Kapitel 3

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Erst am nächsten Abend bekam Bella Besuch von ihrer Schwester. Die Untersuchungen hatte sie mal wieder über sich ergehen lassen und durch die Medikamente fühlte sie sich schon um einiges fitter, als gestern Abend. Tatsächlich hatte Bella mit dem gestrigen Tag ihren Frieden geschlossen. Sie hatte Paddy noch einmal gesehen und das war die Hauptsache für sie. Woher die ganzen Leute, die ihr auf Instagram Gute Besserung wünschten, ihren Namen kannten, konnte Bella sich nicht erklären. Trotzdem war sie den Leuten dankbar, die ihr teilweise sogar Videos von dem restlichen Konzert schickten.

„Hey, ich habe es leider nicht früher geschafft.",entschuldigte Clara sich, während sie sich neben ihre Schwester auf die Bettkannte setzte.
„Kein Problem.",erwiderte Bella und zwang sich ein leichtes lächeln auf die Lippen, welches ihre Schwester erwiderte.
„Geht's einigermaßen? Dr. Mai wollte gleich her kommen und...."
„Alles gut.",unterbrach Bella ihre Schwester und winkte das Thema ab. Sie wollte mit ihrer Schwester nicht über ihre Gesundheit und wahren Gefühle reden. Die Gefühle, die sie schon lange mit sich herum trug. Einsamkeit, Missverständnis und einfach das drückende Gefühl, nicht auf dieser Welt willkommen zu sein. Glück, hatte Bella ja wohl wirklich nie.

Clara setzte zu einem erneuten Versuch an, wurde jedoch von Dr. Mai unterbrochen, der mit einem leisen Klopfenan die Tür, das Zimmer betrat.
Stumm lief er mit der Akte in der Hand auf die beiden zu, bevor er vorsichtig den Clip von Bella's Finger entfernte und mit einem seufzen zu ihr hinunter blickte.
„Ich weiß, dass du das Ergebnis eigentlich nicht hören willst, aber ich bin verpflichtet, dich über deinen Zustand aufzuklären und klar ist, dass dieser sich verschlechtert. Bella, so langsam würde ich nicht mehr unterschreiben, dass du überhaupt den nächsten Sommer überlebst. Du weißt, dass wir alles erdenkliche tun, aber nur eine gelungene Operation könnte dir das Leben sichern. Diese ist aber viel zu Riskant und steht außer Frage, zumal die letzten Operation ja auch nie angeschlagen haben.",erklärte Dr. Mai leise und blickte derweil zu Bella, die nur abwesend nickte.
„Bella, ich habe mich heute nach einer Möglichkeit umgeschaut, wo du in Zukunft leben wirst.",brach Clara die unangenehme Stille, die nach dieser Nachricht herrschte.
„Wie meinst du das?",wollte Bella skeptisch wissen und setzte sich ein kleines Stück auf, um dem Gespräch besser Folgen zu können. Sie hasste es, wenn sie hilflos in ihrem Bett lag und alle anderen über ihr standen.
„Ich kann dich nicht mehr bei mir Zuhause behalten. Du weißt, dass Nick und ich zusammenziehen wollen. Außerdem bist du dort in sicheren und erfahrenen Händen. Die Leute können dir dort besser helfen.",beteuerte Clara und spürte den verwunderten Blick des Arztes auf ihr. Clara fiel dieser Schritt schwer, trotzdem musste sie ihn wagen. Es ging einfach nicht mehr, Bella war eine zu große Last für sie.
„Und wo soll ich deiner Meinung nach hin?",harkte Bella überfordert nach.
„Ich habe dich in einem Hospiz angemeldet. Ganz hier in der Nähe, sodass wir dich immer besu..."
„Wenn du das machst, kannst du dir dein Besuch sonst wo hin stecken! Ich geh in kein Hospiz!",unterbrach sie ihre Schwester aufgebracht.
„Bella, sie können dir helfen."
„Helfen bei was? Sterben kann ich alleine, dafür muss ich nicht den ganzen Tag eingesperrt in einem Gebäude sitzen, in dem nur Todkranke Leute leben!"
„Du bist aber auch Todkrank und musst lernen damit klar zu kommen. Gerade jetzt, wo es auf das Ende zu geht.",mischte sich der Arzt ein und legte seine Hand kurz auf Bella's Schulter, „ich lasse euch beiden mal alleine."

Er schloss die Tür hinter sich, woraufhin Bella sofort ihre Arme vor ihrer Brust verschränkte und zu ihrer Schwester aufblickte.
„Bitte verstehe, dass ich wirklich nur das beste für dich möchte.",bat Clara sie, weshalb Bella bloß ein ironisches Grinsen über die Lippen kam. Sie und das beste für sie wollen? Wer's glaubt!
„Und das ist deiner Meinung nach das beste für mich? Dann kennst du mich sehr wenig, Schwesterchen."
„Kenne ich tatsächlich, liegt aber eher daran, dass du nie sonderlich viel über dich Preisgegeben hast.",konterte Clara und stand auf.
„Ich weiß, dass du eine schwere Zeit durch machst, dein Leben lang, aber ich kann und möchte dich auf Dauer nicht pflegen. Bella, ich bin 37 und möchte vielleicht auch noch etwas erleben, anstatt immer an dich gebunden zu sein.",haute Clara hinterher und bekam einen erschrockenen Blick ihrer Schwester zu spüren.
„Wieso bist du überhaupt hier, wenn ich nur Ballast für dich bin?! Ich kann das hier auch alleine!",erwiderte Bella aufgebracht und deutete zur Tür, durch die ihre Schwester, ohne ein weiteres Wort und mit einem lauten Türknallen begleitet, verschwand.

Seufzend vergrub Bella ihren Kopf in ihren Händen, wurde aber wieder auf die Stimme ihres Arztes aufmerksam, der kurz darauf wieder den Raum betrat und somit Bella's Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
„Denk darüber nach. Ich kenne die Kollegen dort und habe wirklich noch nichts schlechtes gehört.",redete er leise auf sie ein, während er ihr erneut Blut abnahm.
Bella fragte mittlerweile überhaupt nicht mehr nach, warum er was machte. Einen Überblick darüber hatte sie schon lange nicht mehr.
„Jetzt fangen Sie nicht auch noch damit an. Ich möchte nicht mein restliches Leben so behandelt werden, als wäre ich bereits Tod.",gab Bella genervt zu und legte sich wieder komplett hin. Ihr ging es gerade einigermaßen gut, weshalb sie nicht verstand, warum sie eigentlich noch hier war.
„Ich mein ja nur. Ich habe schon viele Patienten auf diesem Weg begleitet und wirklich nur gutes gehört."
Bella blickte zu ihm auf und traf dabei sofort auf die braunen Augen ihres Arztes.
„Ich glaube, jeder muss selbst wissen, wie er diesen Weg gehen möchte. Ich habe mich mit dem Tod schon abgefunden, mit der Krankheit eher weniger."
Dr. Mai schluckte, als er diesen Ausdruck in Bella's Augen sah. Sie strahlten so viel Unsicherheit, Angst und Enttäuschung aus, gleichzeitig aber auch eine unglaubliche Entschlossenheit.
Mehr als ein Nicken brachte er nicht mehr raus, bevor er Bella ein kleines Pflaster auf die Wunde klebte, die die Nadel hinterlassen hatte. Er wusste, dass Bella einen starken Willen hatte und diesen auch durchsetzen würde.
„Sei nicht zu Stur und denk an deine Schwester. Ich schaue nachher noch einmal nach dir."

Wenn Musik mein Herz erfülltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt