Kapitel 62

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Stefan saß ein wenig abseits von den anderen, die, um sich ein wenig abzulenken, den Fernseher eingeschaltet hatten.
Auf einem Sender war ein Gruselfilm aus den 60er Jahren gelaufen, aber auf eine solche Unterhaltung hatte keiner von ihnen wirklich Lust an diesem Abend.
Statt dessen lief nun ein Krimi, auf den sich aber auch niemand wirklich konzentrieren konnte und wollte.

Lucas hatte sich in den Sessel gesetzt, die Beine angezogen und die Augen geschlossen, während Dennis und Gerrit es sich auf dem Sofa so bequem wie möglich machten.

Stefan öffnete das Fenster und sah hinaus. Einige Autos fuhren auf der Straße vorbei. Glücklicherweise hatte es mittlerweile bereits seit Stunden aufgehört zu schneien und er hoffte, dass es in der Nacht nicht frieren würde.
„Da kann man wirklich nur hoffen, dass wir morgen bei unserem Kampf nicht bei Glatteis durch die Gegend rutschen,“ dachte Stefan und sah zum dunklen, mit Wolken verhangenen Himmel hinauf.
„Also, morgen könnte sich der Wettergott doch bitte mal auf unsere Seite schlagen!“, dachte er, als er ein kleines Stoßgebet zum Himmel sandte.

Doch warum sollte irgend jemand da oben oder wo auch immer ausgerechnet auf ihn hören? Er hatte immer allein mit allem fertig werden müssen, ohne jeglichen Beistand von irgend welchen höheren Mächten, Freunden oder Verbündeten.
Lediglich einer seiner Feinde hatte sich jemals wirklich für ihn eingesetzt, als ihn in Österreich diese Schlange fast getötet hätte.
„Jonas ist tatsächlich gekommen. Gut, das ist sicherlich nicht aus lauter Zuneigung zu mir passiert. Aber er ist gekommen,“ dachte Stefan und fühlte sich mit einem Mal ausgeschlossen.

Sie alle würden morgen gegen einen Höllendämon kämpfen, aber er gehörte trotzdem nicht wirklich dazu und würde es wahrscheinlich niemals tun. Er machte sich nichts vor und sah sich auch nicht als ein Opfer widriger Umstände, zumindest seit seiner freiwilligen Verwandlung in Österreich vor Jahren war er an den meisten Dingen, die schief gelaufen waren, selber schuld.
Belastet hatte ihn dies früher nie sonderlich, lediglich seine Beziehung zu Michaela hatte dies ein wenig ändern können.

Stefan wandte sich von den anderen ab und sah wieder aus dem Fenster.

Jedem von ihnen hatte er schon einmal geschadet. Zum einen war da natürlich Lucas, der ihn nach wie vor mit Misstrauen betrachtete und höchst wahrscheinlich niemals freiwillig mit ihm allein zurück bleiben würde.
Wahrscheinlich sogar zu Recht, denn dieser Bengel brachte es fertig, ihn zu provozieren und wusste nicht, wann es besser war, den Mund zu halten.

Stefan schüttelte spöttisch den Kopf, als Lucas sich jetzt zu Gerrit setzte und ihm anscheinend ein wenig Mut zusprechen sollte.
„Unsere ganze Hoffnung liegt in den Händen dieses armen Wurms, der sich morgen wahrscheinlich in die Hosen machen wird!“, dachte Stefan mit einem humorlosen Grinsen und sah wieder aus dem Fenster.

Ein anderer Gedanke durchzuckte Stefan. Egal, wie der Kampf morgen ausging, er würde auf alle Fälle etwas verlieren. Entweder sein Leben, was er am meisten fürchtete, oder aber seine Freiheit. Auch wenn er nun einige Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, war er immer noch fest entschlossen, im Anschluss an den Kampf mit dem Dämon zur Polizei zu gehen. Er würde ihnen erzählen, was es mit Michaelas Tod auf sich hatte.

Vielleicht sollte er sogar die volle Wahrheit erzählen?

Stefan stellte sich das Gesicht der Polizeibeamten vor, wenn diese die Geschichte von einer Dämonenstatue, die von ihrem Sockel sprang, erfuhren.
„Dann endet es eben in der Psychiatrie. Vielleicht besser als Knast,“ dachte Stefan und nun verschwand sein Grinsen vollständig.

Die Vorstellung, für verrückt gehalten zu werden, gefiel ihm noch viel weniger als die, ins Gefängnis zu müssen. Mit Mitgefangenen, die versuchen würden, bei ihm die allgemeine Hackordnung in der Haftanstalt durchzusetzen, würde er schon fertig werden.
Aber voll gepumpt mit Medikamenten in einer Ecke sitzen? Auf der anderen Seite würden die vielleicht nicht einmal wirken und er musste den Ärzten den schläfrigen, halb weg getretenen Patienten vorspielen.

„Aber ich muss es machen, wegen Michaela. Ich hab es ihr versprochen..., murmelte Stefan mit einem Anflug von Resignation.

Der morgige Tag würde so oder so für ihn die Entscheidung bringen. Und keine seiner Möglichkeiten war ein wirklicher Sieg für ihn.

„Entweder tot oder Knast. Oder aber Psychiatrie. Oder soll ich doch einfach abhauen, wenn die Sache vorbei ist?“, dachte Stefan bedrückt, während die anderen sich leise unterhielten und Dennis per Handy mit seiner Frau Britta telefonierte. Sie alle hatten etwas, worauf sie sich nach einem möglichen Sieg freuen konnten.

Dennis würde mit seiner Familie in Frieden leben können, zumindest, soweit es mit dem Wissen um Dämonen möglich war.

Jonas und seine Julia würden ebenfalls mit dem Wissen weiter leben, dass es einen sehr gefährlichen Dämon weniger gab. Jonas würde von sich sagen können, dass er zumindest den Zweck seines Daseins, wenn auch über Umwege und nur mit Gerrits Hilfe, erfüllt hatte. Die Zukunft würde, allen Dämonen, die er vielleicht noch bekämpfen würde, zum Trotz, besser aussehen als die Gegenwart.

Auch Gerrits Zukunft lag im Grunde recht rosig vor ihm. Falls ihr Vorhaben gelang und er am Leben blieb würde er sicherlich nach Raichelbach zurück kehren, sich von seiner heiß geliebten Gastwirtin umsorgen lassen und seine Freundin wieder sehen.

Lisa hatte sich, mit Tränen in den Augen, von Gerrit verabschiedet, während Sebastian, der nicht am Kampf teilnahm, im Hintergrund blieb.

Ein fast schon mitleidiges Lächeln huschte über Stefans Lippen. Es gab jemandem, dem es noch schlechter ergehen würde als ihm.
„Dieser Sebastian wird sein Leben niemals mehr auf die Reihe kriegen. Etwas ist in ihm zerbrochen und wird nicht mehr verheilen. Das ist so offensichtlich. Er erinnert mich an diese Verlierer, denen ich mal gegen Dämonen geholfen habe. Sie hingen an der Flasche, kamen mit dem Leben nicht mehr zurecht und da half es auch nichts mehr, dass ich die Dämonen beseitigte....“

Stefan erinnerte sich an zwei Männer und eine Frau, für die er einmal gearbeitet und die er später zufällig wieder getroffen hatte.

„Die haben das nicht verarbeiten können. Und Sebastian ist auch so jemand. Er wird es versuchen, noch. Er wird sich einen guten Job suchen, soweit das noch möglich ist, vielleicht sogar eine Beziehung probieren. Aber er wird es letztlich nicht packen. Ich geb ihm noch fünf Jahre oder so. Dann ist er entweder tot oder aber er steht durch Alkohol und irgend welche anderen Sachen kurz davor. Vielleicht wird er auch straf fällig und landet im Knast, aber da hält er nicht lange durch. Er wird in der Hackordnung ganz unten stehen und sich von jedem Dealer und Schläger herum schubsen lassen....nein, Sebastians Aussichten sind noch um einiges schlechter als meine und das will schon was heißen!“

Dämonische Statuen - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt