Kapitel 70

475 32 12
                                    


Still saß Paddy in der Kirche. Sein Blick richtete sich lediglich auf den Boden, während er gedanklich versuchte dem Gottesdienst zu folgen.
Nie hätte er gedacht, dass es so schnell zu Ende gehen könnte. Immer noch saß ihm der Schock tief in den Knochen und dachte er zurück an diesen Tag, schmerzte sein Herz und seine Augen füllten sich mit Tränen.
Sanft legte Patricia ihren Arm um ihren Bruder und strich ihm über den Oberarm. Sie wusste, dass er Probleme damit hatte, mit einem Tod umzugehen, weshalb sie ihm zur Seite stand.

Paddy löste seinen Blick von dem Boden und strich sich ein paar Tränen von den Wangen, während er zum Altar blickte. Der Pfarrer hielt mittlerweile eine kleine Ansprache und fing den Blick von Paddy kurz auf, bevor er seinen Blick wieder der Masse richtete.
Paddy ging gerne in die Kirche, doch bei so einem Anlass fühlte sich dieser Gang eher wie ein Gefängnis an. Er musste hin, auch wenn er nicht wollte.

Alleine sein Glaube lehrte ihn, dass jeder Mensch zu Gott zurück finden sollte. In Begleitung seiner liebsten.

Patricia hatte lange gebraucht, um ihren aufgelösten Bruder zu diesem Gang zu überreden und obwohl Paddy ziemlich lautstark protestiert hatte, wusste sie, dass er ihr später dankbar wäre. Spätestens heute Abend hätte er es bereut, wenn er diesen letzten Schritt nicht mitgegangen wäre.
Auch jetzt spielten seine Gedanken verrückt. Dem Pfarrer schenkte er schon längst keine Aufmerksamkeit mehr. Sein Blick glitt lediglich durch das innere der Kirche und musterte die Menschen, die hinter ihm saßen.
Bloß die ersten beiden Reihen stellten Freunde und Familie dar, während hinter ihm fremde Menschen saßen, die lediglich an dem Gottesdienst teilnehmen und für die nächste Woche gesegnet werden wollten. Kein Ausdruck von Trauer lag in ihrer Mimik. Bloß eine junge Frau, die Paddy's Blick aufgefangen hatte, schaute ihn ein wenig mitleidig an. Doch Paddy kümmerte sich nicht darum. Er ließ seinen Blick weiter durch den Raum schweifen, bis Patricia ihn antippte und Paddy somit leicht erschreckte.

„Möchtest du auch etwas sagen?",harkte sie leise nach und deutete auf Noah, der mittlerweile am Altar stand und zu einer kleinen Rede ansetzte.
„Ich bekomme das nicht über die Bühne.",gab Paddy ihr leise zurück und versuchte sich dann auf die Worte seines Glaubensbruders zu konzentrieren.
Es dauerte nur knappe fünf Minuten, bis Noah seine Rede beendet hatte und Paddy nun wieder haltlos die Tränen über die Wangen flossen. Zu frisch war diese Wunde noch.

„Ich weiß, dass es die schwerfallen wird und du es eigentlich nicht möchtest, aber ich bitte dich, Patrick, nach vorne zu kommen und einige Worte über den Tod zu verlieren.",bat Noah und blickte zu Paddy, der ihn bloß anschaute und schluckte. Seine Schwester strich ihm ermutigend über den Oberarm.
„Dir wird es danach besser gehen.",sagte sie lächelnd.
Zögernd wischte Paddy sich seine Tränen aus dem Gesicht und stand langsam auf. Seine Knie glichen der Stabilität eines Wackelpuddings und seine Hände waren eindeutig viel zu schwitzig. Trotzdem lief er auf den Altar zu und blickte Noah dabei an, der ihm aufmunternd anschaute und ihm schließlich das Mikrofon in die Hand drückte.
„Kannst du hier bleiben?",bat Paddy leise, sodass niemand anderes es hören konnte.
Selbstverständlich nickte Noah und wich Paddy nicht von der Seite.
Dieser hob das Mikrofon nun zu seinem Mund und blickte auf die vielen Menschen, die ihn aufmerksam anschauten. Leicht zitterte seine Hand und er hatte plötzlich das Gefühl, dass er es nicht gewohnt war vor so vielen Menschen zu stehen.

„Ich weiß gar nicht, wo ich überhaupt anfangen soll. Das Ganze ist schlicht und ergreifend noch viel zu frisch und ich weiß nicht, ob ich jetzt etwas zu Stande bekomme.",fing er an und blickte kurz zu seiner Schwester, die ihm sanft zulächelte.
„Ich kann über die letzten Jahre nicht allzu viel sagen. Ich bin bereits 2010 aus dem Kloster ausgetreten und hatte nur ab und an Kontakt zu ihm und meinen Brüdern. Ich bin 2004 völlig am Ende ins Kloster gekommen und wurde dort sofort mit offenen Armen empfangen. Pater Lorenz war immer für mich da, hat mir aus meinen Depressionen geholfen und mir klar gemacht, dass das Leben lebenswert ist. In diesen sechs Jahren haben wir einiges zusammen erlebt und ich kann nur sagen, dass ich verdammt dankbar für diese Zeit bin. Ohne Pater Lorenz wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier. Er war ein so selbstloser Mensch, hat immer auf die anderen geachtet, gute Ratschläge verteilt oder einem einfach nur zu Seite gestanden, wenn es einmal schwierig wurde. Es ist schrecklich was passiert ist aber ich weiß, dass er nun an einem besseren Ort ist und dort auf mich und meine Brüder warten wird."

Noah legte seine Hand auf Paddy's Schulter und nahm ihm das Mikrofon ab, bevor die beiden sich in die Arme schlossen und Paddy schließlich wieder auf seinen Platz ging. Erst jetzt fiel sein Blick wieder auf die Junge Frau, die ihn nun interessiert musterte und sich ihre Tränen verkniff. Sanft lächelte Paddy und sah, wie rot die junge Frau wurde. Trotzdem erwiderte sie sein Lächeln, während Paddy sich wieder zu seiner Schwester setzte, die stolz ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte.

Vor knapp einer Woche hatte Paddy die Nachricht erreicht, dass Pater Lorenz umgebracht worden war. Er war Nachts auf der Straße und wurde von einem betrunkenen Mann angegriffen, der nicht lange gezögert hatte. Paddy war über diese Nachricht geschockt und zweifelte an der Menschheit. Wie konnte man nur so hirnverbrannt sein?
Mittlerweile war er einfach nur noch traurig. Pater Lorenz hatte ihn in seiner schwersten und der darauf besten Zeit erlebt und hatte immer ein offenes Ohr für ihn.

Er war froh, als der Gottesdienst beendet war und lief mit Patricia schnell aus der Kirche. Seine Glaubensbrüder stellten sich in einer Reihe auf, um das Beileid der anderen annehmen zu können. Paddy stellte sich jedoch weit an den Rand. Das Beileid der anderen, fremden Menschen konnte er nun wirklich nicht mehr gebrauchen. Zu sehr hatte dieser Gottesdienst alles in ihm aufgewühlt.
Lediglich mit seiner Schwester unterhielt er sich, bis seine Aufmerksamkeit auf die junge Frau wich, die auf die beiden zu lief.

„Entschuldige, darf man Sie stören?"
Zögernd nickte Paddy.
„Ich wollte Ihnen bloß sagen, dass mir Ihre Ansprache eben echt gut gefallen hat.",erwiderte sie lächelnd und streckte Paddy ihre Hand entgegen, die dieser vorsichtig ergriff und schüttelte.
„Ich bin Mia.",stellte sie sich freundlich vor.
„Patrick.",erwiderte er und musterte Mia von der Seite, als diese auch Patricia ihre Hand reichte.
„Wieso warst du heute im Gottesdienst?",wollte Paddy interessiert wissen.
„Ich gehe seit einigen Jahren jeden Sonntag in die Kirche, aber so einen Gottesdienst habe ich noch nie erlebt und wollte unbedingt mal dabei sein. Mein Beileid übrigens."
Er nickte. Mia war vielleicht Anfang 30, hatte blonde Haare und strahlend blaue Augen.
„Du kommst aber nicht gebürtig aus Frankreich, oder?"
Lächelnd schüttelte sie den Kopf.
„Wir sind hier her gezogen, als ich sieben Jahre alt war. Ich bin aber kein Fan von der Sprache, deswegen war ich auch ziemlich froh, als du deine Ansprache auf Deutsch gehalten hast. So lange kann ich mir das französische Gelaber nicht geben."
Leise lachte Paddy.

Schnell verabschiede Mia sich wieder und auch Paddy saß mit Patricia, nach einer herzigen Verabschiedung seiner Glaubensbrüder, wieder im Auto nach Deutschland.
„Danke, dass du mit hier her gefahren bist.",bedankte er sich und riss somit Patricia aus ihren Gedanken.
Diese lächelte knapp, blickte aber weiterhin auf die Straße.
„Selbstverständlich. Schließlich kannte ich ihn auch."
Gedankenverloren richtete Paddy seinen Blick aus dem Fenster. Das Wetter war wunderschön und trotz allem war seine Laune im Keller. Erst der Zusammenbruch von Bella, dann der Tod von Pater Lorenz.

Alles war auf einmal zu viel und sah nicht danach aus, als würde sich auch nur eine Sache zum Guten wenden.

Wenn Musik mein Herz erfülltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt