Kapitel 51

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Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr vergingen ruhig und friedlich, weiterer Schnee fiel auf die Erde und schien die Straßen unter sich begraben zu wollen. Doch am Silvesterabend endete das Schneetreiben und erleichtert nahmen die Bewohner des Raichelbacher Gasthofes es zur Kenntnis.
„Gut, da können wir heute Abend ja doch ein paar Raketen abschießen!“, stellte Georg fast schon zufrieden fest. „So was hab ich früher immer gern gemacht. Aber wegen Hedwigs Stiefmütterchen durfte ich es zu Hause nie!“

„Die gute Frau Schneider hatte ja ganz schön die Hosen an, was?“, lachte Frau Huber, die neben ihn ans Fenster der Gaststube trat, spöttisch und hob den Zeigefinger. Lucas saß ein wenig entfernt am Tisch und blätterte in einer Zeitschrift.

Frau Huber lachte. „Aber so gehört sich das auch! Stiefmütterchen und das Haus wollen verteidigt werden.....trotzdem habe ich nichts gegen ein wenig Silvesterfeuerwerk, solange es nicht gegen meine Fenster klatscht!“

Dann wurde die Gastwirtin ernst. „Was ist eigentlich mit Ihrer Frau und den anderen....Kranken geschehen? Sie waren doch in einer Klinik in der Stadt untergebracht, oder?“
„Die Klinik lag ein wenig außerhalb. Ich habe vor ein paar Tagen dort angerufen, die Patienten wurde in eine andere Klinik verlegt. Zum Glück ist sie in Sicherheit. Offiziell werden Renovierungsarbeiten durchgeführt....mitten im Winter im Schneetreiben!“, antwortete Georg und lachte kurz verächtlich auf. „Die hätten sich wenigstens eine etwas bessere Ausrede einfallen lassen können! Vielleicht eine defekte Heizungsanlage oder so! Ich frage mich übrigens, wie viel die meisten Menschen in der Stadt wirklich wissen! Sie alle spüren, dass etwas merkwürdiges und bedrohliches vor sich geht. Aber in wie weit setzen sie sich wirklich damit auseinander?“

Frau Huber zuckte die Achseln, aber auch sie konnte keine wirklich Antwort geben. „Wir haben jahrelang den Franzl hier gehabt und er trieb sein Unwesen. Wir wussten es im Grunde alle, aber wir waren daran....gewohnt. Auch die Leute in Ihrer Stadt, Herr Schneider, sind im Grunde an die Statue gewöhnt, auch wenn dort natürlich ein stärkeres Kommen und gehen war. Lediglich Ältere werden vielleicht noch an die Statue geglaubt habe, ehe Ihr Sohn das erste Mal mit ihr abrechnete. Die Menschen neigen dazu, solche Dinge zu verdrängen. An so was glaubt ein moderner Mensch doch nicht mehr!“

Georg musste dem zustimmen. Hatte er nicht auch bereits in seiner Kindheit ein Erlebnis mit der Statue gehabt? Damals, als er seiner Mutter auf dem Weihnachtsmarkt davon lief? Und hatte er nicht dann und wann mal eine Geschichte gehört, die er aber nicht weiter beachtete oder aber verdrängte? Aber nun war dies leider nicht mehr möglich.....

„Sollen sie doch so viele Ausreden wie möglich erfinden, Hauptsache, sie machen, dass sie aus der Stadt verschwinden.....,“ dachte Georg und machte sich mit einem Mal Sorgen um seine Mutter Johanna.
Zwar lebte diese nicht in der Nähe der Kirche und würde die Stadtmitte sicherlich auch meiden. Wahrscheinlich würde sie während des schlechten Wetters nicht einmal ihre Wohnung verlassen und die freundlichen Nachbarn würden ihr von Zeit zu Zeit etwas aus dem Supermarkt mitbringen.

„Ich sollte sie anrufen und noch einmal warnen. Arme Mutter!“, murmelte Georg und sah seinem Sohn Lucas erstaunt nach, als dieser wortlos die Gaststube verließ. Hatte er etwas falsch gemacht?



Lucas starrte am späten Nachmittag missmutig auf Gerrit und Jonas, die an einem der Tische der Gaststube saßen und über ihre weiteren Schritte, die sie unternehmen wollten, sprachen.

Lucas gestand es sich nur ungern ein, aber er war eifersüchtig. Seit ihrer Rückkehr aus Köln und seitdem sie über Gerrits Verwandtschaft zu Simon erfahren hatten, schien sich das Verhältnis der beiden verändert zu haben.
„Sie sind nicht miteinander verwandt, verflucht noch mal. Simon ist seit Jahrhunderten tot. Und selbst zu Gerrits eigentlichen Lebzeiten war er das schon. Außerdem ist Jonas nicht Simon!“, sagte Lucas leise zu sich selbst und zögerte, als Jonas nach ihm rief und ihn bat, sich zu ihm und Gerrit an den Tisch zu setzen.

„Störe ich auch nicht?“, erkundigte er sich so freundlich wie möglich, was Jonas nicht entging.
Stirn runzelnd sah dieser seinen jüngeren Bruder an, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, du störst nicht....setz dich doch. Wir versuchen gerade, irgendwie eine Möglichkeit zu finden, unbemerkt in die Nähe des Dämons zu kommen.“

Lucas nickte schweigend und nahm am Tisch Platz. „Und, wird Gerrit mit ihm fertig werden? Das macht er doch sicherlich allein mit Links,“ sagte Lucas ein wenig spöttisch, was ihm einen bösen Blick seines Bruders einbrachte, während Gerrit unglücklich auf den Tisch starrte.

Mit einem Mal kam Lucas sein Verhalten schäbig vor. War er tatsächlich eifersüchtig? Eifersüchtig auf Gerrit?

„Ich muss mal raus!“, sagte er und stand auf. Er verließ den Gasthof und atmete die frische Luft ein.
Allmählich fühlte er sich wieder ein wenig besser, trotzdem waren seine Gefühle weiterhin mehr als widersprüchlich.
Was genau störte ihn eigentlich so sehr? Der Eindruck, dass Gerrit sich in seine Familie drängte, bestand nach wie vor. Aber es gab noch etwas anderes, das ihm Magendrücken bereitete und ihm bereits seit einiger Zeit zu schaffen machte.

Jonas war seinem Bruder gefolgt und sah ihn nun vorwurfsvoll an. „Kannst du mir sagen, was das gerade sollte?“
Lucas zögerte mit einer Antwort. Doch war dies nicht eine gute Gelgenheit, einmal ein paar Dinge auf den Tisch zu bringen. War dies nicht besser, als sie tot zu schweigen und die Stimmung weiter zu vergiften?
„Es geht um Gerrit. Er...drängt sich in unsere Familie. Und du lässt es auch noch zu. Verflucht noch mal, er ist nicht mit dir verwandt! Du bist nicht Simon und Gerrit gehört nicht zu uns!“

„Das ist es also,“ stellte Jonas, sichtlich um Ruhe bemüht, fest. „Ich hab mir schon gedacht, dass es etwas in der Art ist. Aber sag mal, wie kindisch bist du eigentlich? Ich hätte dir wirklich ein wenig mehr Verstand zugetraut. Du bist tatsächlich eifersüchtig auf Gerrit und denkst, er würde dir etwas weg nehmen? Willst du vielleicht mit ihm tauschen? Sein ganzes bisheriges beschissenes Leben haben?“

„Die letzte Zeit war nicht wirklich schlecht für ihn. Er hat doch alles, was er braucht um glücklich zu sein. Eine hübsche Freundin, eine Gastwirtin, die ihn betüttelt und jetzt auch noch meinen älteren Bruder....bald wird er wahrscheinlich ganz bei uns einziehen!“, antwortete Lucas unfreundlicher als beabsichtigt. Eigentlich hatte er sein Problem, das er mit Gerrit hatte, anders ausdrücken wollen. Und da war noch diese andere Sache, die ihn weit mehr belastete. Aber hing nicht alles irgendwie zusammen?

Jonas versetzte seinem Bruder unterdessen einen leichten Stoß. „Du drehst wohl durch! Bekommst du hier einen Lagerkoller oder irgend etwas in der Art?“

Lucas wurde mit einem Mal ebenfalls wütend, als er bemerkte, dass Jonas dämonische Seite die Oberhand gewann.
„Ja, ich bekomme wohl tatsächlich einen Lagerkoller. Oder aber auch einen Koller mit euch allen! Mit Papa, mit dir und mit Gerrit. Aber ist ja egal, wie es mir dabei geht. Bin ja nur ich. Das interessiert ja eh niemanden! Übrigens, deiner armen Mutter geht es gut. Man hat sie in eine andere Klinik gesteckt, damit ihr ja nichts passieren kann. Der Dämon könnte sie ja erwischen...“

„Was genau ist eigentlich dein Problem?“, hackte Jonas nach und ihm kam ein Verdacht. „Es geht dir nur vordergründig um Gerrit. Du bist wütend auf uns....“

Lucas nickte, als ihm der Umstand bewusst wurde, dass ein Bruder recht hatte. „Ich hab heute morgen gehört, dass unser Vater mit dem Krankenhaus telefoniert hat. Er war sehr besorgt wegen dieser....dummen Kuh. Er macht sich tatsächlich Gedanken, das ihr etwas passieren könnte und war erleichtert, als er hörte, dass man die Kranken wo anders unter gebracht hat. Und mit Stefan war es doch genau das gleiche. Er wurde von dieser Schlange gebissen, alle stürmen los, um ihm das Leben zu retten.“

Lucas lachte kurz und bitter auf. „Ist doch egal, dass beide auf mich los gegangen sind und ich wegen denen fast drauf gegangen bin. Aber wäre es dabei um Gerrit gegangen, dann würden jetzt sicherlich alle sein Händchen halten und ihn trösten. Wahrscheinlich würde niemand mehr einen Gedanken an Hedwig verschwenden und für Stefan hättest du auch keinen Finger krumm gemacht. Aber bei mir dürfen sich alle alles erlauben und trotzdem....lässt man sie nicht fallen. Echt klasse....und ja, ich weiß, dass es nicht Gerrits Schuld ist. Aber hättest du beispielsweise dein Leben riskiert um Engelmann zu retten? Nach allem, was er Gerrit angetan hat? Aber Stefan hilfst du. Denn der hat ja nur deinen kleinen, unwichtigen Bruder übel zugerichtet.....“

Jonas wollte Lucas einen weiteren Stoß versetzen, während dieser ihn weiterhin wütend an starrte. Aber hatte er nicht irgendwo auch recht? Es war nicht allzu rücksichtsvoll von Georg gewesen, sich im Beisein seines Sohnes Sorgen um Hedwig zu machen. Und hatte er selbst nicht auch schon im Beisein seines Bruders geäußert, dass er sie einmal besuchen wollte? Für Lucas musste es doch so aussehen, als sei alles, was ihm geschehen war, vergeben und vergessen....

„Ich weiß auch, dass man Stefan wahrscheinlich nicht mit Engelmann vergleichen kann und dass die Situation eine andere war. Aber es fühlt sich trotzdem....schlecht an. So, als wäre es euch gleichgültig....“

Jonas schüttelte den Kopf und griff nach Lucas Arm, den dieser aber weg zog. „Es tut mir leid....wir aber es ist uns nicht gleichgültig....“

Lucas zuckte die Achseln. „Der Schnee hat aufgehört. Ich geh ein bisschen durchs Dorf. Ein wenig spazieren. Ich brauch frische Luft. Ich bin zum Silvesteressen heute Abend wieder da!“
„Soll ich mitkommen?“, bot Jonas an, aber Lucas schüttelte den Kopf. „Besser nicht...ich bin im Moment nicht so auf Gesellschaft scharf. Ich....hab wohl wirklich einen kleinen Lagerkoller!“

Jonas sah seinem Bruder an, als dieser sich auf den Weg ins Dorf machte.

Dämonische Statuen - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt