Kapitel 2.4 - Rosen und Veilchen

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Ω

Die Sonne ging auf, berührte mit ihren Strahlen die Tautropfen auf den Blüten der Blumen, um sie aus ihrem Schlaf zu rütteln. Die Knospen richteten sich auf gen Himmel zur Sonne und fingen bald darauf an sich zu öffnen. Es war ein zu betörendes Bild, als dass man es sich entgehen lassen konnte. Wie die Morgenröte sich über den noch fast dunklen Himmel kämpfte und ihn in ein zartes rosa verwandelte. Rose wickelte sich noch mehr in ihren Mantel aus brauner Schafswolle und erschauerte. Es waren nun schon einige Wochen vergangen seit sie hier war und so oft sie konnte, musste sie sich den Sonnenaufgang in diesem kleinen abgetrennten Garten ansehen. Er gehörte noch zu der grossen Anlage, hatte aber eine separate Tür. Als Rose den Garten zum ersten Mal gesehen hatte, erinnerte es sie an den Garten ihrer Mutter. Aber hier hatte, bis vor ein paar Wochen, nur Unkraut sein Zuhause gefunden und er war verwüstet worden, fast als hätte ihn jemand zerstört. Sie hatte ihn, jetzt da sie ihn entdeckt hatte, nicht in diesem Zustand lassen können. Sie hatte sich heimlich an die Arbeit gemacht und den Garten auf Vordermann gebracht. Nun würden nach und nach die verschiedenen Blumen wie Rosen, Veilchen, Tulpen, Orchideen, verschiedene Irisarten und wunderschöne Lilien wachsen. Dieser Garten war in den letzten Wochen ihre Ruhequelle geworden. All die Ängste und Unsicherheiten begannen sich zu legen, seit sie sich den Garten vorgenommen hatte. Ihre Mutter hatte Blumen genauso geliebt und ihren Garten mit derselben Sorgfalt gepflegt. Die vielen Düfte, die ihre Sinne verzauberten und sie alles vergessen liess. Wenn es so weitergehen würde, dann wäre es wohl der perfekte Ort für sie. Bis jetzt hatte sie niemand verdächtiges hier gesehen oder von jemandem gehört, dass man eine Frau in ihrem Alter suchte. Ihre Täuschung war aufgegangen und würde ihr die Zeit verschaffen, genügend Geld zu verdienen und ihr Vorhaben umzusetzen. Ausserdem waren Molly, Emil und der gut situierte Carson nette Menschen und gaben ihr das Gefühl geborgen zu sein. Was sie ebenfalls positiv wertete war, dass sie nicht wieder den Weg mit dem jungen, unverschämt gutaussehenden Lord Blackheat gekreuzt hatte. Was sicher auch daran lag, dass sie es tunlichst vermied ihn irgendwo alleine anzutreffen. Aber die meiste Zeit war er im Arbeitszimmer oder wie Carson ihr erzählte auf den Ländereien seines Vaters unterwegs. Doch auch wenn Rose sich einredete, dass sie darüber äussert erfreut war, gab es tief in ihrer Magengrube ein Bedauern. Sie verdrängte dieses merkwürdige Gefühl jedoch. Heute war ihr erster freier Tag und sie wusste nicht so recht was sie damit anfangen sollte. Sie dachte daran in die riesige Bibliothek zu gehen und sich einem schon lange nicht mehr gegönnten Vergnügen hinzugeben. Bei ihren Putzaktionen mit Molly hatte sie sich immer wieder dabei ertappt, wie sie die Bücherbänder und die alten Schriftrollen durchging, um zu sehen, welche Werke darin standen, doch vor Molly konnte sie nicht gut danach fragen, ob sie ein Buch ausleihen dürfe. Es gab selten Hausangestellte, welche lesen konnten. Sie wollte sich schliesslich nicht über die anderen stellen und so wenig wie möglich auffallen, aber heute hätte sie die Gelegenheit. Molly war auf den Markt gegangen und Carson war anderweitig beschäftigt. Von diesem Gedanken beflügelt eilte sie die Steintreppe im Garten hinauf und ging den Aussen mit grossen weissen Säulen bestückten Gang entlang, trat durch die Seitentür ins Haus und lief weiter bis sie in der Eingangshalle war. Die grosse Marmortreppe, die in den ersten Stock führte, türmte sich vor ihr auf. Niemand war hier, sie sah nach links und rechts und nahm dann zwei Stufen auf einmal. Sie lauschte und konnte immer noch kein Geräusch ausmachen, dass eine weitere Person ankündigte. Sie trat auf die Galerie und lief an den vielen grossen, kleinen und mittelgrossen Gemälden vorbei. Einige zeigten stattliche Herren einmal in ihren Jagdkostümen und mit ihren Jagdhunden oder hoch zu Pferd. Daneben gab es Portraits von eleganten Damen und kleinen Kindern. Sie hielt inne und besah sich ein kleineres Gemälde.

„Alice Charlotte de Warenne" las sie leise vor. Rose hielt inne und trat näher. Sie fand, dass der Maler die Distanziertheit und die kühle Aura, welche die Lady des Hauses immer zu umgeben schien, ziemlich prägnant in diesem Kunstwerk erfasst hatte. Ihr hüftlanges braunes Haar war streng zusammengebunden und hinter ihrem Nacken befestigt worden. Die eisblauen Augen starrten stur geradeaus, während ihre Hände vorbildlich in ihrem Schoss gefaltet lagen. Durch das dunkle Kleid wurde die Blässe ihrer Haut besonders betont. Sie wusste, dass dies dem Schönheitsideal entsprach, aber für Rose wirkte das gesamte Gemälde dadurch nur grotesker, da die Lady in ihren Augen kränklich erschien. Sie trat wieder etwas zurück und stutzte. Die Wand hinterdem Gemälde schien vergilbt und man konnte deutlich erkennen, dass zuvor hier ein anderes, grösseres gehangen haben musste. Sie lief ein Bild weiter und entdeckte das Bild des Hausherren John Alexander de Warenne. Er musste zum Zeitpunkt dieses Gemäldes noch ziemlich jung gewesen sein. Er war gross gewachsen, hatte breite Schultern und dunkelblondes nackenlanges Haar. Ein verwegenes Lächeln lag auf seinen Lippen. Mit der einen Hand hielt er die Zügel eines Braunen und die andere berührte den Schaft seines Degens, welcher in einer Scheide steckte, der um seine Hüfte hing. Sie fand ebenso die Gemälde von Rickard Ramsey Hugh de Warenne, der dasselbe verwegene Lächeln, wie sein Vater auf den Lippen trug und jenes von einem kleinen süss dreinblickenden Kind. „Elaine Elizabeth Alice de Warenne" las sie auf dem Namensschild. Sie schmunzelte. Aber ihre Augen suchten schon länger nach einem anderen Gemälde.Sie lief weiter fast bis zum Ende und da entdeckte sie es. Ihr Herzschlag beschleunigte sich auf einmal und sie war von den dunkeln Augen gefesselt.Obwohl sie so dunkel, wie die echten waren, so waren diese hier voller Gefühl und Tiefgang. Sie hatte beinahe das Gefühl diese Augen würden sie tatsächlich anstarren.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt