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Can I be him - James Arthur
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Emma Roberts

Als das Lied verstrich merkte ich erst, dass Alex im Türrahmen lehnte. Sein unbeschreiblicher und undeutbarer Blick war auf mich gerichtet. Kurze Zeit schauten wir uns nur an. Sein Blick war die ganze Zeit in meine Augen gerichtet.

Und ich merkte erst, dass ich weinte.
Das passierte äußerst selten, denn eigentlich war ich danach immer glücklich und weinte eigentlich nur während dem Tanzen. Nur diesmal war es anders. Als ob Alex einen Einblick in meine Privatsphäre bekommen würde. Tanzen ist für mich etwas so Sinnliches, dass es sich überhaupt nicht in Worte fassen lässt und jedes Mal, wenn ich es wieder mache, gebe ich ein Teil von mir an andere weiter.
Ich senkte schnell den Kopf.

"Emma...", er löste sich aus seiner Starre, "Was ist passiert?"
Ich schüttelte nur den Kopf: "Was soll schon passiert sein..."
Ich packte schnell meine Sachen zusammen und huschte an ihm vorbei. Er hätte das alles nicht sehen sollen. Ich weiß auch nicht warum. Aber den Schmerz von meinem Schicksal zu verarbeiten schien alleine besser zu funktionieren.
Ich rannte nur noch.
Raus aus der Gymnastikhalle.
Weg von Alex.
Weg von all diesen Erinnerungen.
Ich wollte jetzt nicht daran denken.
Ich wollte nicht an meine Familie denken.
Ich wollte auch nicht an Alex denken.

Ich wollte eigentlich für mich sein.
Ganz für mich allein.
Aber Alex muss mir immer hinterher laufen.

"Emma, bleib hier!", rief er mir hinterher. Der Schmerz und die Bitte in seiner Stimme jagte mir eine warme Gänsehaut über den Rücken.
Doch ich lief weiter, weil ich mich diesem Bedürfnis mich nach ihm umzudrehen nicht hingeben wollte.
Oder in seine warmen braunen Augen zu schauen ließ mich bestimmt wieder weiche Knie kriegen und das wollte ich in diesem Zustand überhaupt nicht.

Ich lief gegen irgendetwas.
Und dieses irgendetwas war Mr Brown. Mit voller Wucht knallte ich gegen seine Brust und taumelte kurz zurück und fiel dann komplett hin.
Meine ganzen Sachen lagen verstreut auf dem Boden.
Und seine Unterlagen auch.
"Ruhig, ruhig Mädchen", er wollte mir gerade helfen meine Sachen aufzusammeln, doch ich rannte weiter.
Ich rannte... tja, wo rannte ich eigentlich hin? Ich versuchte an irgendetwas Schönes zu denken, aber ich war mit der kompletten Situation zu überfordert.

Ich rannte schließlich an den Waldrand und ließ mich an einem Baum auf das Gras sinken, zog die Knie an und legte meinen Kopf auf sie.
Ich schluchzte.
Sehr sogar.
"Ali...", ich schaffte es nicht ihren Namen auszusprechen.
Den Namen meiner einzigen Schwester. Ich liebte es normalerweise ihren Namen auszusprechen, denn für mich war sie schon immer die stärkste Person gewesen und ich bewunderte sie für ihren wundervollen Charakter.
Aber ich spürte, dass der Schmerz meiner Eltern noch zu groß war um wieder tanzen zu können. Ich verkraftete die Bewunderung der anderen noch nicht.

Es war ein Fehler zu tanzen.
Eigentlich wusste ich schon, dass ich dann einen kompletten Tränenausbruch haben würde.
Es war auch mein Fehler meine Tanzsachen jemals wieder anzuziehen.
Oder anzufassen.
Oder gar anzusehen.
Ich war die letzten paar Tage wieder viel selbstbewusster geworden und schien mich langsam wirklich wohlzufühlen, aber es war das selbe wie bei Alice: Bei ihr habe ich auch ein paar viele Wochen gebraucht um wieder tanzen zu können.

Das hier sollte eigentlich ein Neuanfang werden.
Ein Neuanfang nach dem Todesfall meiner Eltern.
Doch es fühlte sich so an, als ob ich jetzt alles wieder ausgraben musste.

"Hier sind deine Sachen..."
Ich erschreckte mich kurz und schaute auf.
Da stand Alex vor mir.
Seine Augen ließen mich weiche Knie bekommen. Mist. Diese warmen braunen Augen schienen so tief aber gleichzeitig auch wieder so unnahbar zu sein.

Er schaute besorgt auf mich herab.
Aber es war kein abwertender Blick. Er war so fürsorglich. Eine Mischung aus Bitterkeit, Fürsorglichkeit und Mitgefühl schwamm in seinen Augen mit.
Ich stand auf und nahm dankend meine Sachen wieder an mich, doch meine Stimme brach sofort wieder ab.
Der Kloß in meinem Hals vergrößerte sich wieder. Ich presste meine Lippen aufeinander um nicht schon wieder loszuheulen.

"Weinst du?", fragte er mit einem warmen Ton in seiner Stimme.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite.
Ich möchte nicht gefragt werden, ob ich gerade weinte oder nicht.
Das kann man hoffentlich erkennen.
Und außerdem möchte ich nicht weinend gesehen werden. Denn das zeigt Schwäche. Ich fühlte mich so schwach und klein vor seinen Augen. Ich wäre am liebsten so stark wie Alice, die in solchen Situationen eine Maske aufgesetzt hätte.
Nein, ich will ihm jetzt nicht erklären, warum ich weine.

"Emma, sag doch was!", der flehende Unterton in seiner Stimme entging mir nicht. Ich wandte mein Gesicht ab und ging Richtung Haus.

Doch Alex stellte sich mir in den Weg und hielt meinen Oberarm fest. Er drehte sich geschickt so hin, dass er jetzt direkt vor mir stand.

"Du denkst es ist ein Fehler zu weinen...", sein Gesicht so nah an meinem ließ mich wieder ruhig werden. Ich spürte seinen ruhigen Atem gegen mein Gesicht wehen.
Aber ich wollte weg von ihm. Diese ruhige Wärme und die Gegenwart einer anderen Person konnte ich ehrlich gesagt jetzt nicht brauchen.

"Du denkst es war ein Fehler zu tanzen...", kam es über seine Lippen.
"Woher..." setzte ich an, konnte aber aufgrund seiner Nähe nicht mehr weitersprechen.

"Du denkst alles was du tust ist ein Fehler, weil du Angst hast!", seine Stimme bekam mit jedem Wort, das er sprach immer mehr einen zitternden Unterton.

"Du hast Angst vor deinem Leben!"
Ich schüttelte heftig den Kopf. Er hatte tatsächlich recht, aber es war unwahrscheinlich, dass er das einfach so erkennen konnte.

"Du kannst mir nichts vormachen. Ich weiß, dass dich etwas bedrückt. Und ich weiß, dass es dich beschäftigt. Also bitte sag es. Oder... vertraust du mir nicht?"
Ich schaute auf den Boden. Man hätte meinen können, er hätte sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und ein Teil von mir dachte auch so. Aber irgendwie hatte er auch recht. Ich konnte nicht die ganze Zeit vor ihm und meinen Problemen weglaufen. Und er wäre irgendwie der einzige, dem ich außerhalb von meinen Mädels vertrauen würde, was andererseits wieder total absurd klingt, wenn man mal bedenkt, dass ich ihn ja eigentlich hasse.

"Alex... ich..., ich kann es dir nicht sagen...", ich schaute ihn bittend an, dass er aufhören sollte immer nachzufragen, "bitte glaub mir, dass alles in Ordnung ist."
Verzweifelt schaue ich auf, was er mit einem tiefen Seufzen quittiert, sich gerade vor mich hinstellt und die Hände in den Hosentaschen versenkt.

"Wie um alles in der Welt könnte ich glauben, dass alles in Ordnung ist. Emma, es ist alles andere als in Ordnung", haucht er völlig durcheinander.
"Es ist nicht dein Problem", flüstere ich nur noch schwach.
"Dann lass es mein Problem werden. Aber bitte, lass mich dir helfen", fleht er eindringlich woraufhin ich meinen Kopf schüttle.
"Nein", kam es sofort aus meinem Mund, "das kannst du nicht."

Der kühle Wind ließ meine Augen brennen und ich kniff sie kurz zu.
Ich schlug mir die Hand vor den Mund und fing wieder an zu schluchzen. Diesmal nicht leise, sondern laut.
Denn ich wusste jetzt, dass Alex mich verstehen würde.
Er legte seine kräftigen Arme um mich und ich legte meine Stirn auf seine Schulter.

Seine Nähe tat mir dieses Mal so gut! Ich fühlte mich absolut wohl bei ihm.
"Bitte sag es. Es wird dir helfen."

Ich löste mich von ihm und sah ihm in seine tiefen dunklen Augen.
Ich war zu schwach und der Schmerz war zu frisch, dass ich ihm jetzt erzählen würde, dass ich die wichtigsten Personen in meinem Leben innerhalb von zwei Jahren verloren habe.

Ohne Worte verstand er mich, dass ich keine Kraft hatte, mein Schicksal auszusprechen und er ließ mich auch in Ruhe.
Doch als ich wieder zurück zu unserem Haus gehen wollte, spürte ich seinen brennenden Blick auf meinem Rücken und ich wusste ganz genau, dass er nicht locker lassen würde, bis er es weiß.

Und das machte mir Angst.

unbreakableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt