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Let go - Kory Miller
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Alex Black

Es ist mein erster Schultag in der fünften Klasse. Der erste Tag im Internat. Aufgeregt schaue ich rüber zu Olivia, die mich anlächelt. Sie ist mein ein und alles. Mein Herzensmensch. Keiner kennt mich so gut wie sie.

Ohne, dass ich diesen Moment weiter genießen kann, werde ich ein paar Monate später geschleudert. Ich sitze alleine auf dem Pausenhof und schaue den anderen Kindern beim Spielen zu. Sie sind so glücklich. Nur ich nicht. Ein alter Lehrer kommt auf mich zu und setzt sich neben mich. Es ist Mr Evans. Ich kenne ihn nicht, aber er lächelt mich freundlich an.
Schüchtern lächel ich zurück. Die erste Person heute, die mir Aufmerksamkeit schenkt.

Plötzlich lande ich noch ein paar Monate später, wo wir gerade an meinem geheimen Baumhaus bauen. Mr. Evans sagt mir, dass ich es nur Menschen zeigen darf, die mir sehr wichtig sind. Es soll ein privater und persönlicher Ort sein.

Die Zeitmaschine trägt mich weiter. Ich erfahre, dass Mr. Evans im Koma liegt. Mir ist egal, warum. Ich will nur, dass er wieder aufwacht. Dass ich mit ihm noch viele weitere tolle Dinge erleben darf. Aber er liegt dort so still, bleich und tot im Krankenhaus. Ich bin sein einziger Besucher. Warum kümmern sich nicht so viele um ihn? Um meinen besten Freund?

Ich weiß, was jetzt kommt. Der Tod von Mr. Evans. Traurig sitze ich im Unterricht und versuche, den Verlust zu verarbeiten. Ich bin erst zwölf Jahre alt und ich bin der Meinung, dass man diesen Schmerz in so einem jungen Alter nicht erleben sollte.

Etwas später in meinem Leben finde ich mich als verschlossene Person vor. Ich bin in mich gekehrt und trage meine Fassade. Sie soll makellos, perfekt und unnahbar erscheinen.
Je mehr ich mich verschließe, desto mehr zerbricht etwas in mir, ein großer Teil meines Herzens.

Der Wind zieht mich weiter, zwei Jahre später. Es ist der erste Tag, an dem ich Olivia mit einem Jungen sehe, einem äußerst blöden Jungen, ich glaube, das war in der achten Klasse.

Kurze Zeit später sehe ich Olivia mit verheulten Augen. Ohne diesen Jungen. Fast will ich lachen, aber zugleich verkrampft sich mein Herz.
Sie ist meine Schwester.
Meine Zwillingsschwester.

Vor den nächsten Zeitsprüngen sträube ich mich, aber meine Gedanken leiten mich dort hin. Die Zeit, in der ich eine nach der anderen habe. Ich kann kaum mitzählen. Jede nächste macht mein Herz noch verkümmerter. Der Schrei nach wahrer Liebe wird immer größer. Der Schrei nach Schutz, nach Akzeptanz, nach Sicherheit.
Eine Sehnsucht nach tiefen Gefühlen, nach echten Gefühlen, nach einzigartigen Gefühlen.
Mein Handeln ist menschenentwürdigend, aber das weiß ich jetzt natürlich noch nicht. In meinem Herzen schon, ganz tief, aber mein Verstand will diese Erkenntnis abstreiten.

Die Jahre vergehen.
Das Geschwisterband zerreißt.

Und dann komme ich zu dem Tag, der mein Leben verändern wird.
Ich sehe Emma zum ersten Mal. Sie ist ein namenloses Mädchen, ist sehr taff, wunderschön und hat eine harte Schale.
Wir ignorieren uns, obwohl wir beide wissen, dass wir uns nicht egal sind.
Ich habe vom ersten Tag an das Gefühl, dass meine Zukunft etwas mit ihr zu tun hat. Meine Schritte führen immer wieder zu ihr. Ob ich es will oder nicht, mein Herz fühlt sich mit ihrem verbunden.

Emma ist nicht nur wunderschön, sie kann auch wundervoll tanzen. Sie hat eine sehr gute Technik und vermittelt das richtige Gefühl dabei. Jeder Tanz ist eine Geschichte für sich. Es ist immer wieder aufregend, ihr zuzuschauen, da es immer wieder etwas Neues ist.

Wir kommen uns näher, wir lernen uns besser kennen, kennen unsere Stärken und unsere Schwächen.
Ich merke, dass da mehr als Freundschaft ist.

Und ich küsse sie. Es ist der beste Kuss meines Lebens. Ich will nicht aufhören, ich will mehr von diesem betörenden Gefühl.

Die Zeit zieht mich weiter. Wir haben viele Auseinandersetzungen. Es ist schmerzhaft. Aber im Grunde genommen hat sie immer recht. Ich bin ein Arschloch. Und nur sie kann mich ändern.

Im nächsten Moment sehe ich uns zusammen. Sie vertraut mir. Und ich vertraue ihr.
Ich fühle mich befreit, sicher, geliebt.
Alles, was ich wollte.
Und ich lerne Emma näher kennen. Mehr, als ich jemals dachte.

Ich lerne zu verstehen, dass Emma ein so starker Mensch ist. Sie hat so viele Verluste hinnehmen müssen und trotzdem steht sie jedes Mal wieder auf, um bereit für den nächsten Kampf zu sein. Sie lässt sich nicht unterkriegen.

Der nächste Moment erscheint mir zu quälend langsam zu sein, weil er zu schmerzhaft ist. Ich muss Schluss machen. Ich könnte mich mein Leben lang dafür ohrfeigen. Ich bin feige. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich verstehe selbst nicht, warum das Leben gegen uns ist.

Ich möchte sofort weitergehen, aber da kommt der Moment, als ich Emma aus der Hütte befreie. Sie ist so kaputt, körperlich und seelisch. Und trotzdem haut sie mit mir ab. Sie macht wieder weiter.
Und plötzlich bin ich in dem Moment, als Emma sich vor mich stellt und Ms Daniels die Pistole auf sie richtet. Es ist ein Instinkt, als ich sie zur Seite schubse und ich einen schlimmen Schmerz an meiner Schulter spüre. Ich kann nicht realisieren, dass ich blute. Ich sehe nur Emma, die auf mich zukrabbelt. Und ich sehe ihr trauriges Gesicht. Ihre traurigen Augen. Diesen Blick werde ich nie vergessen.

Es sind meine Erinnerungen an mein Leben. Einerseits die schmerzhaften an meine Anfangszeit im Internat. Aber auch die Erinnerungen an die schönsten Monate meines Lebens.

Ich treffe schlimme Menschen in meinem Leben.
Ich hatte Angst, dass die Liebe, wie ich sie mir schon immer vorgestellt habe, nicht existieren würde.

Und ich treffe Emma. Die besten Menschen trifft man ja bekanntlich, wenn man nicht nach ihnen sucht.

Sie ist so wunderschön.
Ich kann nicht aufhören, sie anzuschauen.

Denn plötzlich wurde sie zum besten Teil meines Lebens.
Sie ist alles in einem. Sie ist lebensfroh und aufgeregt auf jeden neuen Tag, sie schenkt mir ihre Aufmerksamkeit, alleine mit ihrem Lächeln, sie nimmt mir meinen Schmerz, sie sieht in mich hinein und erkennt mein Herz. Und sie gibt mir wahre, tiefe, echte Liebe. Emma hat ein großes Herz und ist der netteste Mensch der Welt. Keine Frau der Welt ist es mehr wert als die Frau, die immer an deiner Seite geblieben ist, egal was passiert ist. Emma hat immer zu mir gehalten. Vor allem aber hat sie mich wieder zum Leben erweckt, hat mich mein Verhalten hinterfragen lassen, hat mich zu einem besseren Menschen gemacht und vieles mehr. Sie hat mich wieder stark gemacht. Sie hat mich verändert, ohne dass sie es wollte und bemerkt hatte und ich ließ es geschehen. Ich ließ es geschehen, dass ich ihr verfalle, dass ich mich in ihr verliere, dass ich mich unsterblich verliebe.

Das schönste Gefühl ist, wenn ein Mensch alle deine Macken, Fehler und Schwächen kennt, aber trotzdem denkt, dass du perfekt bist. Und das hat mich Emma jeden Tag fühlen lassen.

Ich liebe sie.
Ich liebe sie so sehr.
Ich kann es nicht begreifen, ich kann es nicht beschreiben, es tut fast weh, die sehr ich sie liebe.
Was für ein Glück, sie zu lieben.

Und sie hält mir ihre Hand hin. Ich soll zurück kommen, sagt sie. Sie liebt mich immer noch, fügt sie hinzu. Verdammt nochmal, obwohl ich sie verletzt habe, sagt sie mir mit Tränen in den Augen, dass sie nur mich liebt. Wow.

Mr. Evans taucht neben ihr auf. Er sagt, ich soll ihre Hand nehmen. Und wenn ich es nicht tue, ist es meine Schuld, dann soll ich aber niemand anderen dafür verantwortlich machen. Ich soll mir die Liebe meines Lebens holen, bevor sie ganz weg ist. Ich soll mich zurück kämpfen. Ich soll weitermachen. Sie ist es alles wert. Dann ihre aufrichtige Liebe kann nichts ersetzen. Er meint, dass sie die Richtige ist, wenn ich in ihren Armen weinen kann, sie aber trotzdem der ganzen Welt erzählt, wie stark ich bin.

Er verschwindet wieder.

Und ich strecke meine Hand nach Emma aus.

unbreakableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt