Kapitel 19

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Viel zu schnell waren die Feiertage wieder vorbei und Ruhe kehrte bei Paddy und Bella ein. Für Bella war diese auch sehr angenehm und auch Paddy genoss es, nicht dauerhaft von dem Trubel umgeben zu sein. Es war Freitag. Am Sonntag war es schon wieder so weit und das neue Jahr klopfte an die Tür. Für Bella wahrscheinlich das letzte Jahr, das sie noch erleben durfte.
Auch jetzt lag sie schlapp auf dem Sofa. Der Trubel hatte ihr doch mehr zugesetzt, als ursprünglich erwartet.
Paddy betrat mit zwei Tee Tassen das Wohnzimmer und reichte Bella lächelnd eine, die sie dankend annahm und ihre Hände um die warme Tasse legte. Er ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder und trank einige Schlucke, bevor er die Tasse auf dem Tisch abstellte und gedankenverloren in den Fernseher blickte, der überhaupt nicht an war.

„Worüber denkst du nach?",riss Bella ihn direkt aus seinen Gedanken. Die letzten Tage, insbesondere in denen, die sie zu zweit verbrachten, waren sie sich ein ganzes Stück näher gekommen und sie wusste mittlerweile gut, wie er tickte. Er seufzte und lehnte sich zurück, bevor er zu ihr blickte.
„Als wir an Weihnachten mit Bowie spazieren gegangen sind hast du gesagt 'Die Krankheit macht das Verarbeiten nicht leichter'. Wolltest du damit auf das hinaus, was ich denke, oder hat es einen anderen Hintergrund?",erfragte er schließlich und sah Bella dabei zu, wie sie langsam die Tasse von ihrem Mund runter nahm. Er sah ihr an, dass sie nachdachte.
„Jenachdem was du denkst."
„Hast du auch jemanden verloren, der dir wichtig war?",fragte er gerade heraus.
Bella senkte ihren Blick, nickte jedoch als Antwort und ließ sich seine Frage ein weiteres mal durch den Kopf gehen. Wieso sagte er 'auch'?
„Möchtest du darüber reden? Mir hat es gut geholfen mit jemandem darüber zu reden, der diese Schmerzen nachvollziehen kann."
Sie schluckte, bevor sie ihre Zweifel überwandt und anfing zu erzählen. Paddy nahm derweil nicht nur eine kleine Sekunde den Blick von ihr und hörte ihr Aufmerksam zu.
„Meine Eltern, die bis dahin noch die Pflege für mich hatten, sind vor knapp zwei Jahren bei einem schweren Autounfall ums Leben gekommen. Ich konnte damals noch gut mit Clara darüber reden, aber noch besser mit meiner besten Freundin. Sie war alles für mich und obwohl ich eine Außenseiterin war, immer für mich da. Als sie dann vor 1 1/2 Jahren ebenfalls gestorben ist, war ich am Boden zerstört. Clara verstand mich nicht, meinte andauernd, ich solle mich nicht so gehen lassen und wollte sogar, dass ich mir einen Therapeuten suche, um damit besser umgehen zu können. Nachdem sie weg war, hatten auch meine anderen 'Freunde' keine Verwendung mehr für mich und ich saß, mal wieder, alleine da. Übel konnte ich es ihnen nicht nehmen, schließlich war ich ihnen nur im Weg. Trotzdem tat es weh zu wissen, dass sie die ganze Zeit so ein falsches Spie gespielt haben. Kurz darauf habe ich Ben kennengelernt. Wir waren lange Zeit nur beste Freunde, aber irgendwann war da einfach mehr zwischen uns. Er hat mir Halt gegeben, aber bei meinem Glück musste das natürlich auch scheitern. Wir waren zusammen am See. Einer der letzten Ausflüge, auf dem ich einigermaßen Fit war. Er ging schwimmen, kam in eine Unterwasserströmung und ertrank. Ich habe alles gesehen. Danach ging es mit meiner Psyche und auch mit meiner Gesundheit bergab."
Bella blinzelte vereinzelte Tränen weg, die bei Paddy jedoch nicht unbemerkt blieben. Unfähig etwas zu sagen nahm er Bella sanft in seinen Arm. Er spürte, dass er gerade mit Worten nicht das ausdrücken konnte, was er eigentlich vor hatte zu sagen. Geborgenheit und das Gefühl, dass sie mit dieser Last nicht alleine war. Dankbar erwiderte Bella die Umarmung, versuchte dabei aber auch, nichts von ihrem Tee zu verschütten.

„Wieso sagst du 'auch'?",fragte sie vorsichtig nach und ließ zu, dass Paddy sich wieder aus der Umarmung löste. Er hasste es über dieses Thema zu reden, wusste aber auch, dass er Bella eine Antwort schuldig war, nachdem sie ihm ihr Herz ausgeschüttet hatte.

„Vor knapp einen Jahr ist mein bester Freund an Herzversagen gestorben. Einfach so und unerwartet. Er war meine absolute Vertrauensperson. Selbst Joelle wusste nicht so viel von mir, wie er. Wir kannten uns schon seit wir klein waren und er hat mich bei allen ups and downs begleitet. Selbst nach meinem Selbstmordversuch hat er mich aus meinem Loch geholt und mir auf den richtigen Weg geholfen, der mich ins Kloster geführt hat. Aber die Story kennst du sicherlich."
Bella nickte und musterte Paddy dabei, wie er gedankenverloren auf seine Hand blickte, auf der sich immer noch die Wunde befand, welche bereits anfing zu verheilen.

„Weißt du.-",begann er, unterbrach sich jedoch selbst mit einem seufzen und winkelte sein Bein an, sodass er zu Bella gerichtet auf dem Sofa saß.
„Manchmal frage ich mich, ob das hier die richtige Entscheidung war."
Er deutete im Wohnzimmer umher, Bella verstand jedoch, worum es ihm wirklich ging.
Kurz blickten sie sich stumm an, bevor Bella schließlich das Wort ergriff.
„Wieso sollte es nicht?",fragte sie nach.
Kurz lächelte Paddy, während er sich im Wohnzimmer umblickte.

„I don't know. Ich habe momentan alles, was ich mir immer erträumt hatte. Zumindest dann, wenn wir die Sache mit Joelle weg lassen. Trotzdem ging es mir, psychisch gesehen, im Kloster um einiges besser."
„Warst du nicht zum Schluss im Kloster dauerhaft krank?"
Er nickte. Damals hatte ihm sein Körper eindeutig gezeigt, dass es Zeit war, seinen eigenen Weg zu gehen. Den Weg, der für ihn bestimmt war.
„Krank, aber glücklich. Warst du schon mal in einem Kloster?",erwiderte Paddy leicht lächelnd, weshalb auch Bella lächelte und den Kopf schüttelte.
„Dann kannst du das wahrscheinlich nicht nachvollziehen. Du bist hinter den dicken Wänden gefangen, aber im Grunde sind diese einfach nur dein Schutz vor der Außenwelt. Dort drin herrscht ein völlig eigenständiges Leben. Jeder hat seine Aufgabe und selbst die Tageszeiten interessieren dort keinen. Es ist toll diese Verbundenheit zu Gott zu spüren und zu wissen, dass der Glaube immer allgegenwärtig ist. Ich bete immer noch und werde meinen Glauben nicht aufgeben, aber hier, in der realen Welt, wird man mit komplett anderen Problemen konfrontiert. Das war in der ersten Zeit schlimm für mich. Gerade nach einer so langen Zeit der Isolation von der Außenwelt. Manchmal wünsche ich mir diese Zeit zurück, in der ich einfach für Gott gelebt hat."
„Das hast du schön gesagt.",gab Bella ihm leise zurück, die wirklich erstaunt über seine Worte war. Paddy lächelte. Er wusste, dass es hier nicht um ihn ging, trotzdem merkte er, dass Bella sich für sein Leben interessierte. Außerdem wäre es unhöflich sie über ihr Leben auszufragen und selbst nichts über sich zu erzählen.
„Aber du kannst doch froh sein. Du hast alles wieder auf die Reihe bekommen und stehst, trotz allem, da oben auf der Bühne und gibst dein bestes. Das kann nicht jeder.",fügte Bella hinzu.
„Das stimmt, aber ich brauche das auch einfach. Genau wie bei euch ein Konzert die Wirkung hat, dass ihr für einen Augenblick den Alltag und alles drum herum vergessen könnt, ist es bei mir auch. Ich brauche diese Flucht aus dem Alltag und vor allem das Gefühl, dass Leute hinter mir stehen, egal, was für einen Mist ich auch manchmal baue.",antwortete Paddy und erwischte Bella dabei, wie ihr ein schmunzeln über die Lippen kam. Sie wusste, wie tollpatschig Paddy auf der Bühne sein konnte und auch, dass die Jungs ihn damit regelmäßig aufzogen blieb für sie nicht verborgen.
„Ich glaube, du weißt was ich meine."
Paddy lachte und auch Bella konnte mit ihrem lachen nicht mehr hinter dem Berg halten, nickte aber dennoch.

Plötzlich riss die beiden ein klingeln aus den Gedanken.
Verwirrt blickte Paddy auf die Uhr. Es war kurz vor 20 Uhr Abends und Besuch erwartete er nun wirklich nicht.
„Bin gleich wieder da.",gab er Bella zu verstehen, welche lächelnd nickte und einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse trank.

Wenn Musik mein Herz erfülltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt