Die erste Trainingstunde lief für Gerrit alles andere als sanft ab. Mehr als einmal war er dankbar, dass auf der nahen Waldlichtung, die sich sich ausgesucht hatten, um ungestört zu trainieren, der Boden mit lockerem Schnee bedeckt war.
Jonas schämte sich fast ein wenig dafür, derart unsanft mit seinem Schüler umgehen zu müssen, aber Gerrit erwies sich trotz diverser Rückschläge als sehr eifrig. Trotzdem spürte Jonas einen gewissen Skrupel, als Gerrit erneut nach einem nicht einmal allzu heftigen Schlag mit dem Schwert zu Boden ging.
„Die Statue wird noch viel unsanfter als ich sein....,“ dachte Jonas und half seinem Schüler beim Aufstehen. „Geht es noch?“
„Ja, lass uns weiter machen,“ japste Gerrit und stand umständlich auf.
Sie setzten ihr aus leichten Übungen bestehendes Training fort
Erst als Gerrit sich seine Hüfte hielt, die er sich bei einem seiner Stürze an einem Baumstumpf gestoßen hatte, brach Jonas das Training ab. „Das war gar nicht mal so schlecht. Du hältst das Schwert jetzt wenigstens richtig. Zumindest ein bisschen....Und....eventuell hättest du sogar gegen einen Angreifer eine Chance....“
„Ja, gegen einen unbewaffneten Neunzigjährigen, der mit einer Gehilfe auf mich zu kommt. Aber da müsste ich mich wahrscheinlich auch noch in Acht nehmen, dass er sie mir, wenn ich ihn mit dem Schwert angreife, nicht über die Füße rollt!“, stellte Gerrit mit einem zaghaften Grinsen fest und rieb sich weiterhin seine Hüfte.
„Reib dir das zu Hause ein, dann tut es nicht mehr ganz so weh. Und so kommst du vielleicht um einen Bluterguss herum. Und...tut mir leid!“ riet Jonas seinem Schüler.
„Es muss ja sein,“ antwortete Gerrit so tapfer wie möglich und humpelte hinter Jonas zum Wagen. „Der alte Kerl wäre wahrscheinlich viel schlimmer gewesen und hätte sich nicht einmal entschuldigt....“
Im Gasthof angekommen schlich Gerrit sich in sein Zimmer, um seine blauen Flecken zu behandeln.
„Musst du so grob sein?“, schimpfte Frau Huber, als Gerrit am Abend an den Tisch humpelte, um mit den anderen zu essen. Vorwurfsvoll sah sie Jonas an. „Er ist doch keine von deinen Statuen....sei ein wenig vorsichtiger!“
„Ist schon gut....,“ wehrte Gerrit ab. „Ich hab mich auch dumm angestellt. Ich bin über eine Wurzel gefallen....und nur so lerne ich es ja!“
„Ein Traumschüler!“, dachte Jonas, der sich unter Frau Hubers vorwurfsvollen Augen sehr mies fühlte.
„Ich wollte das ja auch nicht. Gerrit wollte sogar noch weiter üben....aber wir machen wirklich erst mal einen Tag Pause.....ich meine, wenn er sich einen Arm bricht oder so, dann ist ja auch keinem geholfen!“
„Arm brechen? Jonas, so geht das nicht!“, sagte Frau Huber noch immer mit strenger Stimme, ehe sie Gerrit einen Teller hin schob. „Hier, ich hab dir ein Stück von deinem Lieblingskuchen besorgt!“
„Danke!“, freute sich Gerrit, während Frau Huber Jonas böse ansah. „Für dich hab ich nichts...du verdienst keinen Kuchen.....“
„Doch, er hat nichts gemacht, was falsch gewesen wäre!“, sagte Gerrit und zerteilte sein Kuchenstück in zwei Teile. Eins davon reichte er Jonas.
Auch in den nächsten Tagen setzten Jonas und Gerrit ihr Training fort und schließlich stand Weihnachten vor der Tür.
Am Tag zuvor schleppten Lucas und Dennis einen Weihnachtsbaum in Frau Hubers Wohnzimmer, denn dort wollten sie den Feiertag verbringen. Die Kinder der Gastwirtin hatten leider an den Festtagen andere Pläne, aber glücklicherweise würde sie ja nicht allein bleiben.
Schweigend beobachtete Sebastian am Nachmittag des 24. Dezember die Weihnachtsvorbereitungen. Er fühlte sich in der Gegenwart der anderen noch immer alles andere als wohl in seiner Haut. Zu viel hatte er durch das Zurück halten der gemachten Fotos seiner Ansicht nach angerichtet. Und auch gegenüber Gerrit plagte ihn das schlechte Gewissen. Dieser verhielt sich ihm gegenüber zurück haltend und schien nicht zu wissen, was er von ihm halten sollte.
„Kann ich irgendwie verstehen....was ihn angeht hab ich auch Mist gebaut!“, dachte Sebastian bedrückt.
Zumindest die Heilung seines Arms machte Fortschritte und er hoffte darauf, so bald wie möglich seinen Gips los zu werden.
Beim Gedanken an das bevorstehende Weinhachtsessen in Frau Hubers Wohnung fühlte er sich nicht wohl und er war sich nicht sicher, ob er wirklich dazu gehörte.
Er dachte an das Telefonat mit seinen Eltern, das er kurz zuvor beendet hatten. Sie machten sich noch immer Sorgen um ihn, aber seine mehr oder weniger regelmäßigen Anrufe hatten sie ein wenig beruhigen können.
„Wenigstens glauben sie jetzt nicht mehr, dass ich tot bin. Aber ich sag ihnen vorerst besser nicht, wo ich bin!“
Lucas hingegen beobachtete Jonas und Gerrit, als sie von ihrem fast täglich stattfindenden Training zurück kehrten. Dieses Mal humpelte Gerrit nicht und Jonas machte einen recht zufriedenen Eindruck.
Lucas spürte einen kleinen Stich der Eifersucht in sich aufsteigen. „Seitdem sie erfahren haben, dass sie in einem früheren Leben miteinander verwandt waren...benehmen sie sich auch so. Kommt mir jedenfalls so vor....“
„Alles in Ordnung, Lucas?“, hörte der Sechzehnjährige die Frage seines Vaters, der zu ihm ans Fenster trag. „Sie sind also auch wieder da. Sehr gut. Und Dennis und Britta kommen bestimmt auch bald von ihrem Spaziergang mit der Kleinen zurück.....“
„Ja.....,“ sagte Lucas leise und drehte sich zu seinem Vater um. „Das ist das erste Weihnachten ohne....Mama!“
Georg nickte und drückte seinen jüngsten Sohn an sich. „Ich weiß....es wäre schön, wenn sie auch hier wäre....“
„Hat sie dir eigentlich mal was bedeutet? Oder war sie nur eine Affäre für dich?“, erkundigte sich Lucas mit einem Mal. Diese Frage hatte er sich bereits mehr als einmal gestellt.
Georg dachte einen Augenblick nach und schien um eine ehrliche Antwort bemüht zu sein. „Nein, war sie nicht nur. Ich hab sie gerne gehabt. Sie war witzig und man konnte sich gut mit ihr unterhalten. Wir sind auf einem Betriebsfest näher zusammen gekommen. Vorher kannten wir uns nur vom Sehen her. Bei der Feier saß sie neben mir, ich hatte mich an dem Tag gerade erst über einen Anruf von Hedwig geärgert. Sie hatte sich über Jonas beschwert, der sich im Kindergarten geweigert hatte, sein Butterbrot zu essen, nachdem es in den Sand gefallen war und darüber hatte eine der Erzieherinnen sich aufgeregt....ich meinte, ich hätte das Brot auch nicht mehr gegessen und sie warf mir vor, ich würde sie nicht in der Erziehung unterstützen. Jonas dürfe nicht immer negativ auffallen, da das auf sie zurück fallen würde....“
„Also war sie damals schon so wie heute,“ stellte Lucas fest. „Und dann hast du bei der Feier neben meiner Mutter gesessen?“
Georg nickte. „Ja, das war eine dieser vorgezogenen Weihnachtsfeiern, Ende November 1991. Sie war damals gerade zwanzig Jahre alt und hatte vor kurzem erst ihre Ausbildung beendet. Ich war bereits Mitte dreißig und eigentlich wäre sie zu jung für mich gewesen. Aber sie hielt mich wohl für ein wenig jünger....und dann haben wir uns den ganzen Abend über wirklich sehr nett unterhalten und Witze über alles mögliche gemacht. Mit ihr konnte man sehr gut lachen und ich hab sie dann anschließend mit dem Taxi nach Hause begleitet, ich selbst bin dann weiter gefahren.....“
Lucas'Vater schüttelte lächelnd den Kopf. „Am nächsten Tag war es ihr ein wenig peinlich, dass wir uns gegenseitig das „Du“ angeboten haben, aber ich bestand dann darauf, dass wir dabei bleiben sollten. Und dann hab ich sie spontan für den Abend zum Essen eingeladen. Ich wollte noch mal so ein paar schöne, entspannte Stunden verbringen. Das haben wir auch und da sind wir uns wirklich näher gekommen. Ihre Mutter war damals für ein paar Tage verreist und ich bin über Nacht geblieben....“
„Also war sie dir wirklich nicht nur gleichgültig?“, hackte Lucas nach. „Wärst du mit ihr zusammen geblieben, wenn es Hedwig und Jonas nicht gegeben hätte?“
Georg nickte zustimmend. „Vielleicht wäre ich das wirklich. Aber....auch so hätte ich sie nicht einfach so im Stich lassen dürfen....“
Sie saßen alle um Frau Hubers reich gedeckten Esstisch herum und genossen das gute Weihnachtsessen, lediglich Anna-Lena verschlief das Ereignis.
Ihre Mutter hielt sie auf dem Arm und ging mit ihr im Raum herum. „Jetzt siehst du den schönen Baum gar nicht,“ sagte Britta leise zu ihrer kleinen Tochter und schenkte Dennis ein Lächeln. „Ich lege sie gleich hin. Aber nächstes Jahr werden wir schon auf sie aufpassen müssen, damit sie den Baum nicht umreißt.“
Auch Gerrit blickte lächelnd auf die Kleine und machte sich daran, ein paar Teller ab zu räumen. Zu seiner Überraschung stand Sebastian auf und half ihm dabei.
„Ich....mach das schon. Ich kann die auch mit einem Arm tragen.....“
Gemeinsam verließen sie den Raum und räumten die Teller in der Küche kurz darauf in die Spülmaschine.
„Tut mir leid....,“ stammelte Sebastian mit einem Mal und Gerrit schüttelte verwundert den Kopf. „Dass du die Teller nicht in die Spülmaschine räumen kannst? Aber das geht nun mal nicht so gut mit nur einem Arm....macht doch nichts....“
„Nein, das meine ich nicht. Ich meine....ich war wirklich ekelhaft zu dir. Ich hab auf dich geschossen und wollte dich tatsächlich....na ja...,“ sagte Sebastian und Gerrit nickte. „Du wolltest mich also tatsächlich umbringen und hast einfach nicht getroffen....weil du mich für irgend ein Ding gehalten hast, das man ruhig töten kann....“
Leider musste Sebastian dies eingestehen. „Ja, so war es wirklich. Ich....wollte den Direktor auf diese Weise ausschalten. Aber es war nicht richtig. Ich hätte mir, so wie Jonas und die anderen auch, einen anderen Weg suchen müssen. Es war ja anders möglich....ich weiß, dass du mir das noch immer übel nimmst und bin im nach hinein froh, dass ich nicht wirklich getroffen habe.“
„Hast du. Ich hab eine kleine Narbe,“ stellte Gerrit fest, der es Sebastian nicht zu leicht machen wollte, auch wenn er bis zu einem gewissen Grad dessen damalige Beweggründe nachvollziehen konnte. Damals hatte er selbst sein Leben auch als wertlos erachtet und es hätte ihm aus damaliger Sicht wahrscheinlich nicht einmal allzu viel ausgemacht, hätte Sebastian Erfolg gehabt....“
Sebastian nickte unbehaglich und reichte Gerrit einen weiteren Teller, den dieser einräumte. „Ich wollte mich wenigstens einmal entschuldigen....ich verstehe schon, wenn du nicht so viel mit mir zu tun haben willst.....aber ich wollte, dass du es wenigstens weißt....“
„Es ist gut, dass du es gesagt hast,“ antwortete Gerrit leise. „Es ist gar nicht mal so unwichtig für mich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die ganze Sache ja noch nicht vorbei ist....wenigstens brauche ich darüber nicht mehr nach zu grübeln.“
Am Abend, die anderen lagen bereits im Bett, standen Jonas und Julia noch vor der Tür der Gaststube. Der Schnee fiel leise zur Erde und es war bitterkalt.
Trotzdem hatte diese Winternacht dieses Mal eine aufheiternde Wirkung auf Julia. „Genau so stellt man sich eigentlich Weihnachten vor,“ sagte sie, als Jonas einen Arm um sie legte. „Und so schöne Momente gibt es nicht oft.....“
„Wir werden sie uns schaffen. Es kommt noch einiges auf uns zu. Aber wer weiß, vielleicht stehen wir nächstes Jahr auch in so einer Landschaft und wir sehen uns verwundert an und stellen fest, dass wir seit Monaten keinen Dämon mehr gesehen haben und ein ganz normales Leben führen.....“, antwortete Jonas und die Vorstellung gefiel ihm.
„Ja, das wäre schön!“, antwortete Julia lächelnd.
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Dämonische Statuen - Teil II
Mystery / ThrillerDieses Buch ist der zweite Teil von "Dämonische Statuen". Aufgrund der Länge habe ich die Geschichte in zwei Bände aufgeteilt. Erneut geschieht Unheimliches, die Dämonen sind nicht wirklich verschwunden...