Kapitel 26

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Stefan wickelte eine warme Decke um sich. Zwar war der Keller beheizt, trotzdem kam es ihm so vor, als würde die Kälte von draußen herein kriechen.
Draußen herrschte stürmisches Herbstwetter und seine Gastgeberin hatte sich am heutigen Tage noch nicht blicken lassen.

„Hoffentlich hat die keinen Herzinfarkt bekommen und liegt oben in der Wohnung! Bei meinem Glück sucht man nicht nach der und ich kann hier unten verhungern,“ dachte er schlecht gelaunt, ersparte es sich aber, einen erneuten Befreiungsversuch zu unternehmen. Dies hatte bereits häufig genug probiert und es mittlerweile aufgegeben.

„Wenn die Alte kommt, muss ich freundlich zu ihr sein! Am besten zu allem, was sie so sagt, ja und amen sagen. Vielleicht sollte ich ihr ja anbieten, ihren Rasen zu mähen, wenn sie mich hier raus lässt. Oder ich kehre die Blätter in ihrem Garten zusammen. Irgendwas, aber ich muss hier raus!“, dachte Stefan und griff nach einer der Zeitschriften, die die Frau ihm hin gelegt hatte.

„Rentnerin falsches Gebiss ausgehändigt. Annegret S. (74) litt vierzehn Jahren unter starken Schmerzen, bis Irrtum auffiel,“ las Stefan die Überschrift eines Artikels und schüttelte den Kopf. „Also ich wäre schon nach einem halben Tag zu diesem Stümper von Arzt gegangen und hätte ihm mit seinem Bohrer ein Loch in den Kopf gebohrt! Aber gutmütige Omas lassen sich so was nun einmal gefallen!“

Auch die nächste Überschrift entlockte Stefan lediglich ein schwaches Lächeln. „Frau kassierte 21 Jahre von sieben Männern gleichzeitig Unterhalt für ein Kind, dass es gar nicht gab!“

Er grinste. „Wie doof kann man eigentlich sein? Solchen Kerlen kann man wahrscheinlich auch weiß machen, dass man statt einem Kind einen Hund zur Welt gebracht hat. Aber die Frau war clever, es fiel erst auf, als das angebliche Kind nie bei der Uni erschien, wo es angeblich hin ging. Da hatten die Männer schon Geld zur Unterstützung des Studiums gezahlt.....“

Stefan rollte die Zeitung zusammen. „Die schreiben manchmal so einen Mist. Man sollte wirklich nicht alles glauben. Aber diese Alte da oben nimmt das bestimmt für bahre Münze. Genauso wie der Rest der Leute. Aber wenn eine Statue vor ihnen steht, raffen sie nichts. Ich kannte mal eine Frau, die las immer solche Geschichten. Das hat sie alles geglaubt. Aber dass die Dämonenstatue, die bei ihr im Hausflur in der Wand eingearbeitet war, ihre Nachbarn umbrachte, fiel ihr nicht auf.....“

Damals hatte Stefan noch aus einem Pflichtgefühl heraus, das er sich heute nicht mehr erklären konnte, gegen den Dämon gekämpft und ihn schließlich besiegt. Eine Bezahlung hatte er damals noch nicht für seine Tätigkeit als Dämonenjäger in Anspruch genommen.

Er hatte sich zwei Finger im Kampf gegen das Wesen gebrochen, aber keinerlei Dank erfahren. Statt dessen hatte die alte Dame, die eine Zeitschrift mit der Aufschrift „Beziehungs- Aus zwischen ehemaligem Bundespräsident (91) und Ehefrau? Verliebt in Boxenluder (23)?“, in der Hand hielt mit einer Klage wegen Sachbeschädigung gedroht.
„Da habe ich gemacht, dass ich weg komme. Und dann bin ich nach Hause, zu meiner Frau und meiner Kleinen gegangen und habe denen erzählt, ich hätte einen auswärtigen Geschäftstermin gehabt....“

Stefan erinnerte sich noch sehr gut an diesen Vorfall aus dem Jahr 2000.


Stefan betrat die kleine Dreizimmerwohnung und seine Frau hielt die fünf Monate alte Alina auf dem Arm. Offenbar hatte die Kleine ihre nächtliche Mahlzeit verlangt.
Sandra hatte ein Tuch über ihre Schulter gelegt und klopfte dem Kind auf den Rücken.
„Guck mal, Alina. Dein Papa ist da!“, sagte sie und wollte Stefan seine Tochter reichen, aber dieser hielt sich die linke Hand und nun sah sie, dass zwei Finger verbunden waren.

Sandras Gesichtszüge verhärteten sich und sie seufzte. „Was ist denn da schon wieder los? Bist du wieder hingefallen?“

Stefan nickte. „Ja, ich bin auf einem Haufen nasser Blätter ausgerutscht und auf die Hand gefallen. Ich kam gerade von meinem Kundentermin.....“

„Kundentermin? Wie hieß denn der Kunde? Und wo genau war das? Hier in Stuttgart?“, fragte Sandra scheinbar beiläufig, aber Stefan wusste, dass sie in der letzten Zeit heimlich sein Handy nach fremden Telefonnummern durchsuchte. Sie misstraute ihm und er konnte es ihr nicht einmal übel nehmen.
Zu häufig war er in der letzten Zeit auf der Suche nach Dämonenstatuen durch das Land gereist und es würde auch in Zukunft so weiter gehen. In Österreich gab es eine Dämonenstatue, die ein Dorf in Angst und Schrecken versetzte.
Aber sollte er die Dämonen einfach ignorieren? Und sich Vorwürfe machen, wenn jemand ums Leben kam, obwohl er es hätte verhindern können?

„Der Kunde hieß Bayer. Ein älterer Herr mit einem Schäferhund. Und er wollte eine Versicherung abschließen!“, sagte Stefan und fügte hinzu: „Er wohnte nicht in Stuttgart, sondern in Mellberg. Du weißt schon, dieses kleine Dorf. Dahin braucht man etwa eine Stunde mit dem Auto....“

In der Tat hatte Stefan am späten Nachmittag des vorherigen Tages einen Termin bei diesem Kunden gehabt, allerdings war er dort am frühen Abend aufgebrochen und hatte anschließend in einem alten   Stuttgarter Mehrfamilienhaus darauf gewartet, dass der Dämon zum Leben erwachte. 

Eine andere Kundin der Versicherung, für die er im Außendienst tätig war, war dort unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen und ihr Sohn hatte davon berichtet, dass dies nicht das erste Mal war und man in den vergangenen Jahren regelmäßig Bewohner des Hauses tot auf fand.....

„Und anschließend bist du hingefallen und dann wegen deiner Hand ins Krankenhaus gefahren?“, fragte Sandra ungehalten.

Stefan nickte. „Ja, so war es. Ich bin hingefallen und musste lange im Krankenhaus warten....“

„Ich glaube dir kein Wort!“, fuhr Sandra ihn an. „Es ist vier Uhr morgens und der Termin bei diesem Herrn Bayer war gestern Nachmittag um drei! Und du hast deinen Chef gegen fünf angerufen und gesagt, dass du fertig bist und nach Hause fährst! Eine Stunde braucht man ungefähr. Da sind wir bei sechs Uhr. Wo warst du also seit gestern Abend? Und sag mir nicht, du hättest die ganze Nacht in der Notaufnahme gesessen!“

„Du fragst meinen Chef aus, wo ich stecke?“, fragte Stefan ungehalten und deutete auf die kleine Alina, die leise wimmerte.
„Müssen wir uns vor ihr streiten? Ich bring sie ins Bett!“

Sandra schüttelte den Kopf. „Nein, das mache ich schon selber! Du bist sonst ja auch nie da! Wenn du schon fremd gehst, dann solltet du dich wenigstens nicht so blöd anstellen und dir bessere Ausreden einfallen lassen!“

„Ich habe nichts mit anderen Frauen!“, verteidigte Stefan sich und überlegte, seiner Frau die Wahrheit zu sagen. 
Aber würde diese an Dämonenstatuen glauben? Außerdem wusste er aus Erfahrung, dass nichts eine Beziehung so sehr belastete wie das Geständnis, ein Dämonenjäger zu sein. Seine Ex-Freundin hatte damit nicht umgehen können, eine andere ihn für verrückt erklärt. Eine weitere Freundin, die ihm wirklich viel bedeutet hatte, hatte nach der Begegnung mit einer Statue fast den Verstand verloren und dies niemals wirklich verkraften können. Und Sandra würde sicherlich denken, er wolle sich zu allem Übel auch noch über sie lustig machen.

Stefan folgte Sandra ins Kinderzimmer, wo diese die kleine Alina mittlerweile in ihr Gitterbett gelegt hatte.
Sie zog die Spieluhr auf und die Kleine blinzelte ihre Eltern müde an. Stefan strich über ihre Wange, ehe Sandra seine verletzte Hand packe und ihn hinter sich her zog.

„Du kannst bald deine Sachen packen und verschwinden!“, sagte sie und ließ seine Hand los. 
„Hol dir dein Bettzeug. Du kannst den Rest der Nacht auf dem Sofa schlafen. Oder geh doch zu deiner anderen Tussi! Zieh doch direkt zu ihr! Ich mache das nicht mehr mit!“


„Sie hat es wirklich nicht mehr lange mitgemacht. Einen Monat später war es mit uns endgültig zu Ende. Ich hab gegen diesen Dämon in Österreich gekämpft, mich verändert und sie hat sich vorher von mir getrennt, weil sie dachte, ich wäre mit meiner heimlichen Geliebten verreist und hätte dabei einen Unfall gehabt!“, dachte Stefan voller Wut an seine Ex-Frau Sandra und versuchte sich daran zu erinnern, was ihn damals bewogen hatte, gegen Dämonen zu kämpfen. Hatte er wirklich einmal unter einem derartigen Helfersyndrom gelitten, dass er seine Ehe aufs Spiel setzte? Von seinem Leben und seiner Gesundheit ganz zu schweigen? 
"Jonas macht das ja heute noch so. Ich hätte ihm von vornherein mehr Energie verabreichen sollen, dann hätte er diese Illusionen, Kampf für das Gute und so, verloren und die Realität gesehen....“

„Zum Glück hat das jetzt ein Ende. Meine Veränderung hat wenigstens mir die Augen geöffnet,“ dachte Stefan, aber warum fühlte er sich mit einem Mal so unwohl bei dem Gedanken?
„Ich sitze schon zu lange in diesem Keller und bin zu allem Übel auch noch in Michaela verliebt. Das tut mir nicht gut! Trotzdem wäre ich jetzt gerne bei ihr!“.

Sein Magen knurrte, als er endlich Schritte hörte, die die Treppe in den Keller hinunter führten. 

„Nett sein!“, ermahnte Stefan sich und tatsächlich schenkte er der alten Frau Bergbaum ein freundliches Lächeln, das dies allerdings nicht erwiderte.
„Spar dir das! Ich weiß, dass du alles tun würdest, um hier raus zu kommen. Heute ist es ein wenig später geworden, ich wollte ein bisschen länger schlafen. Gestern Abend kam so eine interessante Sendung im Fernsehen. Über eine kleine Stadt in Deutschland. Da sterben Leute vor einer Kirche. Das ist wirklich unheimlich. Ein paar Leute wollen eine Statue gesehen haben, die dafür verantwortlich sei. Aber ein Mann, den eine Reporterin gefragt hat sagte dann, dass es da früher mal eine gegeben hätte....“

„Eine Statue....über einer Kirche?“, fragte Stefan. „Ich dachte, dieser Trottel hätte sich darum gekümmert....“

„Ach, du weißt darüber Bescheid? Nun, das wird wohl ein Dämon sein! Aber irgendwie klingt die Sache anders als gewöhnlich! Du sagtest, man hätte sich schon um das Ding gekümmert?“, fragte die alte Frau neugierig und Stefan nickte. 
„Ja, das hat schon jemand gemacht. Aber die war anders als andere. Das hab ich gesehen, als ich vor ein paar Jahren mal da war. Die hat sich sogar am Tag ganz leicht bewegt und irgendwie ging was unheimliches von ihr aus. Ich hab.....beschlossen, mit dieser Statue besser keinen Streit anzufangen.....“

„Du hast gekniffen!“, stellte die Frau ein wenig spöttisch fest, ehe sie wieder ernst wurde. „Aber wenn sie bereits zerstört wurde und wieder zurück gekehrt ist und du sagst, sie hätte sich sogar am Tag leicht bewegt, dann weiß ich, glaube ich wenigstens, worum es sich handeln könnte!“

„Ja, ich hab auch eine ungefähre Idee!“, sagte Stefan. „Wenn Sie mich hier raus lassen, könnten wir uns vielleicht einmal an einem bequemeren Ort, zum Beispiel ihrem Wohnzimmer, darüber unterhalten.....“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Du versuchst es mit allen Mitteln, was? Jetzt willst du sogar mit mir über diese Statue sprechen und wirst so tun, als würdest du helfen wollen. Wahrscheinlich würdest du mir sogar anbieten, meinen Rasen zu mähen oder die Blätter im Garten zusammen zu kehren. Oder meinen Badewannenabfluss zu reparieren....“

„Äh.....das nicht!“, antwortete Stefan. Zumindest den letzten Punkt hatte er noch nicht in Betracht gezogen. Aber konnte diese verfluchte Frau Gedanken lesen? Oder war er so einfach zu durchschauen?'“

„Vergiss es! Ich gehe jetzt zum Bäcker und bringe dir ein Wurstbrot mit. Damit wirst du heute Morgen auskommen müssen. Ich bin noch zu müde, um dir ein dickes Frühstück zu machen.....und dann werde ich mich mit Bruno treffen und ihm von dieser Statue erzählen. Ja, schade, dass ich schon so alt bin. Sonst würde ich mich vielleicht darum kümmern.......“

Frau Bergbaum hielt sich ihren schmerzenden Rücken und verließ den Raum. „Ja, ja, man müsste noch mal fünfzig Jahre jünger sein! Obwohl ich gegen das Ding wahrscheinlich gar nichts machen könnte! Aber wenn es schon mal von jemandem zerstört wurde, dann müsste derjenige es ja noch mal  können, wenn mich nicht alles täuscht. Da müsste er schon zum Teildämon geworden sein, damit das nicht mehr möglich ist. Und so verrückt, sich selbst auf diese Weise zu verändern, wird er hoffentlich nicht gewesen sein. Und auch sonst würde so was wohl niemand ernsthaft in Betracht ziehen, wenn man die Konsequenzen bedenkt, die das haben könnte!“

Die Frau stieg die Treppe hinauf und Stefan starrte hinter ihr her. „Ich hab nicht nachgedacht.....da wollte ich einmal wirklich helfen und dann kommt so was dabei heraus!“

Dämonische Statuen - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt