Kapitel 70

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Nur widerwillig hatte Michaela Stefan, nachdem er dieses Mal ordnungsgemäß an ihrer Wohnungstür geklingelt hatte, herein gelassen.

Nun saß sie, so weit weg wie möglich entfernt von ihm, auf dem Sofa, während die Februarsonne hell ins Fenster schien.
Zumindest das Wetter hatte sich seit dem gestrigen Mittag geändert, es hatte aufgehört zu schneien und Tauwetter hatte eingesetzt. Eine ältere Nachbarin hatte am Morgen, als sie sie im Treppenhaus traf, glücklich verkündet, dass der Winter nun wohl hoffentlich endlich vorbei sei.

Doch all dies bedeutete Michaela nichts. Warum hatte Stefan noch einmal zu ihr kommen müssen? Warum hatte er nicht direkt zur nächsten Polizeiwache gehen können? Sie wollte ihn nicht mehr sehen und es gefiel ihr nicht, wie er ihren Bauch ansah. Sie wollte auch nicht, dass er etwas mit ihrem Kind zu schaffen hatte....

„Ich werde jetzt die Polizei anrufen! Vielleicht rechnen sie es dir ja noch irgendwie an, wenn du dich freiwillig stellst!“, sagte Michaela und griff zu ihrem Handy.

Sie rechnete fast damit, dass Stefan es ihr aus der Hand schlagen würde, aber er tat nichts dergleichen, sondern nickte und saß ruhig da.

Während Michaela mit einer Polizeibeamtin telefonierte und dieser mitteilte, dass sich der vermeintliche Mörder ihrer Schwester in ihrer Wohnung aufhalten würde, blickte Stefan aus dem Fenster.
„Sicherlich werden sie in Raichelbach eine dicke Siegesparty machen, wenn die nicht schon gestern Abend stattfand,“ dachte er und sah, dass auf dem Sofa keine Babysachen mehr lagen. Offenbar hatte Michaela alles bereits fort geräumt.

Eine Idee kam ihm. Hatte Jonas sich nicht einmal Gedanken gemacht, was nach dem Tod aus Teildämonen wie ihm werden würde? Vielleicht kehrten sie ja als kleine Kinder zurück, die so waren wie das, was Michaela und er in die Welt setzen würden? Kleine Kinder, die nun einmal ein  wenig anders als andere Kinder waren. Nicht besser oder schlechter. Vielleicht ein wenig lebhafter und reizbarer, weniger anfälliger für alle möglichen Krankheiten. Sicherlich würden diese Kinder eine gewisse Unterstützung brauchen, um mit ihrem dämonischen Teil fertig zu werden. Ja, sie würden ein wenig anders sein. Aber nicht schlechter....

Stefan dachte auch an sein Schwert. Er hatte es in dem baufälligen Haus in der Nähe von Stuttgart versteckt. In dem Haus, in dessen Nähe er sich vor einigen Monaten mit Jonas einen Übungskampf geliefert hatte....
„Ich hätte es auch Jonas geben können. Aber die Polizei soll es nicht beschlagnahmen. Vielleicht kann ich ja doch mal jemand sagen, wo es ist.....in einem Safe bei der Polizei verschimmelt es nur....“

Michaela hatte das Telefonat beendet und sie war erleichtert, dass die Polizei bald da sein würde. Dann würde dieser Alptraum für sie hoffentlich endgültig ein Ende haben. Aber sie musste noch eine Möglichkeit finden, endgültig alle Brücken zu Stefan abzubrechen. Sie wollte nicht, dass er sie aus dem Gefängnis anrief, falls dies möglich war. Sie wollte auch keine Briefe von ihm haben oder am Ende noch erleben, dass er sich als Vater ihres Kindes aufspielte. Außerdem würde er wahrscheinlich nicht für immer im Gefängnis bleiben. Es war noch fraglich, ob er wegen Mordes oder wegen Totschlags verurteilt oder am Ende aus Mangel an Beweisen gar freigesprochen werden würde.
Am Ende würde das Gericht zu dem Schluss kommen, dass es sich doch um einen Unfall gehandelt habe, oder aber Stefan würde aufgrund seiner wirren Dämonengeschichte als nicht schuldfähig gelten und in einer Psychiatrie statt einem Gefängnis enden.

Trotzdem, für immer und ewig, bis zum Ende seines Lebens, würde er sicherlich nicht irgendwo eingesperrt bleiben....

Daher hatte sie sich eine Lüge ausgedacht, von der sie hoffte, Stefan für immer von sich und ihrem Baby fern halten zu können. Sicherlich würde er nicht mehr bei ihr auftauchen, wenn es keinen wirklichen Grund mehr dafür gab......

„Ich....kann das Kind nicht groß ziehen, Stefan. Ich werde es bekommen, aber ich hab mich schon ans Jugendamt gewandt....ich werde das Baby zur Adoption frei geben! Er soll in normalen Umständen, bei einer normalen Familie aufwachsen, mit Eltern und Großeltern, die unbefangen mit ihm umgehen können!“, sagte Michaela und sie bemerkte, nicht ohne Genugtuung, dass sie ihrem Ex-Freund damit einen wirklichen Schlag versetzte.

„Das...kannst du nicht machen! Du kannst das Kind nicht einfach weg geben!“, widersprach Stefan und seine Stimme klang sehr kraftlos.
Hatte nicht diese Frau ihm in der Schweiz prophezeit, dass er sein Kind niemals in den Armen halten würde?

Dies schien also wahrhaft einzutreffen. Er würde es wahrscheinlich nicht einmal zu Gesicht bekommen....
„Jetzt fehlt nur noch das schreckliche Ende, das ich erleiden werde. Dann ist alles eingetroffen,“ dachte Stefan und sah seine Ex-Freundin fast schon verzweifelt an. „Gib es nicht weg....“

Sie zuckte die Achseln und stand auf. „So ist es am Besten! Ich will mich nicht mein Leben lang an dich erinnern. Das würde ich, wenn das Kind bei mir bleibt....so kann ich mir ein neues Leben aufbauen. Vielleicht irgendwann einen neuen Partner finden, Kinder kriegen...Kinder, denen ich unbefangen gegenüber treten kann....“

Diese Worte taten ihr weh. Niemals würde sie ihren kleinen Sohn, der Fabian heißen würde, weg geben. Wie um ihre Gedanken zu bestätigen spürte sie einen kräftigen Tritt an ihren Rippen. Dies war die Lieblingstretstelle des Kleinen....

Sie wandte sich ab, als sie ein kurzes Lächeln nicht unterdrücken konnte. In drei Monaten, im Mai, würde ihr Kind zur Welt kommen und bereits jetzt wollte es sie offenbar wissen lassen, dass es eine große Rolle in ihrem Leben spielen würde!

„Ich werde es weg geben! Und du wirst niemals erfahren, wo das Kind ist! Ich mache keine offene Adoption. Das Kind soll erst, wenn es volljährig ist, Nachforschungen anstellen können. Und dann werde ich ihm nicht sagen, wer sein Vater ist. Ich werde behaupten, es wäre ein One-Night-Stand mit einem Unbekannten gewesen, sollte er überhaupt Interesse haben, seine leiblichen Eltern kennen zu lernen! Diese Version mit der flüchtigen Bekanntschaft hab ich auch dem Jugendamt erzählt. Die halten mich für ein ziemliches Flittchen. Aber das spielt keine Rolle...besser, als die Wahrheit. Besser nur ein Flittchen als Mutter als den Mörder der Tante als Vater!,“ sagte Michaela, als es an der Tür klingelt. „Ich werde aufmachen! Ich hoffe, du machst keinen Ärger!“

Ein wenig fürchtete Michaela sich. Was war, wenn die Ankündigung, das Kind zu Adoptiveltern zu geben, zu viel für ihn gewesen war und einen Wutanfall verursachen würde? Was war, wenn seine Trauer in Wut um schlug?

Sie hoffte, dass dem nicht so war und dass er sich keinen Kampf mit der Polizei liefern würde....

„Es tut ihm gut, wenn er auch erfährt, wie es ist, etwas für immer zu verlieren! Meine Eltern haben auch ihr Kind verloren, und ich meine Schwester! Da geschieht es ihm recht, dass er mit dem Wissen weiter lebt, sein Baby nie zu sehen! Und ich werde längerfristig gesehen von hier fort ziehen, mich an eine andere Stelle versetzen lassen....“, dachte Michaela, als sie die Tür öffnete und vier Beamte die Wohnung betraten.

„Vorsicht, der Kerl ist gefährlich! Der hat einem Kollegen die Nase gebrochen!“, warnte der erste Polizist.
Stefan stand auf, als die Beamten das Wohnzimmer betraten und sie ihm mitteilten, dass er verhaftet sei.....

Michaela hingegen beobachtete ein wenig später vom Balkon aus, wie Stefan in den Polizeiwagen verfrachtet wurde. Sie strich über ihren Bauch. „Den Kerl sind wir hoffentlich für immer los, Fabian!“

Dämonische Statuen - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt