In den darauffolgenden Tagen wiederholte sich diese unerträgliche Situation. Auch bemerkte sie, dass wenn sie teils in der Küche stand und Emil das Essen zubereitete, ihr gewisse Gerüche, die sie eigentlich mochte, nun äusserst zuwider waren. Mit der Zeit erkannte sie, dass sie ziemlich genau vorhersagen konnte, wann die Übelkeit eintraf oder welche Gerüche sie nicht vertrug. Dadurch konnte sie ihr Erbrechen lenken und niemand bemerkte etwas. Fast niemand. Als Isabella kurz nach draussen verschwand um etwas zu holen, war sie unachtsam gewesen und hatte nicht gesehen, dass Molly beim Brunnen stand und Wasser schöpfte. Sie eilte sofort zu Isabella
„Rose! Hast du etwas Verdorbenes gegessen? Oder bist du krank?". Sie strich ihr über den Rücken, als sie ein weiteres Mal erbrechen musste. Der Schweiss perlte auf ihrer Stirn und sie wusste, dass sie bestimmt sehr unglaubwürdig klang, doch sie sagte
„Nein Molly... nein nicht krank" und sie musste erneut brechen. Molly holte den Eimer Wasser her und reichte ihn ihr. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht und sank auf den Boden. Molly schnalzte mit der Zunge
„Nun Mädchen" lachte sie „würde ich es nicht besser wissen, würde ich denken du trägst ein Kind unter dem Herzen!". Isabella fühlte, wie die Farbe schlagartig aus ihrem Gesicht wich und für einen schieren Augenblick musste ihr Herz stillgestanden haben. „Du bist ja ganz bleich Mädchen! Du bist bestimmt krank. So wie du arbeitest und kaum was isst, ist das ja kein Wunder. Leg dich ins Bett Rose. Ich bring dir eine Suppe" sagte sie und ging Richtung Küche „Na los!" rief sie noch einmal in den kleinen Hinterhof. Molly verschwand in der Tür und Isabella war alleine. Ihr Herz schien nun zu rasen und sie atmete schnell und schwach. Sie war... konnte... um Himmelswillen konnte es sein?! Wie... wann... sie rieb sich fahrig die Stirn. Sie hatte ihre Blutung vor... vor... wann hatte sie denn ihre Letzte gehabt! Sie zählte mit den Fingern zurück. Es war der Abend gewesen, als sie mit Alexander den Disput hatte.
„Das war" sie legte den fünften Finger um „fünf Wochen!" sagte sie laut. Sie erhob sich. Ihre Beine schienen nicht mehr aus Fleisch und Knochen zu bestehen. Sie zitterte. Sie ging gemäss Mollys Befehl in ihre Kammer. Doch sie war zu aufgeregt, als dass sie sich hinlegen konnte. Diese Woche hätte spätestens ihre Blutung einsetzen sollen. An ihrer Kammertür klopfte es und Molly trat mit einem Tablett ein
„Nun nicht im Bett? Nun aber hopp". Sie stellte das Tablett neben ihrer Schlafstatt ab und sorgte dafür, dass Isabella ins Bett schlüpfte und ihre Suppe ass. Erst als sie den letzten Löffel verspeist hatte, hatte Molly ein Lächeln für sie übrig „Siehst du... dass braucht einfach alles seine Zeit. Ruh dich aus und morgen auch". Molly stand auf und verliess mit dem Tablett ihre Kammer. Isabella hingegen lag wach in ihrem Bett und wälzte sich hin und her. Auch die ganze Nacht hatte sie wachgelegen und darüber nachgedacht, ob sie wirklich ein Kind in sich trug oder nicht. Je später es wurde und je mehr die Sonne in ihre Kammer drang, desto stärker wurde ihr bewusst, dass es mit aller Wahrscheinlichkeit zutraf. Nach dem ersten Schock denn sie ereilt hatte, konnte sie sich nun Gedanken machen was zu tun war. Als die Sonne aufgegangen war, stand ihr Entschluss fest. Sie würde nun noch zwei, drei Wochen bis im Juli hier verweilen und dann das nächste Schiff von Brighton nach Gibraltar nehmen. Dieser Weg wäre unauffälliger und so könnte man auch weniger ihre Spur verfolgen. Das Geld für die Reise hatte sie knapp zusammen. Es würde ihr zeitweise nichts anderes übrigbleiben, als etwas Essen zu stehlen oder zu hungern. Doch dieses Risiko musste sie eingehen. Sie konnte nicht bleiben. Sie musste es zu ihrem Onkel nach Frankreich schaffen. Er wäre bestimmt nicht erfreut über eine uneheliche Schwangerschaft, aber vielleicht könnte er ihr trotz allem helfen.
In den kommenden Tagen und Wochen erkundigte sie sich dezent über Güterschiffe, die hin und wieder Passagiere gegen einen gewissen Geldbetrag mitnahmen. Sie fand heraus, dass in der zweiten Juli Woche am Montag ein Galeonsgüterschiff im Hafen von Brighton auslaufen würde. Mit diesem Schiff würde sie aufs Festland kommen und die Reise zu ihren Verwandten antreten. Denn leider hatte sich ihr Verdacht auf eine Schwangerschaft bestärkt. Ihre Blutung blieb weiterhin aus und neue Beschwerden traten ein. Sie hatte empfindliche und angespannte Brüste und völlig aus dem nichts Heisshunger auf etwas ziemlich Absurdes. Sie hatte so sehr gehofft, dass sie sich irrte.Am Samstag vor ihrer Abreise verfasste sie zwei Briefe, einen an Alexander und einen an Molly. Sie hielt sich so kurz wie möglich und entschuldigte sich für ihre Abreise. Sie bat Alexander in ihrem Brief darum seiner Schwester Elaine und Molly Carson liebe Grüsse auszurichten. Ihre Emotionen flossen bei beiden Briefen über. Am schwersten fielen ihr die Zeilen an Alec. Tränen rannen ihre Wange hinunter und benetzten das Pergament. Am Briefende hatte sie das grosse Bedürfnis ihm zu gestehen, dass sie ihn liebte und sie sein Kind in sich trug. Doch sie brachte es nicht über sich, denn so wie sie ihn nun kennengelernt hatte, würde er sich auf die Suche nach ihr begeben und dies musste sie vermeiden. Sie faltete die Pergamente und schob sie unter ihr Kissen. All ihr Geld und ihre Habseligkeiten hatte sie in ihren Beutel gesteckt und ihn vorsichtig unter ihr Bett geschoben. Es sollte niemandem etwas auffallen, wenn zufällig eine Person in ihre Kammer treten sollte. Am Abend ging sie in die Stallungen, um sich von den Pferden zu verabschieden. Vor allem von Arac. Sie liebte die Anmut und Stärke dieses Tieres. Er war ein Ebenbild seines Besitzers. Als sie an den Pfosten des Stalles vorbei ging, hörte sie zwei Stimmen. An einer der offenen Stalltüren hielt sie an und spähte hinein
„Seid gegrüsst Thomas, Walther" sagte sie lächelnd. Beide drehten sich um und erwiderten ihren Gruss. Thomas führte einen Braunen nach draussen und band ihn an der Stange fest. Walther begann den Unterstand zu reinigen.
„Schön euch zu sehen Rose. Hattet ihr heute einen anstrengenden Tag?" sagte er und striegelte das Tier. Isabella ging zum Pferd und begann das Stroh aus seinem Schweif und seiner Mähne zu klauben
„Nun es war wie immer viel Arbeit, doch" sie lächelte „, wenn ihre Ladyschaft nicht anwesend ist, ist es weniger anstrengend". Thomas bückte sich und sah unter dem Hals des Pferdes hindurch. Ein breites Grinsen funkelte ihr entgegen
„Das kann ich mir wahrlich vorstellen. Was führt euch nun in den Stall?" fragte er neugierig. Isabella entwirrte einen besonders garstigen Strohhalm aus der Mähne und meinte
„Ich... manchmal habe ich das Bedürfnis mich bei Tieren aufzuhalten. Sie geben mir Ruhe und ein heimatliches Gefühl". Sie konnte ihm schliesslich nicht sagen, dass sie sich verabschiedete „Ist Lord de Warenne mit Arac unterwegs?" fragte sie beiläufig.
„Nein. Wir sind mit unseren Pflichten fertig. Das heisst eigentlich machen wir eine Pause, bevor wir nach Carlisle aufbrechen. Dafür müssen unsere Pferde genügend Kraft getankt haben" sagte er und bückte sich um die Hufe zu reinigen.
„Nach Carlisle?" fragte sie bestürzt. Alexander hatte ihr nichts davon erzählt. Thomas blickte auf
„Oh... hmmm... vielleicht habe ich hier etwas vorgegriffen" sagte er schnell und dann flüsternd „Alexander wird noch mit euch darüber sprechen" meinte er entschuldigend. Isabella blickte starr auf das Pferd und zerrte einen weiteren Strohhalm aus dem Haar. Es machte keinen Unterschied. Er ging seinen Weg und sie den ihren. Allerdings konnte sie sich selbst schwer belügen und musste sich eingestehen, dass sie auf eine Art enttäuscht war, dass er ihr nichts davon erzählt hatte. Sie verliess Thomas und ging zurück ins Haus. Sie wollte sich in aller Ruhe von Arac verabschieden und würde ihn deshalb morgen noch einmal aufsuchen.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1
Historical FictionEngland im Umbruch. Der junge König Henry VIII hat nicht das Geschick und das gute Herz seines Vaters geerbt. Er will Krieg und Schottland endlich unter englischer Herrschaft wissen. In diesen Sog gerät der kampferfahrene Alexander de Warenne, Lord...