Ein leichter Schneefall setzte ein, während Lucas durch Raichelbach schlenderte. Noch immer nagte der Streit mit seinem Bruder an ihm. Aber war das denn allein seine Schuld? Seit Wochen schleppte er dieses miese Gefühl, dass seine Probleme nichts wert seien, mit sich herum.
Gleichzeitig hatte er sich dafür geschämt. Waren seine Schwierigkeiten nicht winzig klein im Vergleich mit allem anderen?
Er ärgerte sich über sich selber. Kämpften sein Bruder und Gerrit nicht gerade gegen einen Höllendämon? Sein Verstand sagte ihm, dass sein Verhalten kindisch und überflüssig war. Aber trotzdem fühlte er sich schlecht und wusste nicht, wie er es ändern sollte.
Das Gefühl, für seine Verwandten nicht wirklich wichtig zu sein, tat weh. Noch immer hing sein Vater an seiner Frau Hedwig, dessen war Lucas sich sicher.
Auf der einen Seite war es nach der langen Zeit, in der sie eine mehr oder weniger erträgliche Ehe geführt hatten, verständlich. Dies ließ sich nicht einfach aus Georgs Leben streichen. Aber wo stand er denn in Georgs Rangliste?
Er wusste, dass sein Vater Rücksicht auf ihn nahm und einen großen Schritt auf ihn zu gemacht hatte, als er sich dafür entschied, mit ihm zusammen zu leben und die Scheidung einzureichen....
„Aber sie....stehen nicht wirklich zu mir!“, dachte Lucas unglücklich und setzte sich auf eine verschneite Bank.
Dass seine Hose nass und kalt wurde kümmerte ihn nicht sonderlich, als er sich an jene Nacht erinnerte, in der er nacheinander ein Opfer von Stefan sowie Hedwig geworden war. Vielleicht hatte Jonas dies Stefan bereits verziehen, aus welchen Gründen auch immer.
Lucas wusste, dass er dies nicht tun würde, für Hedwig, die er in Gedanken mit diversen, nicht allzu freundlichen Schimpfnamen bedachte, galt dasselbe.
Lucas wusste nicht, wie lange er bereits auf der Bank gesessen hatte, als er seinen Bruder auf sich zu kommen sah. Plage Jonas doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen?
Seufzend stand der Jüngere auf, als sein Bruder neben der Bank stehen blieb und ihn musterte. „Was willst du?“
„Ich wollte noch mal mit dir reden. Und ich davon abhalten, einen nassen Hintern zu bekommen!“, sagte Jonas und deutete auf Lucas nasse Hose.
Lucas zuckte die Achseln. „Das macht mir nichts...ist nur ein bisschen Schnee. Auch wenn es saukalt ist...“
Jonas ging nicht weiter auf die nasse Kleidung seines Bruders ein. Es gab Wichtigeres zu besprechen.
„Du glaubst ernsthaft, dass du uns gleichgültig bist? Damit tust du uns unrecht!“, sagte er, während Lucas aufstand und sich den Schnee von der Kleidung klopfte.
„Ich bin mir nicht so sicher.....gleichgültig sicherlich nicht. Und ich verstehe auch, dass ihr alle noch zu Hedwig steht. Das ist es nicht. Aber.....trotzdem fühlt es sich schlecht an. Verstehst du, was ich meine?“, erkundigte sich Lucas und machte Anstalten, sich erneut auf die kalte Bank zu setzen.
Jonas packte seinen Arm. „Lass das.....und komm mit zurück. Wir gehen unterwegs noch am Supermarkt vorbei und kaufen ein paar Raketen für heute Abend. Man soll die Feste feiern, wie sie fallen.“
„Hoffentlich handelt es sich beim Jahreswechsel nicht irgendwie wieder um ein magisches Datum,“ stellte Lucas fest, nachdem er sich dazu durch gerungen hatte, seinen Bruder nun doch zu begleiten.
„Wie meinst du das?“, erkundigte sich Jonas sichtlich beunruhigt. „Glaubst du, der Dämon wird in dieser Nacht mächtiger werden? Aber der Jahreswechsel ist doch nur ein von Menschen gemachtes Datum. Der hat sicherlich keine Bedeutung für einen Dämon! Und in anderen Teilen der Welt fängt ja gar kein neues Jahr an. Ich glaube, in China feiert man später Neujahr.....“
Schließlich blieb Jonas vor dem Supermarkt, in dessen Schaufenster Prospekte, in denen Feuerwerkskörper angepriesen wurden, abgebildet waren, stehen. Er packte den Jüngeren am Arm. „Du bist uns nicht gleichgültig und es tut mir leid, wenn du in der letzten Zeit das Gefühl hattest. Ich wollte das nicht. Und unter normalen Umständen hätte ich Stefan auch nicht geholfen, sondern ihm statt dessen eine Abreibung verpasst.....das hab ich sogar ein wenig, trotz allem. Aber die Umstände sind nun einmal nicht normal!“
„Ich weiß!“, antwortete Lucas bedrückt, aber ein wenig zufriedener.
Gemeinsam kehrten Lucas und Jonas nach ihrem Einkauf zum Gasthof zurück, wohl wissen, dass sie ihre Unstimmigkeit noch nicht wirklich beigelegt hatten.
Die Silvesterrakten stiegen in einiger Entfernung, weit entfernt von der Kirche und in geringerer Menge als in früheren Jahren in den Himmel, als sich Leben in der Statue über der Kirche regte.
Ein neues Jahr brach an....
Meliock, der Höllendämon, lachte. Endlich würde eine der letzten Grenzen, die ihm noch Einhalt geboten hatte, fallen.
Nun lag nicht mehr nur seine alte Stadt, sondern auch die Umgebung vor ihm, viele Seelen waren nun sein und niemand würde ihn aufhalten.
Der Dämon wanderte langsam, ohne große Eile, durch die nächtliche, menschenleere Stadt und blieb schließlich an einer Stelle stehen, an der sich einst eines der alten Stadttore befunden hatte.
Meliock glaubte, die alten, für menschliche Augen nicht mehr sichtbaren Umrisse, leuchten zu sehen.
Viele Dinge, die längst vergangen waren, existierten nach wie vor....auch wenn sie von gewöhnlichen Geschöpfen bereits seit langem nicht mehr gesehen wurden.
Der Höllendämon machte einen Schritt nach vorne und fast schien es ihm, als würden die alten, längst nicht mehr vorhandenen Mauern aufschreien, als er die alte Grenze überschritt....
Der Dämon drehte den Kopf und warf einen verächtlichen Blick auf den alten Mann, der nicht weit entfernt vom ehemaligen Stadttor stand und ihn unglücklich und wütend zugleich ansah. Er wusste, dass der Alte ihm nichts anhaben konnte und würde und dass es umgekehrt ähnlich aussah.
Aber eines Tages würde sich vielleicht auch das noch ändern und dieses feindliche Geschöpft würde ebenfalls ihm gehören.....
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Dämonische Statuen - Teil II
Mystery / ThrillerDieses Buch ist der zweite Teil von "Dämonische Statuen". Aufgrund der Länge habe ich die Geschichte in zwei Bände aufgeteilt. Erneut geschieht Unheimliches, die Dämonen sind nicht wirklich verschwunden...