Kapitel 9.12 - Was sich liebt, das neckt sich

610 45 2
                                    

Fünf Stunden. Es war eine deutlich kürzere Reise, als jene die sie bisher unternommen hatte. Allerdings empfand sie es als die schwerste Reise von allen. Alexander ignorierte ihre Anwesenheit so gut er konnte, obwohl Isabella sich ernsthaft fragte, wie er dies schaffte. Immerhin sass sie direkt vor ihm und war deutlich zu sehen. Mit der Zeit hatten sie einen immer grösseren Abstand zur Truppe und Alexander machte keine Anstalten auf sie zu warten. Sie ritten durch schmale Gräben und kamen an vielen Äckern vorbei. Zu dieser Zeit war kein Mensch auf den Feldern anzutreffen. Der Wind sass ihnen im Nacken und auch Alexander zog seinen Fellmantel enger zusammen. Nachdem sie ein sehr grosses Waldgebiet durchquert und den Hügel erklommen hatten, kamen sie auf der anderen Seite aus dem Wald hinaus und trafen auf braches Land. Weitere Wälder links und rechts erschienen vor ihnen, doch sie ritten weiter. Eine Stunde später überquerten sie einen weiteren Acker. Sie erreichten den nördlichen Tyne Fluss und folgten diesem weiter gerade aus. Als der steinige Weg endete kamen sie an eine Stelle des Flusslaufes, die sehr flach war. „Caldermouth" meinte Alexander. Isabella nickte nur und sah über den Fluss. Rund herum hatte es viele Wälder, aber weiter hinten konnte sie ein Dorf ausmachen. Alexander glitt von seinem Pferd und reichte Isabella die Hand. Sie war versucht seine Hand anzunehmen, doch entschied sich dann anders. Sie drehte sich mit der Körpervorderseite zum Pferd hin und rutschte dann nach unten. „Ja... wirklich elegant" meinte Alexander sarkastisch und schritt mit Arac zum Wasser hinunter. Isabella war es egal, was er davon hielt und vor allem ob es elegant war oder nicht. Sie rieb sich ihre Beine, die in dieser unbequemen Sitzhaltung eingeschlafen waren und nutzte die Gelegenheit, um kurz hinter einem Baum zu verschwinden. Als sie hervorkam, sah sie wie sich Alexander frisches Wasser in seinen Lederbeutel füllte. Sie schritt auf ihn zu und schöpfte sich mit der Hand Wasser in den Mund. Die Kälte liess sie erzittern und nach ein paar Schlucken hatte sie genug. „Wollen wir weiter?" fragte er zögernd. Isabella nickte und ging zu Arac. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ohne seine Hilfe nicht auf dieses Pferd kommen würde. Mit den Damenkleidern und ihrem dicken Fellmantel konnte sie sich unmöglich auf den Rücken ziehen. Genau darauf schien Alexander es abgesehen zu haben. Er stand hinter ihr, verschränkte seine Arme vor der Brust und grinste siegessicher. Isabella schnaubte und blickte sich am Flussufer um. Irgendwo müsste sich doch eine Erhöhung finden lassen? Weiter hinten am Ufer entdeckte sie einen etwas grösseren Stein, wenn sie diesen vielleicht geschickt aufstellte, könnte sie sich von dort auf das Pferd ziehen. Selbstbewusst nahm sie die Zügel von Arac und ging zum Stein, drehte ihn etwas und stellte sich mit ihren Zehenspitzen auf ihn. Sie versuchte mit Anlauf das eine Bein über seinen Rücken zu befördern. Sie lehnte sich mit ihrem Oberkörper über seine Kuppe und wollte das Bein auf die andere Seite heben. In diesem Moment pfiff Alexander und Arac setzte sich in Bewegung.
„Nein Arac" schnaufte Isabella „bleib stehen!". Doch Arac schritt gemächlich zu seinem Meister zurück und kam bei ihm zum Stehen. Isabella krallte sich am Sattel fest und versuchte vergeblich ihr Bein auf die andere Seite zu befördern. Alexander lief um Arac und trat an die Seite, wo sich ihr Kopf befand
„Hat wohl nicht sonderlich gut funktioniert, oder?" lachte er überheblich. Isabella funkelte ihn böse an. Er ging auf die andere Seite und hob sie hinten etwas höher, damit sie ihr Bein endlich hinüberschwingen konnte. Als Alexander sich wieder hinter sie setzte, konnte sie den Damensitz einnehmen ohne Gefahr zu laufen runter zu fallen. „Und war es die Sache wert My Lady?" fragte er spöttisch.
„Nun ich weiss ihr seid es gewohnt, dass englische Ladies durch ihre schiere Inkompetenz nicht in der Lage sind sich auf ein Pferd zu setzen und ihr ihnen zu Hilfe eilen müsst, doch wir Schottinnen sind Frau genug um selbst auf ein Pferd zu steigen und es auch reiten zu können" erwiderte Isabella scharfzüngig.
„Oh natürlich" lachte Alexander „tun alle Schottinnen dies so erfolgsversprechend wie ihr?" Neckte er sie. Darauf erwiderte sie nichts mehr, streckte ihren Rücken durch und starrte nach vorne. Sie kochte innerlich. Ohhhhhhhhhh! Wie konnte er es wagen sich über sie lustig zu machen!
Sie folgten weiter dem Fluss. Jetzt erst erkannte Isabella, dass der Fluss in einer Senke lag und rechts und links sich Hügel erhoben. Sie ritten weiter in dieser Senke und hatten den Fluss nun im Rücken. Nach einer kurzen Abzweigung blickte Isabella auf eine grosse freie Fläche. Die ersten kleinen Zelte waren sichtbar und als Alexander Arac zwischen den Zelten hindurchführte, erkannte sie in der Mitte ein riesiges Zelt, welches die anderen bei weitem überragte.
„Alec!" rief Rickard, der soeben aus diesem Zelt trat. Er schritt auf seinen Bruder zu, der gerade vom Pferd gesprungen war. Sie begrüssten sich „Wo ist deine Truppe?" fragte Rickard und bot Isabella die Hand, um abzusteigen.
„Ungefähr drei Stunden hinter uns" sagte Alexander und blickte missmutig, als Isabella die dargebotene Hand von Rickard annahm.
„Gut, dann werde ich dem Koch Bescheid geben. Das" er zeigte auf das riesige Zelt vor ihnen „ist das Kommandozelt" meinte er an Isabella gerichtet. „Dein eigenes steht dort wo es immer aufgebaut wird" meinte Rickard erklärend zu Alexander. Rickard verliess sie damit und Alexander hielt den nächsten Soldaten, der an ihnen vorbei ging, an
„Bring mein Pferd zum Gatter, der Stallbursche soll sich darum kümmern". Der Soldat tat wie ihm geheissen wurde und lief mit Arac neben dem Kommandozelt vorbei und verschwand. Der Boden war ziemlich aufgeweicht und matschig. Isabella folgte Alexander durch die Zeltreihen, bis sie vor einem ebenfalls grösseren Zelt, neben dem Eingang standen hohe Fackeln, anhielten. Alexander ging unter dem Baldachin durch, schob die Zeltwand zur Seite und trat ein. Isabella folgte. Im Zeltinnern war es gemütlich warm. In den vier Ecken des Zeltes standen gusseiserne Schüsseln, die auf jeweils vier Füsschen standen und in diesen glühten heisse Kohlen. Auf dem Boden lagen haufenweise Tücher, Teppiche und Felle. Eine prächtige grosse Schlafstatt stand in der rechten hinteren Seite des Zeltes. Viele Decken, Pelze und Felle lagen auf dem Bett und hingen hinunter. Auch die Kissen waren aus Schafswolle oder Pelzen gefertigt. Zwei Holzstühle standen um einen kleineren Tisch. Auf diesem lag eine Platte und auf ihr verschiedene Früchte wie Trauben, Beeren und Äpfel. In der Mitte stand ein Diwan und neben diesem eine weitere gusseiserne Schüssel mit heissen Kohlen. Drei dieser Schüsseln hatten eine Art Dach und auf diesen lagen prall gefüllte Beutel aus Ziegenhaut. In der hinteren linken Ecke stand ein Badezuber. Isabella war von dem Komfort in diesem Zelt erstaunt. Langsam bemerkte sie wie sie anfing zu schwitzen, da sie immer noch ihren Fellmantel, die Kapuze und ihre Fäustlinge trug. Sie streifte sich die Sachen ab und hing sie über einen weiteren Stuhl, der neben dem Zuber stand. „Isabella" sagte Alexander und sie drehte sich um. Er hatte ebenfalls seinen Mantel ausgezogen. In seinen Händen hielt er etwas Merkwürdiges, es sah so aus wie eine... Kette, allerdings keine gewöhnliche Kette. Sie war aus Metall und an einem Ende hing so etwas wie ein Armband, es hatte jedoch eine Art Fell im inneren Ring. „Das wird dir nicht gefallen, ich muss dich leider anketten" er hob die Kette nach oben. Isabella erstarrte. „Die Kette ist lang. Dir ist es möglich dich im ganzen Zelt zu bewegen" er machte einen Schritt auf sie zu, aber Isabella wich zurück. Er wollte sie hier anketten? Wie ein wildes Tier? Entsetzen trat in ihr Gesicht. „Sieh mich nicht so an..." sagte er und machte einen weiteren Schritt in ihre Richtung „Du weisst, dass es nicht anders geht. Du trägst sie um den Fuss... ich habe den Schmied gebeten den Ring mit Fell auszustopfen, damit du dich nicht verletzt" erklärte er weiter und kniete sich vor sie hin. Er öffnete den Verschluss des Ringes, legte ihn um ihren rechten Knöchel und liess das Metallgewinde zuschnappen. Isabella schloss die Augen. Sie würde an der Situation jetzt nichts ändern können. Sie musste Alec wohl oder übel vertrauen. Er verschloss mit einem kleinen Schlüssel die Fessel und zog eine weitere feinere Kette aus seiner Tasche, band den Schlüssel daran und hing sie sich um den Hals. Sie zog ihren Fuss zurück unter ihre Röcke. Die Metallkette war, im Vergleich zu anderen Gefängnisketten, leicht. Es wäre keine zusätzliche Last, wenn sie diese herumziehen musste. Er stand vor ihr und musterte sie kurz. Ihr war als wollte er noch etwas sagen, doch er tat es nicht und verschwand aus dem Zelt. Mit ihm verliess sie auch ihre Kraft. Sie spürte die Müdigkeit, welche sie langsam einholte. Sie legte ihren Überrock und den Tagesrock ab und legte sich mit ihren Strümpfen und ihrem Unterleibchen ins Bett. Einige Decken warf sie an das Fussende des Bettes, kuschelte sich unter ein wollenes Fell und legte ihren Kopf auf ein Pelzkissen. Bevor sie sich versah, war sie eingeschlafen.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt