Kapitel 4

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Ω

Der Herbst schlich sich langsam an. Die Menschen bemerkten nicht einmal, dass sie schon Mitten im rot grünen Laub der Bäume standen und die Sonne nur noch ihre halbe Kraft nutzte. Der Sommer war ungewöhnlich heiss gewesen für Britannien und so blieb es lange Zeit bis in den Oktober noch mild warm. Isabella traf, neben den Vorbereitungen für das Haus der de Warennes, auch Vorbereitungen für den Garten, den sie so liebevoll wiedererweckt hatte. Sie stutzte die Büsche und sammelte die Knollen der Blumen, um sie im nächsten Frühjahr wieder anzupflanzen. Sie verbrachte ihre ganzen freien Stunden im Garten und meist auch die Abende nach der schweren Arbeit im Haus. Niemand, nicht einmal Molly und Carson wussten davon. So entging sie wenigstens für ein paar Stunden den provozierenden Bemerkungen und arroganten Blicken von Dina und Amelia. Seit Amelia sie in der Bibliothek in der kompromittierenden Situation mit dem Erben des Earls gesehen hatte, war sie an Gemeinheiten und Sticheleien nicht mehr aufzuhalten. Nach und nach wurde ihr klar, dass Amelias Abneigung ihr gegenüber tiefer sitzen musste als sie erst geglaubt hatte. Der Erbe dieses ganzen Prunkes musste wohl eine Art Trophäe sein. Ausserdem hatte Isabella das Gefühl, dass die Leidenschaft von Rickard de Warenne, seit er von Cornwall zurückgekehrt war, abgekühlt war. In den Häusern in London wäre ein solch offensives und allgemein bekanntes Verhalten absolut inakzeptabel gewesen. Es hatte bereits gewisse ehrenwerte Persönlichkeiten der Londoner Peerage an den Rand eines gesellschaftlichen Desasters gebracht. Da die geborenen Bastarde die Blutlinie des Vaters weiter trugen, wenn die offizielle Ehefrau keine Erben gebären konnte oder ihre Söhne plötzlich verstorben waren. So wurde manch alter und hochgeschätzter Familienname für Jahrzehnte todgeschwiegen oder nur hinter aufgeschlagenem Fächer in den Mund genommen. Hier allerdings, einige Meilen weit von London entfernt, schien man etwas offener mit dieser unliebsamen Tatsache umzugehen, oder zumindest griff hier Lord Blackheat nicht ein und Isabella war sich ziemlich sicher, dass er wusste, was sein Bruder mit Amelia trieb. In ihrem Zuhause wollte man zwei Liebenden nicht im Wege stehen. Egal welches Blut durch ihre Adern floss. Natürlich gab es auch die Wohlhabenden und Mächtigen, die ihre Töchter oft zu Bündniszwecken verheirateten, dies war ihr Schicksal. Meist waren dadurch jedoch noch grössere Fehden entstanden, welche teilweise ganze Familienstammbäume auslöschten. Aber in ihrem Zuhause war das anders gewesen. Ihre Eltern hätten sie nie zweckmässig verheiratet, obgleich ihr Vater reich und sehr einflussreich gewesen war. Sie war mit diesen Idealen aufgewachsen und erzogen worden. Nie würde sie begreifen, wie man dies seinem eigenen Fleisch und Blut antun konnte. Die Engländer waren darin Spitzenreiter. Nichts übertraf ihre eiligen Heiratspläne und Zweckbündnisse gar über die Landesgrenzen hinaus. Und trotz all dieser offensichtlichen Unterschiede waren sie aber dennoch alle gleich. Sie hatte geldgierige, hinterhältige und blutrünstige Menschen auf beiden Seiten getroffen und war selbst in ihrer eigenen Familie nicht gefeit vor solchen Individuen.

Als der frostige November seine vielgliedrigen Finger über die Hügel und Wiesen von Surrey legte, wurden Vorkehrungen für das Weihnachtsfest getroffen. Die Familie wollte im engsten Kreise feiern. Die Witwe Duchesse, ihr Sohn Edmund und seine Frau, die Duchesse mit den Kindern, hatten sich angemeldet. Isabella hatte bisher noch nie einen so starken Drang verspürt Zuhause zu sein, wie zu dieser Zeit. Im Gegensatz zu ihrem Heim, war das Haus der de Warennes nur sehr dürftig geschmückt. Einige Tannenzweige, Zapfen und Mistelzweige waren vereinzelt mit Krippen, welche die Szene der Geburt Jesus zeigten, aufgebahrt worden. Bei ihr war so viel mehr vorhanden, um die Menschen in weihnachtliche Stimmung zu versetzen. Sie hatten überall Strohfiguren, Zuckerwürfel, Mandelgebäcke und weitere leckere Knabbereien im ganzen Haus verteilt. In verschiedenen Zeremonien und Opfergaben wurden die einzelnen Götter gebeten die Ernte und das Leben im nächsten Jahr zu verbessern. Sie war damals noch recht jung gewesen und hatte noch nicht alle Zeremonien miterlebt. Erst später, als ihre Eltern tot waren und für sie ein anderes Leben begonnen hatte, hatte sie erkannt, dass gewisse Zeremonien ziemlich sündhaft gewesen sein mussten. Der Glaube bei ihrem Volk war das komplette Gegenteil, wie hier in England. Ganz hoch oben, bei ihr, gab es zwar vereinzelt kleine Kapellen, welche sie auch ab und an nutzten um Busse zu tun, allerdings waren keltische Bräuche und Traditionen viel stärker verwurzelt und wurden regelmässiger und strikter eingehalten. Ihre Eltern hatten sie die keltischen Bräuche und Traditionen gelehrt und nur wenig von den Christlichen gesprochen. Erst in ihrem Leben danach wurden ihr die Bräuche unvermittelt eingebläut. Sie war zwar schon immer offiziell katholisch gewesen, wie fast alle ihres Volkes, doch hatte keiner ihrer Leute auf die keltischen Konventionen verzichtet. Selbst die Priester, die ihre Anweisungen aus Rom erhielten, zelebrierten die alten Bräuche und keiner von ihnen hatte jemals verlangt, dass sie diese aufgeben sollten. Sie richtete ihren Blick auf die einfach hergerichtete Krippe. Sie wusste, dass der alte König der Engländer die Kirche umgewandelt und er die Reformation ausgerufen hatte. Aber musste denn alles so nüchtern gestaltet werden? Wahrscheinlich war dem neuen König deshalb Schottland ein Dorn im Auge. Er befürchtete vielleicht, dass die katholischen Glaubensanhänger nach Schottland fliehen oder sich gar mit ihnen Verbünden würden. Ein weiteres kritisches Auge hatte er vermutlich infolgedessen auf die Highlands, wegen ihren heidnischen Bräuchen und Traditionen. Nicht zu verachten waren natürlich das Land und seine Schätze, die dem englischen König unglaubliche Macht verleihen würden.
„Kindchen wieso denn so betrübt?" Als Isabella aufblickte, sah sie in das besorgte Gesicht von Molly, die soeben mit den gewaschenen Wintervorhängen auf sie zu schritt. Sie versuchte ihre trüben Gedanken weg zu wischen und lächelte Molly zu
„Ich fürchte, ich leide ein wenig an Heimweh..."
„Oje, meine Liebe... Naja du könntest doch deine letzten freien Tage dafür benutzen um nach Hause zu fahren?" sagte Molly und übergab ihr die Hälfte der Last und sie stiegen gemeinsam die Treppe zur Galerie hinauf. „Weisst du, der Herr wird es dir ganz bestimmt erlauben, da du den ganzen Sommer hier verbracht hast. Also da würd ich mir keine Sorgen machen" plapperte Molly. Isabella versuchte nicht allzu traurig zu klingen, als sie antwortete
„Hmm... vielleicht. Aber meine Familie benötigt das Geld eigentlich dringender und ich fürchte ich wüsste nicht, wo ich sie finden könnte"
„Ach meine Liebe... es geht einfach zu vielen so. Alle verteilt in ganz Britannien und niemand weiss, wo Bruder und Schwester sind. Es tut mir sehr leid. Aber ich werde dafür sorgen, dass du auch hier ein schönes Fest hast" schmunzelte Molly und beide fingen an die roten und leichten Vorhänge abzuhängen und die grünen schweren aufzuziehen.
Molly gab sich allergrösste Mühe Isabella aufzumuntern in den Wochen vor Weihnachten und Isabella versuchte mit all ihrem Willen zu zeigen, dass es sie freute. Doch gab es mehr und mehr Momente, wo sich Isabella zurückzog und für sich allein sein wollte.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt