Kapitel 27

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Lustlos kaute Stefan an seinem Brötchen herum. „Ich will hier endlich raus! Lange halte ich das nicht mehr aus, und wenn das so weiter geht, dann drehe ich noch durch und fange an, die Frau anzubetteln, mich hier raus zu lassen!“

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, betrat Frau Bergbaum den Kellerraum. Ihr alter Freund Bruno folgte ihr.
„Hast du es hier warm genug? Draußen herrscht ein richtiges Sauwetter!“, erkundigte sich die alte Frau bei Stefan nach dessen Befinden.

„Sei froh, dass du da nicht raus musst!“, stellte Bruno fest. „Das ist wirklich nicht schön. Der Wind pfeift um die Ohren und das ist gar nicht gut für mich. Ich erkälte mich doch so leicht.“

„Ja, ich bin froh, dass man mich in einem Keller angekettet hat. Da gefällt es mir doch gleich viel besser und wenigstens muss ich nicht raus,“ dachte Stefan schlecht gelaunt, verkniff sich den Kommentar aber.
Statt dessen beantwortete er die Frage der alten Frau. „Es ist wirklich ein wenig kalt hier unten. Und ich glaube, ich habe mich ein bisschen erkältet. Hoffentlich kriege ich keine Halsschmerzen oder eine Angina oder so....“

Vielleicht würde sie sich ja um seine Gesundheit Sorgen machen und dies als Anlass sehen, ihn endlich wieder frei zu lassen?

Aber Stefans Rechnung ging nicht auf. „Du bist ein Teildämon! Dein dämonischer Teil verhindert, dass du krank wirst! Also mach mir nichts vor! Du kannst dich gar nicht erkälten!“

Stefan seufzte und gab ein wenig nach. „Sie haben auch an alles gedacht, was?“

„Ja, das habe ich,“ sagte die Frau mit einem Anflug von Stolz. „Ich weiß ganz genau, was ich tue!“
„Wirklich?“, fragten Stefan und Bruno wie aus einem Munde und die Frau wandte sich an ihren alten Jugendfreund. 
„Nun zweifel du nicht an mir, Bruno. Das hast du noch nie getan. Glaubst du vielleicht, ich würde langsam Alterssenil werden? Mein Enkel hat das ja schon behauptet!“

„Nein, so was würde ich nie von dir denken,“ erwiderte Bruno verlegen. „Du bist ganz bestimmt nicht senil!“

„Die sind beide senil und gemeingefährlich,“ dachte Stefan, als die Frau ihn wieder anblickte. „Nun, du fragst dich sicherlich, warum genau du hier bist!“

„Ja, schon die ganze Zeit,“ antwortete Stefan und konnte die Wut in seiner Stimme kaum unterdrücken. 
„Was genau wollen Sie eigentlich von mir? Sie wissen, weswegen ich gesucht werde. Warum rufen Sie also nicht einfach die Polizei und sagen, Sie hätten einen gefährlichen gesuchten Verbrecher überwältigt? Vielleicht gibt das sogar noch eine Belohnung für sie. Dann können Sie einen Handwerker kommen lassen, der Ihren Abfluss repariert!“

„Du glaubst, es geht mir ums Geld? Schrecklich, wenn man diese Einstellung hat! Dass Geld allein glücklich macht....“, murmelte die alte Frau.

Stefan nickte spöttisch. „Ja, Sie haben ganz recht. Geld allein macht noch nicht glücklich. Sondern erst die ganzen Dinge, die man sich dafür kaufen kann!“

„Halt doch einfach deinen Mund, wenn nichts Gescheites da raus kommt!“, forderte Bruno den unfreiwilligen Gast auf.

„So kommen wir nicht weiter! Wir sollten jetzt wirklich allmählich einmal zur Sache kommen. Und ich bin mir sicher, dass ich von unserem Gast eine ablehnende Antwort auf meine Bitte bekommen werde. Oder aber er wird zum Schein zustimmen und dann fliehen! Beides wäre schlimm für mich, denn ich brauche wirklich Hilfe!“, sagte Frau Bergbaum auf einmal ernst und klappte einen der Stühle auf, die an eine Wand gelehnt da standen.

Sie nahm Platz und schenkte Stefan ein bedauerndes Lächeln. „Glaub mir, ich würde auch lieber oben in meinem gemütlichen Wohnzimmer mit dir sprechen und uns allen eine Tasse Kaffee machen. Oder ich würde noch viel lieber mit einem guten Menschen sprechen, statt mit jemandem, der sich bereits alles kaputt gemacht hat, was man nur kaputt machen kann!“

„Genau, das hat er!“, warf Bruno ein und Stefan verdrehte die Augen. „Das können Sie überhaupt nicht beurteilen! Sie wissen nichts über mich und mein bisheriges Leben. Oder nur das, was sie aus dem Fernsehen gehört haben. Nun, einiges stimmt nicht. Ich habe diese Monika nicht umgebracht. Jedenfalls nicht direkt.....“

„Nicht? Lügner! Steht doch wenigstens dazu! Marita, ich mag mir jetzt keine Lügengeschichten anhören!“, sagte Bruno schlecht gelaunt.

Aber Marita Bergbaum achtete nicht auf ihren Jugendfreund. Statt dessen sah sie Stefan ernst an. „Das, was ich von dir weiß, genügt doch schon. Du kannst nicht mehr zu deiner Familie und deinen nicht vorhandenen Freunden zurück kehren. Du hast dich in die Situation gebracht, einen gefälschten Ausweis zu benutzen und du bist mitverantwortlich für den Tod einer jungen Frau. Du bist ein Teildämon und es ist dir im Grunde genommen gleichgültig, ob ein Dämon Menschen tötet oder nicht. Selbst wenn der Rest in Ordnung wäre, ist deine bisherige Lebensgeschichte kein Grund, stolz darauf zu sein!“

Stefan sah sie einen Augenblick nachdenklich an, antwortete aber nicht auf diese Feststellung. Er wollte endlich zum Punkt kommen. „Was wollen Sie denn nun von mir?“

„Da muss ich ein wenig weiter ausholen!“, sagte Marita Bergbaum und Stefan hätte sie am liebsten angeschrien, ihn mit ihren Geschichten zu verschonen.

„Ein bisschen Geduld ist angebracht! Wir sind alt und haben viel weniger Zeit als du!“, sagte Bruno streng und hustete. „Hier unten ist es wirklich ein wenig kühl.“
„Hoffentlich holt er sich eine Lungenentzündung,“ dachte Stefan mit einem Anflug von Schadenfreude.

„Ich habe bereits erwähnt, dass es bei uns in der Familie schon häufiger Dämonenjäger gab?“, erkundigte sich Frau Bergbaum und begann damit ihre Erzählung. 
„Das hat bei uns fast schon Familientradition und fing im Mittelalter an. Meine Vorfahren, Erik und Anna Maria, kamen hierher. Ursprünglich stammten sie aus Deutschland, so erzählt man sich innerhalb der Familie. Sie brachten ihr erstes Kind, einen kleinen Sohn, mit und ließen sich hier nieder.“

„Ja, sehr schön,“ dachte Stefan. „Und meine Vorfahren werden auch irgendwo her gekommen sein. Das ist mir doch gleichgültig,“
Aber dann erkundigte er sich: „Waren die beiden Dämonenjäger oder etwas in der Art!“

„Er kann ja denken!“, stichelte Bruno und hustete erneut. Mitleidig klopfte Frau Bergbaum ihm auf den Rücken. „Armer Bruno!“

Dann fuhr sie mit ihrer Geschichte fort. „Sie waren in der Tat Dämonenjäger. Erik besaß ein Schwert und Anna Maria benutzte Pfeil und Bogen. Eine sehr ungewöhnliche Waffe für Dämonenjäger, aber sehr effektiv, erzählte man sich jedenfalls.Ich kam nie damit zurecht.
Anna Maria machte die Dämonen mit ihrem Bogen aus sicherer Entfernung unschädlich, es handelte sich um entsprechende, geeignete Pfeile, und dann ging Erik hin und enthauptete die Dämonen....“

„Ja, ich habe schon immer bedauert, dass wir da nicht ein wenig mit der Zeit gehen. Eine Maschinenpistole, die für Dämonen geeignete Patronen abfeuert wäre doch ideal,“ stellte Stefan fest und diesen Gedanken hatte er tatsächlich schon so manches Mal gehabt.

„Dämonen gehen nun einmal nicht unbedingt mit der Zeit,“ seufzte Marita Bergbaum und Bruno nickte. 
„Ja, so wie dein dummer Mann. Der wollte nicht einmal, dass du arbeiten gehst oder Auto fährst. Und Dämonen hast du dann auch nicht mehr gejagt!“

Marita schien ein wenig beleidigt zu sein. „Sprich nicht so über meinen lieben Mann. Er war nicht perfekt. Aber ich mochte ihn!“

„Leider!“, murmelte Bruno schlecht gelaunt und Stefan lachte kurz auf, als ihm etwas klar wurde....
„Er ist verrückt nach ihr. Und das in dem Alter!“

„Kann ich jetzt weiter erzählen? Das ist wichtig!“, bat Marita Bergbaum und Stefan nickte. Allmählich begann ihn die Geschichte ein wenig zu interessieren.„Dieser Erik und seine Anna Maria kamen also nach hier?“

„Ja, sie kamen hierher und ließen sich in der Gegend nieder. Aus ihrer alten Umgebung mussten sie fliehen, da sie die Wut eines Geistlichen auf sich gezogen hatten. So will es jedenfalls die Familienlegende. Eine gemeinsame Freundin der beiden, ebenfalls eine Dämonenjägerin, die zur Teildämonin wurde, war ihm bereits zum Opfer gefallen. Oder war es ein böser Graf, der für ihren Tod verantwortlich war? Oder beide? So genau lässt sich das nicht mehr sagen und spielt eigentlich auch keine Rolle. Aber meine Vorfahren brachten ihre Waffen und ein Buch, in dem einiges über Dämonen steht, mit. Und sie bekämpften auch in der Gegend einen Dämon, das geschah kurz nach ihrer Ankunft. Die Leute waren ihnen dankbar und sie ließen sich in ihrer Mitte nieder und zogen ihren Sohn und drei weitere Kinder auf. Und eines dieser Kinder bekämpfte später ebenfalls Dämonen. Die anderen Kinder führten ein gewöhnliches Leben, aber ab da an gab es in der Familie immer wieder Dämonenjäger, die von älteren Verwandten unterrichtet wurden. Ich selbst erhielt von meiner Tante Unterricht und bis zu meiner Hochzeit habe ich, auch mit Brunos Hilfe, Dämonen bekämpft. Mit Eriks Schwert übrigens.“

Marita Bergbaum nieste. „Es ist wirklich nicht so schön hier unten!“

„Und dann haben Sie sich zur Ruhe gesetzt. Weil ihr Mann nicht wollte, dass sie Dämonen jagten,“ beendete Stefan die Geschichte.

Frau Bergbaum schüttelte den Kopf. „Er wusste es ja nicht. Aber er hätte natürlich Fragen gestellt, wenn ich mitten in der Nacht, noch dazu mit Bruno, aus dem Haus gegangen wäre. Er war sehr eifersüchtig und wollte ja auch nicht, dass ich einer Arbeit nachgehe. Er war halt der Ansicht, dass eine Frau ins Haus gehören würde. Und dann kamen auch meine beiden Kinder zur Welt. Die Anna und die Maria. Ich hab sie nach ihrer Vorfahrin benannt. Aber den beiden habe ich nichts von den Dämonen erzählt.“

„Und jetzt gibt es niemanden mehr, der die Familientradition fort führt?“, erkundigte sich Stefan. 

Die alte Frau sah ihn bedrückt an. „So ist es. Es gibt jetzt wirklich niemanden mehr. Meine Tante hatte keine eigenen Kinder und meine beiden Onkel hatten von nichts eine Ahnung. Die führten ein normales Leben. Inzwischen sind die längst tot und sie hatten ebenfalls keine Nachfahren. Der eine mochte nur Dackel und konnte mit Kindern nichts anfangen.....“

„Ja, einer der Dackel hat mich mal gebissen, als ich mit Blumen vor der Tür....aber egal...,“ klagte Bruno und fast hätte Stefan gegrinst.

„Ich habe meine Töchter nicht in unser Familiengeheimnis eingeweiht. Sie sind mittlerweile Ende vierzig und ziemlich unsportlich. Das waren sie schon immer. Auf jeden Fall wären sie keine geeigneten Dämonenjägerinnen. Die Maria hat keine Kinder und die Anna zwei Söhne, den Paul und den David. Aber der Paul ist nun Mitte zwanzig und interessiert sich nur für Computer. Außerdem studiert er Chemie und da will ich ihn nicht mit solchen Dingen belasten. Nicht, dass er noch sein Studium abbrechen muss. Dem David habe ich die Geschichte mal erzählt, aber er hat es mir nicht geglaubt und seitdem besucht er mich kaum noch. Er hat zu meiner Anna gesagt, dass seine Oma senil sei! So eine Frechheit aber auch!“, fuhr Frau Bergbaum fort und schüttelte bedauernd den Kopf. 
„Das war mein Fehler. Vielleicht hätte ich meine Töchter beizeiten auf eine Aufgabe als Dämonenjägerinnen vorbereiten sollen. Aber ich hab meine Mädchen halt sehr lieb und will nicht, dass sie in Gefahr geraten. Mit meinen beiden Enkeln ist es eigentlich das gleiche. Die sollen auch ein normales Leben führen können.“

„Und jetzt braucht sie jemanden, der das Familienerbe in ihrem Sinne fort führt! Und dazu braucht sie dich, du....Dämonending!“, polterte Bruno los. „Du wirst es niemals in ihrem Sinne machen!“

„Das fürchte ich auch,“ seufzte Marita und legte ihre Hand auf Brunos Arm. „Beruhige dich. Ich hoffe, dass er uns helfen wird. Jemand muss etwas gegen die Dämonen unternehmen, so wie es in unserer Familie immer üblich war! Und für ihn ist es vielleicht eine Gelegenheit, etwas an seinem Leben zu ändern!“

Stefan nickte. Er dachte nicht daran, der Frau zu helfen. Aber so kam er vielleicht aus dem Keller raus....
„Natürlich werde ich das machen! Auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben. Sicherlich, bislang habe ich einiges falsch gemacht, aber vielleicht....“

„Du meinst das ganz sicher nicht ehrlich,“ unterbrach Frau Bergbaum ihren unfreiwilligen Gast. „Es gibt momentan einen Dämon, im Nachbarort. Dieser macht einer Familie dort das Leben schwer und sie wagen es kaum, etwas zu sagen. Alle zwanzig Jahre tötet er ein Familienmitglied. Dann allerdings auf schreckliche Art und Weise....“

„Und darum soll ich mich jetzt kümmern?“, erkundigte sich Stefan. „Nun, das kann ich nicht, wenn ich in diesem Keller hocke!“

Dämonische Statuen - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt