Kapitel 44

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Schnell war die nächtliche Klosterruhe eingekehrt. Schließlich würde die Nacht am nächsten Morgen früh enden. Nach dem halbstündigen Abendgebet, welches im Kerzenschein und in absoluter Stille in dem großen Saal stattfand, hatten sich die meisten Mönche, ohne ein weiteres Wort, in den Schlafsaal verzogen. Auch Bella war ihnen gefolgt. Die überwältigenden und neuen Eindrücke hatten sie dann doch ziemlich müde gemacht.
Bloß Paddy saß noch, stumm und mit seiner leuchtenden Kerze vor sich, in dem großen Saal. Die anderen hatten ihre Kerze ausgeblasen, bevor sie den Saal verlassen hatten, weshalb seine die einzige war, die noch etwas Licht spendete. Er hatte diese Ruhe vermisst. Abends lange hier sitzen zu bleiben, zu beten und einfach mal abschalten zu können.

„Du wolltest reden?",brach Pater Lorenz die Stille und brachte Paddy somit zum zusammenzucken, welchem die Anwesenheit von ihm nicht aufgefallen war. Trotzdem richtete er seinen Blick nicht von seiner Kerze ab, sondern nickte bloß stumm.
„Darf ich mich zu dir setzten?"
Wieder nickte Paddy und blickte erst dann zu Pater Lorenz, als dieser, im Schneidersitz, neben ihm saß. Kurz war es still zwischen den beiden, bevor Paddy seufzte, seine Hände hinter sich auf dem Boden abstützte und seinen Blick an die hohe Decke richtete, die bloß ab und an durch das Flackern der Kerze zu sehen war.
„Du siehst nicht sehr zufrieden aus.",stellte Pater Lorenz fest, als er Paddy kurz musterte. Schon den ganzen Tag war ihm dies aufgefallen und trotzdem wusste er, dass dahinter mehr stecken musste. Er kannte Paddy. Wahrscheinlich sogar Facetten, die seine Geschwister nie zu Gesicht bekommen würden.
„Du erinnerst dich an Joelle?",fragte er leise nach und blickte zu Pater Lorenz, welcher nickte und ebenfalls zu Paddy blickte.
„Ich weiß einfach nicht, was ich fühlen soll.",gestand Paddy leise und nahm seine Arme wieder vor sich, um nervös mit seinen Händen spielen zu können.
„In wie Fern?",harkte er einfühlsam nach, darauf bedacht, Paddy nicht mit seiner Frage zu bedrängen.
Dieser Blickte wieder auf die Flamme der Kerze, die sich in der Dunkelheit in seinen Augen widerspiegelte. Er merkte deutlich, dass er diese Gefühle und Gedanken zu lange für sich behalten hatte. Umso schwerer fiel es ihm nun, darüber offen zu reden.
„Joelle hat... ich meine ich..-"setzte er an, wurde aber von Pater Lorenz unterbrochen.
„Hey, lass dir Zeit."
Wieder seufzte Paddy und versuchte seine Gedanken zu sammeln. Er hatte Angst vor der Tiefgründigkeit des Gespräches und fürchtete, dass es wieder einiges aufwühlen könnte.
„Sie hat mich betrogen, als ich auf Tour war. Mit der Begründung, sie könne so nicht mehr Leben und hielte es nicht aus, wenn wir uns so lange nicht sehen würden. Danach das übliche. Sie ist zu ihrem neuen Lover gezogen und hat die Scheidung eingereicht. Vor einer knappen Woche kamen die beiden dann zu mir. Joelle ist Schwanger und das, laut ihr, zu 100% von mir.",erklärte Paddy seine missliche Lage leise und spürte die Hand des älteren auf seiner Schulter. Viel Erfahrung mit Frauen hatte dieser nicht, schließlich lebte er schon eine Ewigkeit im Kloster, aber Paddy's Problem verstand er trotz allem.

„Und was fühlst du?",harkte er vorsichtig nach. Paddy blickte immer noch in die Flamme und zuckte mit den Schultern, bevor er zu einer Antwort Luft holte.
„Eigentlich nur pure Verwirrung und Selbstzweifel."
Es wurde still. Pater Lorenz ruhte mit der Hand auf seiner Schulter und musterte Paddy's Seitenprofil, welches nur etwas von der Kerze beleuchtet wurde.
„Liebst du sie?",stellte er die Frage, auf die Paddy keine Antwort wusste.
„I don't know.",gab er wahrheitsgemäß zurück, begleitet von einem leichten Kopfschütteln.
„Anfangs dachte ich, dass ich das Ganze gar nicht schaffe. Mittlerweile erschreckt es mich schon, wie kalt ich bei dem Thema sein kann. Ich spüre nichts. Noch nicht mal, als Joelle weinend vor mir saß und mir sagte, dass sie mich liebt. Selbst mein Herzschmerz blieb aus."
„Glaubst du, du hast damit abgeschlossen?"
Paddy schüttelte den Kopf. Soweit war er keinesfalls.
Sanft griff Pater Lorenz nach Paddy's rechter Hand, welcher dies zu ließ und nun auch aufschaute.
„Sollte hier dann nicht eigentlich noch etwas sitzen?",harkte Pater Lorenz nach und strich mit seinem Finger über Paddy's Ringfinger, während Paddy seinen Blick wieder senkte und seine Hand wieder zu sich nahm.
„Ich habe mich mit der Trennung arrangiert. Es war schließlich ihre Entscheidung.",erklärte er sich.
„Patrick, sie liebt dich. Glaubst du nicht es wäre vernünftig, dieser Sache noch eine Chance zu geben? Ihr seid Verheiratet. Du weißt, was dies vor Gott bedeutet."
„Vielleicht wäre es vernünftig, aber ich kann nicht. Ich würde mich damit kaputt machen.",erwiderte Paddy leise, lenkte seinen Blick immer noch nicht von der Kerze ab.
„Psychisch labil wie eh und je."
Paddy schmunzelte. Recht hatte er.

„Ich bin mir meiner Gefühle nicht sicher, aber ich weiß, dass das zwischen uns nichts mehr wird. Trotzdem weiß ich nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Ich habe mir immer ein Kind gewünscht, aber eigentlich war mein Plan, dieses in einer intakten Familie großzuziehen. Es soll einen Vater und eine Mutter haben und einfach Kind sein dürfen."

Pater Lorenz merkte, wie Paddy's Körper leicht anfing zu zittern. Ungern wollte er sich an seine Vergangenheit erinnern, konnte dies nun aber nicht abwenden. Er selbst wusste wie es war, ohne eine Mutter aufzuwachsen. Zwar war diese erst gestorben als Paddy fünf Jahre alt war, trotzdem war sie in der wichtigsten Zeit nicht da. Kind sein durften sie sowieso nie. Nach dem Tod seiner Mutter war sein Vater nur noch mehr auf den Erfolg aus. Straßenkonzerte hier und da. Zeit blieb während dieser harten Arbeit nicht und dies wurde nur noch schlimmer, als die Band in den Mittelpunkt der 90er Jahre rückte.

„Dessen musst du dir bewusst sein. Trotzdem heißt das eine nicht, dass das andere nicht wahr werden kann.",erwiderte Pater Lorenz und nahm nun seine Hand von Paddy's Schulter, die sogleich um einiges kälter wurde.
Seufzend vergrub Paddy seinen Kopf in seinen Händen. Er wusste einfach nicht, was das richtige war.

„Und was ist mit Bella?"
Paddy blickte zu ihm. Selbst darauf wusste er keine deutliche Antwort.
„Kannst du bitte leichtere Fragen stellen?",fragte er lachend und wandte seinen Blick nun auf seine Hände.
„Sie ist toll. Zu toll. Würde ich nicht wissen, dass sie nicht mehr lange lebt, hätte ich mich wahrscheinlich schon längst in sie verliebt.",antwortete Paddy leiser auf die Frage.
„Woher weißt du, dass du das nicht schon längst getan hast?"
Verwirrt blickte Paddy zu Pater Lorenz auf, der nur sanft lächelte.
„Naja, so wie ich dich kennengelernt habe, hättest du die Sache mit Joelle nicht einfach so ruhen lassen. Außerdem währt ihr ein ganz süßes Paar.",erklärte er sich und brachte Paddy somit leise zum lachen.
„Das würde auch nichts werden. Ihren Tod könnte ich ebenso nicht verkraften."
„Könntest du ihren Tod denn in der jetzigen Situation verkraften?"
Paddy schüttelte den Kopf. Er wusste, worauf Pater Lorenz hinaus wollte.
„Ich will dir nichts aufdrängen. Meine Meinung erst recht nicht, aber vielleicht solltest du dir darüber im Klaren werden, warum du so eine Einstellung zu Joelle hast und vor allem, was du für Bella empfindest."
Und mit diesen Worten stand er auf und ließ Paddy alleine in dem großen Saal. Dieser blickte ihm bloß hinterher, nahm schließlich das Glas mit seiner Kerze in die Hand und stand ebenfalls auf.

„Danke, für noch mehr Gedanken.",nuschelte er bloß, konnte sich sein Lächeln aber nicht verkneifen. Schon damals hatte er sich über diese Angewohnheit von Pater Lorenz beschwert, obwohl es wirklich half. Wenigstens wusste er nun, mit welchem seiner tausenden Gedanken er sich auseinandersetzen musste und mit diesem ging er als letzter der Runde in den großen Schlafsaal. Ausnahmslos alle schliefen und auch er brauchte nicht lange, bis er in einen unruhigen Schlaf fiel.

Wenn Musik mein Herz erfülltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt