Teil 93

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Isil 

»So ist es brav«, sprach Sinan stolz aus und schloss die Tür auf. Er zog mich am Arm mit und ließ mich erst im Wohnzimmer los. Ich massierte mein Handgelenk, welches schon die Farbe rot annahm. Gerade als ich aus dem Wohnzimmer gehen wollte, hielt mich Sinan fest, der mal wieder meine Hand in seiner zerquetschte. »Lass mich los!«, schrie ich und entriss meine Hand. 
»Du gehst nirgends wohin hin. Setz dich!«, knurrte er und warf mich auf die Couch. »Ich bin für Tolga hergekommen, Sinan. Glaube mir bleiben werde ich hier nicht! Ich werde schon gehen!«, schrie ich und stand von der Couch auf. »Braves Mädchen. Du weißt ja was passieren würde, wenn du es nicht tätest«, lachte er und ging aus dem Wohnzimmer. »Wie konnte ich ihn jemals geliebt haben?«, stellte ich mir die Frage und setzte mich auf die Couch. Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen und stellte fest, dass noch alles war wie früher. Nichts hatte sich verändert, nur wir. Ich holte den Zettel aus meiner Jackentasche und faltete ihn auf. Ich hasste Sinan dafür. Er hatte mein Schwachstelle herausgefunden und sie gegen mich verwendet. Er hatte mir mit Tolga gedroht. Sinan hatte mir den Zettel gegeben wo verschiedene Anschuldigungen drauf standen gegen Tolgas Firma. Ich wusste nur zu gut wozu Sinan imstande war und ging deswegen mit, aber bleiben würde ich nicht. »Isil!«, schrie Sinan, sodass ich kurz aufzuckte, dann aber doch aufstand und die Treppen hoch ging. »Du kannst hier schlafen«, teilte er mir mit und zeigte auf mein altes Bett. Bevor er das Zimmer verlassen konnte, legte er seine Hand auf meine Wange und strich darüber. Ich kniff meine Augen zusammen und wartete drauf, dass er endlich ging, was er auch dann tat. Schnell schloss ich die Tür zu und setzte mich an das Bett. Irgendwie traute ich ihm nicht und zog mich deswegen auch nicht um, sondern legte mich einfach so auf das Bett. Vielleicht hatte er Kameras hier im Raum, was ich Sinan nach den ganzen Dingen, die er in der Vergangenheit gemacht hatte, zu traute. Ich schmiegte mich in die kuschelige Decke und spielte mit meinem Ring herum. Mein Handy hatte ich nicht und somit wusste ich nicht was Tolga machte. Verzweifelt versuchte ich die Tränen weg zu wischen, was nicht klappte, da sie ununterbrochen flossen. Ich vermisste ihn und machte mir Sorgen um ihn, sowie er um mich. Ich wusste nicht wie ich hier heraus kommen konnte. 

»Isil, beeil dich. Unsere Eltern werden kommen«, schrie die Stimme von Sinan. Ich öffnete meine Augen und schaute auf die leere Bettseite. Noch gestern lag dort Tolga und lächelte mich so liebevoll an. Ich strich behutsam darüber und schloss meine Augen wieder. Stumm weinte ich vor mich hin und krallte meine Finger in die Bettdecke, um nicht laut zu schluchzen. »Wenn du jetzt nicht aufstehst und herkommst, Isil dann-« 
»Was? Was dann? Ich hasse dich, ich hasse dich so richtig, Sinan«, schrie ich ihn entgegen. Ich nahm mir vom Schrank meine alten Klamotten und schloss die Tür auf. Vor der Tür erwartete mich ein wütender Sinan, der die Hände zu Fäusten geballt hatte und nur noch am ganzen Körper zitterte. Er drückte mich gegen die Wand, wodurch ich kurz vor Schmerz aufstöhnte. Seine Hand lag auf meinem Hals und nur kurz drückte er zu. »Jetzt hörst du mir zu, Isil. Sowie du dich verändert hast, habe ich dies auch gemacht. Ich bin nicht mehr der alte Sinan, Isil. Du hast mich zu dem Menschen gemacht, der ich momentan bin. Mach nichts falsches«, hauchte er mir zu und ließ mich los. Sofort schnappte ich nach Luft und hielt mich an der Türklinke fest. Wütend ging Sinan die Treppen herunter und ich ins Badezimmer, wo ich meine Klamotten wechselte. Die alten warf ich in den Wäschekorb und verließ das Badezimmer. Ich wollte gerade in die Küche gehen, als es an der Tür klingelte. Mit einer kleinen Hoffnung, die ich nicht aufgab, dass Tolga mich hier raus holten würde, ging ich zur Tür und riss sie auf. Enttäuscht sah ich in die 4 Gesichter, die mich wütend und angewidert anguckten. Mein eigener Vater riss seine Augen weit auf und drehte sich um, um wieder zu gehen. »Kommt doch rein!«, schrie Sinan ganz fröhlich und bat alle herein. Mein Vater drehte sich um und ging widerwillig ins Wohnzimmer. Sie setzten sich alle auf die Couch und schauten mich weiterhin mit diesem vernichtetenden Blick an. »Was macht sie hier?«, zischte Sinans Mutter. Ihre Augen verengten sich und ihr Mund wurde schmaler. »Sie ist meine Frau«, rechtfertigte sich Sinan und wollte nach meiner Hand schnappen, die ich sofort wegzog. Sinan schaute mich dennoch lächelnd an und wand sich zu seiner Mutter. »Wir sind wieder zusammen. Bitte berücksichtigt meine Entscheidung«, sprach er aus und die Stille kehrte wieder ein. 

»Das Essen ist fertig«, teilte uns Sinan mit, der schon seit einer Stunde in der Küche verschwunden war. Wir gingen alle in die Küche und setzten uns an den Esstisch. Sinan legte jedem was auf den Teller und strahlte nur vor Freude, während wir anderen wütend und verletzt in die Runde schauten. Man hörte einfach alles. Wie der eine oder andere hier kaute und es herunter schluckte. Ich hatte keinen Appetit und stocherte im Essen herum. »Isilm (Meine Isil), iss doch etwas. Du siehst abgemagert aus«, klang die Stimme Sinans ganz besorgt. Ich schaute ihn wütend auf und stand auf. Alle schauten zu mir und Sinan hob erwartungsvoll seine Augenbrauen. 
»Es reicht! Was spielen wir hier eigentlich?«, schrie ich und ging aufgebracht ins Wohnzimmer, wo ich auf und ab ging. Die anderen folgten mir und Sinan hielt mich am Arm fest. Grob drehte er mich zu sich und drückte fester zu, sodass ich herum zappelte und meinen Arm entziehen wollte. 
»Wir spielen nichts vor, Isil. Unsere Ehe ist eine glückliche und wir lieben uns«
»Du bist doch Krank!«, schrie ich ihn an und lachte auf. Was war nur mit ihm falsch?
»Du wirst alles machen was ich will. Du legst dich unter meinen Freund und lässt dich von dem ficken«, schrie er und schlug auf meine Wange. Durch die Wucht fiel ich auf den Boden und hielt meine Wange fest. Sinan schlug noch einmal mit seinen Fuß auf mein Bauch, sodass ich kurz aufschrie. Tränen verströmt stand ich wieder auf und stellte mich vor Sinan. Mit meiner ganzen Kraft schlug ich ihn. Unsere Mütter hielten sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
»Du verlogene Schlampe!«, schrie er mich an und wollte auf mich zu kommen, dennoch hielt sein Vater ihn zurück während mein Vater stumm in meine Augen blickte. 

»Siehst du nicht wie ich leide, Baba? (Vater)«, fragte ich ihn und stellte mich vor ihn. Ich wollte seine Hand ergreifen, aber er zog sie weg und versteckte sie hinter seinem Rücken. 
»Baba (Vater), ich habe mich verliebt. Ich weiß, es war falsch. Es war falsch mich in Tolga zu verlieben oder so einen Fehler zu begehen, aber wenn ich dies nicht gemacht hätte, würde ich die Liebe meines Lebens nicht finden. Er behandelt mich gut. Er bringt mich nicht zum Weinen, Baba. Du hast doch immer gesagt, dass ich deine Prinzessin bin, jetzt bin ich Tolgas Königen und genauso werde ich auch behandelt.«
Ich rechnete mit keiner Antwort meines Vaters und schaute ihn nur stumm an. Flehend darauf, dass er doch auch was sagen sollte. Keiner im Raum sagte irgendetwas. Ich hörte nur das Weinen meiner Mutter, die dagegen ankämpfte doch nicht zu weinen. 
»Ich habe nichts bereut«, kam es entschlossen von mir und die Antwort bekam ich auch sofort zurück. Zum ersten Mal erhob mein Vater seine Hand gegenüber mir und schlug mir auf die Wange, die noch eben wegen Sinan pochte. Der Schmerz an der Wange war nichts im Gegensatz zu dem, dem ich im Herzen fühlte. 
»Ich habe meine Antwort«, lächelte ich schwach und ging ins Badezimmer, wo ich mich einschloss und auf den Boden setzte. Ich hörte von unten das Schreien der anderen und das Fluchen, aber so wirklich kam es nicht bei mir an. Eher bruchweise. 

Nachdem ich mein Gesicht gewaschen hatte, ging ich aus dem Badezimmer. Ich schaute auf die Uhr im Flur und stellte fest, dass ich genau 1 1/2 Stunden dort verbracht hatte. So leise und vorsichtig wie nur möglich ging ich mein Zimmer. 
»Isil, Isil.. denkst du ich erwische dich nicht«, lachte Sinan als ich fast an meinem Zimmer ankam. Sofort drehte ich mich um und sah in hasserfüllt an. 
»Fick dich, Sinan«, zischte ich und wollte in mein Zimmer gehen. 
»Na, na Isil, solche dreckigen Wörter passen nicht zu dir«, grinste er und kam auf mich zu. Er legte seine Hände auf meine Taille und kam mit seinem Gesicht immer näher. 
»Geh, weg Sinan«, bettelte ich ihn an und schubste ihn immer wieder weg, was nichts brachte, da er viel stärker war als ich. 
»Mit Tolga fickst du, also kannst du doch auch mich ran lassen«, hauchte er mir zu und legte seine Lippen auf meine Wange. 
»Verpiss dich!«, schrie ich aufgebracht und konnte ihn endlich weg drücken. Er lachte wieder auf und kam ganz gelassen wieder auf mich zu. 
»Wieso willst du eine Frau, die dich nicht will? Davor kamen wir doch auch gut zu recht. Du hattest deine Freundinnen und ich war dir nicht wichtig. Was also hat sich verändert, Sinan? Was?«, schrie ich und abrupt blieb er stehen. Er dachte wirklich nach. Ich ergriff diese Möglichkeit und rannte die Treppen herunter. Ich wollte hier weg, weg von Sinan und zu Tolga. Doch ich hatte die Rechnung ohne Sinan gemacht. Er zog mich zurück, aber hielt mich nicht fest genug, sodass ich die Treppen herunterfiel. Das einzige was ich spürte war der Schmerz und danach schloss ich meine Augen. 

Tolgas Gesicht. Er lächelt mich an und hält seine Hand entgegen. Ich versuche sie zu ergreifen, stelle aber fest, dass ich an einem Bett gefesselt war. So sehr ich mich versuche zu entfesseln, gelingt es mir nicht. Tolga lächelt mich gequält an und verblast die ganze Zeit, bis er gar nicht mehr zu sehen war. Verzweifelt blickte ich um mich herum und sah nichts, außer die vollkommen weiße Umgebung. Doch dann vernahm ich eine Stimme, die mit mir sprach. Ich folgte der Stimme und öffnete meine Augen. Vor mir stand ein Arzt, der mich anlächelte. Ich versuchte mich aufrecht hinzu setzen, ließ es aber dann sein, da ich viel zu viele Schmerzen bekam. 

Der Arzt sagte mir,dass ich nichts weiteres hatte und nur eine kleine Prellung am Arm. Er wünschte mir gute Besserung und verließ den Raum. Sinan saß auf den Stuhl und sah mich verzweifelt und besorgt an. »Zufrieden?«, fragte ich mit meiner rauen Stimme. Er stand auf und wollte etwas erwidern, jedoch schüttelte ich meinen Kopf und schloss meine Augen. Auch wenn ich eben noch geschlafen hatte, war ich noch verdammt müde. Ich schloss meine Augen und wartete drauf, dass Sinan endlich ging. Er strich mir noch einmal durchs Haar und ging aus dem Raum. Schnell stand ich auf und zog mir meine Jacke über. Bevor ich das Krankenzimmer verließ, schaute ich mich nach Sinan um und rannte danach heraus. Aus meiner Jackentasche holte ich die letzten 20 Euro und hielt ein Taxi an. Ich gab ihm die Adresse von Tolga. Wir würden alles gemeinsam schaffen, auch dies. Als wir endlich ankamen, stieg ich aus und klingelte. Kurz zuckte ich vor Schmerz zusammen, da mir die Hüften weh taten wegen dem Sturz. Nicht wie erhofft öffnete mir Tolga die Tür, sondern Melda. 
»Ist Tolga da?«, fragte ich sie und wollte in das Haus hinein treten, doch sie versperrte mir den Weg. 
»Er ist nicht da«, sagte sie kalt und schaute mich auch noch so emotionslos an. 
»Dann lass mich rein und auf ihn warten«
»Es wäre das Beste, wenn du gehst. Du tust meinen Bruder nicht gut! Hau ab, Isil! Seit dem du in seinem Leben bist, geht alles schief. Geh weg und lass ihn in Ruhe!«, schrie sie mich an und erschrocken, hielt ich mir die Hand vor den Mund. 
»Spinnst du eigentlich? Melda, vergiss nicht dank wem Tolga dir verziehen hat«
»Wow, Isil. Das einzige Gute was du hinbekommen hast. Und jetzt geh. Geh endlich aus seinem Leben!«, schrie sie noch und warf die Tür in den Schloss. Durch die Wucht zuckte ich zusammen, drehte mich aber um und stieg in das Taxi ein, welches auf mich gewartet hatte. Der alte Taxifahrer reichte mir ein Taschentuch und fuhr los. 

Jetzt machte überhaupt nichts mehr einen Sinn.

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