In dieser Nacht hatte sie unglaublich schlecht geschlafen. Es tauchten verschiedene maskierte Männer in ihren Träumen auf. Und wenn sie versuchte die Kapuzen ab zu reissen, verschwammen ihre Gesichter und sie fand sich in einem neuen Traum wieder. Es musste ungefähr fünf Uhr sein, als sie sich entschloss, dass schlafen keinen Sinn mehr machte und aufstand. Unter den Angestellten in der Küche hatte die Nachricht über den Sturz von Rickard de Warenne schon seinen Kreis gezogen. Sie schrieben es dem Alkohol zu und dachten nicht weiter über dieses Missgeschick nach. An diesem ersten Festtag, es war ein Sonntag, hatte ihre Ladyschaft verschiedene Aktivitäten geplant. Für die Herrschaften wurde, in sicherem Abstand zu den Ladies, ein kleiner Schiessplatz aufgestellt. Die Herren und auch vereinzelt mutige Damen durften mit Pfeil und Bogen schiessen. Wer gewann erhielt eine besondere Süssigkeit aus Asien, die selbstverständlich unverschämt teuer und nach denen die obere Klasse absolut verrückt war. Die Mehrheit der Damen vergnügte sich beim Kartenspiel oder Bridge. Isabella sah, wie es Miss Brandon immer wieder gelang die absolute Aufmerksamkeit der Herren zu gewinnen, wobei sie aber ihre Augen auf einen ganz speziell gerichtet hatte. Sobald er ihre heitere Runde verliess, liess auch Miss Brandons Esprit nach und sie versuchte alles, um wieder sein Interesse zu wecken. Nichts wies von Alexander de Warenne darauf hin, dass er Ophelia Brandon leid hätte und ob er wirklich das Interesse verfolgte, sie zu seiner Gemahlin zu machen. Es versetzte ihr einen Stich in die Magengegend und ohne es zu wollen, wurde sie wütend auf de Warenne. Sie wusste, sie hatte keinen Anspruch, doch sie konnte und wollte nicht glauben, dass ihm ihre Küsse nichts bedeuteten. Geschweige daran zu denken, dass er diese verwöhnte Blaublüterin als Gattin in Betracht ziehen könnte. Da sich am Nachmittag ein starker Sturm ankündigte, wurden die Zelte der Damen und der Schiessplatz abgeräumt und die Gäste begaben sich nach drinnen. Lady de Warenne stiess dies sauer auf. Sie gehörte nicht zu den geduldigsten Menschen. Bei ihr musste immer alles so erledigt werden, wie sie es vorgab. Daher liess sie die Wut nur allzu gerne an ihren Angestellten aus. Als Isabella und die Dienstboten gerade noch den letzten Stuhl hineinbrachten, brach das Unwetter über ihnen los. Die Gäste bekamen in den Salons nichts davon mit. Die Damen spielten weiter Karten und nun setzten sich die meisten Herrschaften dazu. Einige, dazu gehörte auch de Warenne und Thomas, zogen sich in den Herrensalon zurück. Isabellas Neugier und Argwohn über Miss Brandon sorgte dafür, dass sie ein Auge auf Ophelia warf. Miss Ophelia gehörte nicht gerade zu den guten Kartenspielerinnen, doch liessen sie die Lords meist gewinnen. Wie es schien war Miss Brandon nicht bewusst, dass dies nicht auf ihren eigenen Fähigkeiten beruhte und Isabella kam nicht umhin zu hören, wie sich Miss Ophelia Brandon selbst hoch lobte. Isabella hörte im Innern die Stimme ihrer Mutter, die ihr zeigte wie man richtig Karten spielte. Sie hatte ihr immer erklärt, dass eine Frau, Dame, Lady und Ehefrau mehr, als nur den Schein waren musste. Sie sollte auch geistig herausfordernd sein, um einen Lord und Ehemann in allen Bereichen reizen zu können. Isabella hatte dies damals nicht ganz verstanden, warum sollte sie sich beim Kartenspiel denn anstrengen, wenn die Jungen sie sowieso gewinnen liessen? Nun musste sie schmunzeln, wie es damals auch ihre Mutter getan hatte. Ihre Mutter hatte darauf erwidert, dass eine Dame und Ehefrau stets ihren Stolz bewahren und keinen Sieg annehmen sollte, denn sie nicht selbst ausgefochten habe. Wie überaus klug ihre Mutter gewesen war... Miss Ophelia Brandon nahm soeben ihren kleinen Gewinn und lächelte überheblich. Isabella hoffte ihr würden wenigstens einige dieser Herrschaften die Stirn bieten und damit ihr selbstgefälliges Lächeln auslöschen. Nach dem Dinner verschwanden die Damen in ihren Gemächern und machten sich bereit für die Abendgesellschaft. Die Männer vergnügten sich bei einem etwas rüderen Kartenspiel und tranken das eine oder andere Glas. Als die Klänge des Orchesters ertönten strömten die Damen in den Saal mit den prächtigsten Kleidern, die ihre Schränke hergaben. Penelope Beaufort wurde von Rickard de Warenne zum ersten langsamen Tanz aufgefordert. Seit dem Sturz gestern, waren die beiden nie weit voneinander entfernt. Anscheinend hatte sie dieses Ereignis verbunden und Isabella genoss es der sanften Zuneigung zweier Liebenden zu zusehen. Sie war überrascht das Rickard de Warenne, der als Schürzenjäger galt, nun nur noch Augen für diese Eine hatte. An den Seiten des Saales standen vereinzelt Tische, wo gespielt wurde und etwas weiter weg bequeme Sessel und Sofas. Dort liessen sich die etwas Älteren zum Kaffeeklatsch nieder und die Kinder konnten so beim Spielen besser überwacht werden. Isabella drapierte soeben den Süsswarentisch in der Nähe. Die Düfte waren himmlisch. Emil hatte sich bei der Zubereitung die allergrösste Mühe gegeben, damit auch ja alles so deliziös und zauberhaft war, wie es ihre Ladyschaft verlangte. Isabella zweifelte keinen Augenblick daran, dass den Gästen diese süssen Sünden gefallen würden. Noch bevor Isabella sich in Sicherheit bringen konnte gewahr sie, dass Miss Ophelia den Süsswarentisch ansteuerte. Ophelia Brandons Augen blitzen unheilvoll, sie baute sich vor Isabella auf und befahl
„Dienstmagd" und flüsterte, bevor sie wieder in die normale Tonart wechselte „du Miststück... lege auf einen Teller die besten Dessertstücke und bring sie an den Tisch von de Warenne mit den besten Grüssen meinerseits. Ich wünsche das es meinem Zukünftigen an nichts fehlt" sie lachte auf. „Weisst du... du dreckiges kleines Luder ich persönlich werde dafür sorgen, dass du aus der Gunst von Alexander fallen wirst und wenn nicht, habe ich immer noch den Triumph dich als Dienstbotin zu behalten und dir mein Glück jeden einzelnen Tag vorzuhalten und dich natürlich schuften zu lassen bis du alt und hässlich bist". Sie schüttelte ihre Locken und drehte sich mit einem zufriedenen Lächeln der Tanzfläche zu. Isabella spürte Zorn in sich aufsteigen, schluckte ihn aber hinunter. Noch eine andere Empfindung breitete sich in ihr aus... schwer zu benennen. Es betraf den Umstand, dass de Warenne dieses Biest heiraten könnte und sie dann immer noch Angestellte dieses Hauses wäre... sollte de Warenne wirklich dieses hinterhältige Ding heiraten... daran wollte sie nicht denken. Und wieso beschäftigte sie sich überhaupt damit?! Sie würde dann schon längst bei ihren Verwandten in Europa sein und er... sie wollte den Satz nicht beenden. Sie sah, wie Miss Brandon in der Menge verschwand und entschied sich ihren Befehl zu missachten... sie würde nicht dazu beitragen die beiden zusammen zu bringen! Zu ihrer grossen Erleichterung verlief der Rest des Abends relativ ruhig und Isabella konnte genug früh in ihre Kammer, um für den nächsten Tag bereit zu sein.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1
Historical FictionEngland im Umbruch. Der junge König Henry VIII hat nicht das Geschick und das gute Herz seines Vaters geerbt. Er will Krieg und Schottland endlich unter englischer Herrschaft wissen. In diesen Sog gerät der kampferfahrene Alexander de Warenne, Lord...