Kapitel 10

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Der September neigte sich langsam seinem Ende zu und mittlerweile hatte sich Isabella in ihrer neuen Behausung eingelebt. Von dem was draussen vor sich ging, bekam sie nur sehr wenig mit. Obwohl sie davon überzeugt war, dass Alexander ihre Gesellschaft nicht ertrug, schlief er ausnahmslos jede Nacht bei ihr. Er kam zwar immer sehr spät und jedes Mal bedeckte er sie fürsorglich, wenn sie im Schlaf die Pelze auf den Boden geworfen hatte. Sie hatte es beobachtet, als er eines Nachts ins Zelt kam und Isabella noch wach da lag, sich aber schlafend stellte. Dies wiederholte sich fast Nacht für Nacht. Er hatte ihr auch ein neues Nachthemd geschenkt, welches aus Wolle war und für mehr Wärme sorgte. Die Beutel aus Ziegenfell stellten sich als Wärmebeutel heraus. Alexander hatte ihr in der ersten Nacht zwei unter die Decke gelegt. Sie waren mit Wasser gefüllt und konnten über den Kohlen erwärmt werden. Da aber Alexander jede Nacht im Bett verbrachte, hatte sie eigentlich nie kalt. Nur stieg ihre Befürchtung von Tag zu Tag mehr, dass er eine Annäherung versuchten könnte und dann ihren Bauch entdecken würde. Sie war sich nämlich nicht sicher, ob sie ihn abhalten konnte und wollte. Einige der wenigen Informationen, die sie von draussen erfuhr, erhielt sie von Thomas. Er hatte ihr erzählt, dass der König und die anderen Heerführer eingetroffen waren und nun die Strategie besprachen. Ende September würde es beginnen. Um sich die Zeit sinnvoll zu vertreiben, hatte sie verschiedene Bücher mitgenommen und schmökerte etwas in ihnen. Als der König wieder abgereist war, erlaubte ihr Alexander einmal am Tag mit einem Wachen durch das Lager zu spazieren. Diese kleinen Spaziergänge versuchte sie so gut es ging zu geniessen und unterhielt sich anregend mit ihren Begleitern. Isabella hatte gewusst, dass Dustin sich auf Carlisle sorgen um sie gemacht hatte. Sie hatte es an seinem Blick erkannt, wenn sie ihr Gemach kurz für ihre Notdurft verliess und wieder zurückkehrte. Aber er hatte sich nie überwunden und sie darüber ausgefragt, worüber sie äusserst dankbar gewesen war. Sie hätte ihn nicht mit solchen Dingen belasten wollen, da er für sie wie ein kleiner Bruder geworden war. Sie hatte versucht ihm eine grosse und liebevolle Schwester zu sein und wünschte sich nichts weniger, als dass er sich wohl fühlte. Die Anspannung eines Kampfes hatte nun alle Soldaten erreicht und auch Dustin war nervöser und ernster geworden. Aber er liess es sich nicht nehmen Isabella ab und an zu unterhalten. Allmählich hatte er sich geöffnet und ihr anvertraut, dass er seit er sich daran erinnern konnte im Waisenhaus aufgewachsen war und er keine Ahnung hatte, wer seine Eltern gewesen waren. Isabella wollte sich gar nicht vorstellen, wie es im Waisenhaus zu ging, nur schon einzelne Erzählungen der Jungen liessen ihr die Haare zu Berge stehen. Kein Wunder, dachte sie innerlich, waren die Waisen äusserst froh auf Carlisle eine Zuflucht gefunden zu haben und so etwas wie eine Familie. Sie hatten sich alle fortschrittlich entwickelt und lernten wichtige Aufgaben im Leben zu meistern, hatte ihr Dustin erzählt und am meisten beeindruckt war sie, wie sehr die Jungen zu Thomas und dem Earl aufsahen. Sie sahen sie als grosse Brüder, aber auch als ihre Befehlshaber, denen sie absoluten Gehorsam schuldeten. Neidvoll musste sie sich eingestehen, dass eine Lady Cumberland allen möglichen Grund hatte stolz auf einen solch ehrenhaften Kriegsherren und Gatten zu sein.

Als Isabella sich am letzten Septemberabend bettfertig gemacht hatte und sich ins kuschlig warme Bett setzte, kämmte sie ihr Haar. Es war in den letzten beiden Jahren enorm lang geworden und reichte ihr bis fast zur Hüfte. Die Zeltwand wurde aufgeschoben. Isabella erschrak zuerst und blickte dann in Alexanders Augen. Er trug ein Lammellenhemd, darüber einen Ringpanzer und als letzte Sicherung ein Rüstungstorso. Am Rücken der Rüstung hing ein roter Umhang, der um seine Beine schlackerte. Seine Knie und die Schienbeine waren mit einer Lederbandage versehen. Links und rechts seines Gürtels steckten ein Degen und ein schottisches Claymore. In seiner Armbeuge hielt er seinen Helm, der einen langen Nackenschutz hatte, aber vorne ausser einem metallenen Schutz, der über die Nase ging, vollkommen frei war. Isabella legte ihre Bürste auf das Bett und erhob sich. Alexander ging vom Zelteingang weg und kam langsam auf sie zu. Als er das Bett erreicht hatte, legte er seinen Helm darauf nieder. Isabella konnte sich vor Aufregung nicht rühren und starrte ihn weiterhin an. Er streifte seine ledernen Handschuhe ab und stellte sich direkt vor ihr auf. Sie wusste was nun kam, doch sie wollte sich nicht verabschieden. Er presste ihr ein mit Tüchern umwickeltes Bündel in die Hand
„Nimm es und behalte es in deiner Reichweite... wenn du es brauchen solltest" meinte er leise. Isabella blickte auf ihre Hände und wickelte zitternd das Leinentuch ab. Zum Vorschein kam eine feine scharfe Klinge. Sie hatte einen hellen Griff aus Knochen, worin Schnitzereien abgebildet waren. Die Klinge selbst war ungefähr so lang wie ihr Unterarm. Alexander nahm seine beiden Hände, bedeckte das Stilett wieder mit den Leinen und faltete ihre Hände darüber „Versprich mir, dass du die Klinge immer bei dir hast Liebes" das letzte Wort hatte er so leise gesprochen, dass Isabella sich nicht sicher war, ob sie es sich eingebildet hatte. „Wenn du es benutzen musst, stich mit der Klinge hier" er presste seinen Zeige- und Mittelfinger bei Isabella auf die Stelle an der das Bein den Übergang zum Torso macht „zu. Es ist die effektivste Methode deinen Angreifer auszuschalten" endete er. Isabella schluckte und fühlte, wie ein kalter Schauer über ihren Rücken floss. Der Krieg würde nun beginnen und er würde seine Opfer fordern... Sie blickte in die dunklen Augen. Der helle Schimmer flackerte und sie blinzelte ein paar Mal. All die Dinge, die sie beschäftigt hatten, die Rothaarige, waren in diesem Moment vergessen. Er hob seine Hände an ihr Gesicht, fuhr sanft mit seinen Fingern die Linien ihrer Konturen nach. Dann senkte er langsam den Kopf und küsste ihre Lippen. Die Anspannung, die sie zuvor noch verspürt hatte, schien gewichen und sie genoss den Kuss, den er ihr schenkte. Er war so zärtlich sanft, als würde der Wind mit etwas Druck über ihre Lippen wandern. Allzu schnell war es vorüber und Alexander löste sich von ihr. Er nahm seinen Helm vom Bett und wollte sich gerade umdrehen.
„Alexander" kam es über ihre Lippen und er blickte zurück „wann bist du wieder zurück?" fragte sie ängstlich. Sein Blick wurde trübe
„Ich weiss es nicht... sobald die Stellung am ersten Posten gesichert ist, werdet ihr mit den Zelten nachrücken und dann sehen wir uns wieder... Ich" setzte er an und starrte ihr unentwegt in die Augen, dann wandte er den Blick ab „... bis dann" waren seine letzten Worte, bevor er durch den Eingang verschwand. Die Zeltwände schwankten noch einen Moment und hingen nur allzu schnell still. Sie erschauderte, eine plötzliche Kälte kam über sie. Sie schlüpfte hastig unter die Felle und nahm einen Wärmebeutel zu sich, doch dies half nichts. Die ganze Nacht über fror sie und konnte nicht den geringsten Schlaf finden.

Das Lager schien fast ausgestorben, vereinzelt patrouillierten Wachen zwischen den Zelten umher, doch nichts Ungewöhnliches ging vor sich. Isabella hatte das Gefühl sie könnte täglich beobachten, wie ihr Bauch runder wurde. Gegen Mitte Oktober hatte sie eine wohlgeformte Kugel, die sie mit sich herumtrug. Das Nachthemd verdeckte ihre Schwangerschaft nicht mehr und Isabella hatte zunehmend Schwierigkeiten auch Tageskleider zu tragen, bei denen man nichts erkannte. Die einzelnen weiten Kleider, die sie von Elaine erhalten hatte, waren kritisch. Die Bordüre, bei einem der Kleider, ging unter ihren Brüsten durch und liess die Taille frei, doch der Bauch stiess den Stoff bereits ab. Isabella musste sich bemühen den Bauch einzuziehen, wenn sie spazieren ging oder jemand ihr das Essen in das Zelt brachte. Sie hatte Glück, dass nun das Wetter auch um einiges kühler wurde, der Wind wehte heftiger und es regnete häufiger und länger, somit konnte sie ohne Ausrede die grossen Fellmäntel und Pelze tagen.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt