatte die Fremde recht und man konnte von seiner Schuld befreit werden? Würde Amaya ihm vergeben? Und würde es auch ihr Gott tun? Fragen über Fragen häuften sich in seinem Kopf an. Er würde nochmal mit der Fremden reden.
Luca stand auf und ging die Straße zurück bis er wieder auf die Haupthandelsstraße traf. Von der rechten Seite hörte er schon die laute Menschenmenge. Er hatte jetzt keine Lust sich durch die gefüllte Stadt zu zwängen. Luca schaute auf den Weg vor ihm. Vielleicht war es eine Abkürzung und er könnte die Stadt umgehen? Er beschloss es zu versuchen und ging den, ihm unbekannten, Weg entlang. Es dauerte nicht lange, da hörte er Kinderstimmen und sah die ersten paar Häuser. Es waren eher kleine Hütten.
Er ging weiter und hoffte jemand erwachsenen zu finden, um ihn nach dem Weg fragen zu können.
Bei einer Hütte saß eine alte Frau alleine im Schatten vor ihrer Tür. Sie hatte ihre Augen geschlossen und schien zu schlafen. Da Luca aber sonst niemand erwachsenen sehen konnte, entschied er sich sie zu fragen. In einem etwas größeren Abstand blieb er vor ihr stehen und räusperte sich. Die ältere Frau lächelte.
,,Ich schlafe nicht. Wie kann ich Ihnen helfen?". Luca trat skeptisch etwas näher an sie heran. Fehlte es der Alten an Respekt? Vor ihr stand ein Römer und sie blickte ihn nicht einmal an.
,,Kennen Sie das Anwesen der neuen Eigentümerin des Festiziusunternehmens?", erst jetzt viel Luca auf, dass sich die Fremde gar nicht mit ihrem Namen vorgestellt hatte.
,,Mina? Natürlich. Wer kennt sie nicht?", sie beugte sich leicht nach vorn. ,,Sie wurden schon gesucht Römer. Emin war vor einer halben Stunde hier bei mir." -
,,Was wollte er?", verwirrt folgte er alten Frau, die mittlerweile aufgestanden war und nach einem Stock griff. Sie war blind. ,,Das hat er nicht gesagt. Sie müssen durch die Stadt. Es gibt keinen anderen Weg. Ich muss sowieso zum Markt. Ich kann Ihnen den Weg zeigen."
Luca wollte gerade widersprechen, als er sah wie sie einen schweren Korb auf ihren krummen Rücken hiefte.
Sie stöhnte unter seiner Last kurz auf und lächelte dann wieder freundlich in seine Richtung. Wie konnte sie in ihrer Lage so glücklich sein? Luca trat neben sie. ,,Ich trage das.", er nahm ihr den Korb ab und half ihr die Treppe herunter. Sie tätschelte dankbar seinen Arm und ging sicher den Weg entlang. Luca folgte ihr.
Die Sonne hatte bald ihren höchsten Punkt erreicht und schon jetzt brannte die Hitze auf seinen Schultern.
,,Sie kennen die neue Eigentümerin?", Luca würde die Zeit nutzen um mehr über diese geheimnisvolle Frau zu erfahren. Die Alte nickte. ,,Mina besucht mich oft. Sie ist wie eine Enkelin für mich. Wenn sie kommt, erzählt sie mir die Geschichten aus der Bibel, oder wir gehen spazieren." - ,,Sie glauben auch an Gott und Jesus?", Luca hörte langsam wieder die Menschenstimmen aus der Stadt. Die Frau nickte. ,,Ich habe schon einiges von ihm gehört. Er soll mir meine Schuld vergeben können und mich frei machen. Ist das richtig?", sagte er, als sie nicht weiter antwortete. Jetzt blieb sie stehen. ,,Was bedrückt dich Römer?", fragte sie ihn. Luca schaute zu dem Stadttor, hinter dem der Markt schon voll im Gange war. Noch nie hatte er mit jemandem über Amayas Tod gesprochen. ,,Die Vergangenheit würde ich sagen." Die Frau lächelte wieder und ging weiter. ,,Du musst es mir nicht erzählen. Es stimmt. Auch mich hat Gott frei gemacht. Frei von den Ängsten und dem Hass meiner Vergangenheit."
Luca sah wie sich kurz ein Schatten über ihr Gesicht legte. Sie musste den Krieg miterlebt haben. ,,Wenn Sie Zeit haben, würde ich Ihnen gerne etwas zeigen, nachdem ich meine Einkäufe erledigt habe." Luca überlegte kurz. Heute hatte er keinen Geschäftstermin- und Emin?  Emin konnte warten.
Die alte Frau war schon weitergegangen. Sie kannte seine Antwort sowieso schon. Dieser Mann war auf der Suche nach etwas großartigem. Und er würde nicht ruhen, bis er es gefunden hatte.

Amaya: Eine Sklavin Rom'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt